Montag, 30. Dezember 2019
Froze Noise
500 mg überzogener Predigttext, Hebräer 13, 8-9

Lesen Sie die gesamte Packungsbeilage sorgfältig durch, bevor Sie mit der Einnahme dieses Arzneimittels beginnen, denn sie enthält möglicherweise wichtige Informationen.

Was ist Froze Noise und wie wird es angewendet?
Das bekommen Sie in den nächsten Tagen dauernd zu hören. Britische Muttersprachler, die nach Gehör schreiben, würden es vermutlich so notieren. Hierzulande würde man froh‘s Neu‘s schreiben oder frohes Neues oder wenn man ein wenig kultiviert ist: Frohes neues Jahr!

Was sollten Sie vor der Anwendung von Froze Noise beachten?
Froze Noise darf nicht angewendet werden, wenn Sie allergisch gegen Veränderungen, Andersartige, Anstrengungen, soziale Gerechtigkeit oder Empathie sind.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen:
Bitte sprechen Sie mit ihrem Religionsstifter oder Geistlichen, bevor Sie Froze Noise anwenden,
- wenn Sie Ihr Herz zu sehr an Dinge hängen, die Ihren sozialen Status unterstreichen
- wenn Sie von der Angst getrieben sind, nicht immer alles richtig zu machen
- wenn Sie dazu neigen, Ihre Mitmenschen regelmäßig darauf hinzuweisen, dass Regeln unbedingt eingehalten werden müssen

Einnahme von Froze Noise zusammen mit Alkohol
Froze Noise darf problemlos mit Alkohol kombiniert werden, es sei denn, Sie haben schon ein Alkoholproblem, also übertreiben Sie es nicht, damit sie keins bekommen.

Wie ist Froze Noise einzunehmen?
Machen Sie sich erst einmal locker. Horchen Sie in sich hinein. Was brauchen Sie wirklich? Also unabhängig von dem, was andere wichtig finden?
Was brauchen die Menschen um Sie herum und all die anderen Lebewesen?
Was braucht die Welt?
Und dann denken Sie nach. Finden Sie Lösungen. Setzen Sie eine erste gute Idee in die Tat um. Und dann die nächste. Geben Sie niemals auf. Moralisieren Sie nicht rum. Bewahren Sie sich Ihren Humor. Und seien Sie nicht zu streng mit sich selbst.

Welche Nebenwirkungen sind möglich?
Sie müssen mit Widerstand rechnen. Man wird Sie auslachen, angreifen, ausgrenzen. Einzelne Freundschaften könnten zerbrechen.

Inhalt der Packung und weitere Informationen:
Zu weitergehenden Informationen, lesen Sie die Kommentare oder fragen Sie ein gutes Buch Ihres Vertrauens

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Inhalt der Packung und weitere Informationen
Worauf kommt es eigentlich an, damit alle ein frohes neues Jahr erleben dürfen – also nicht nur du oder ich oder alle, die uns nahe stehen?
Zu jeder Zeit gab und gibt es die, die ganz genau wissen, an welche Regeln man sich halten muss, damit endlich alles gut wird.
In vorchristlicher Zeit waren das zum Beispiel komplizierte Speisegebote. Aber auch sehr viele Alltagsregeln, die vielleicht mal einen Sinn ergeben hatten, der aber verloren gegangen ist.
Religionen neigen zu derart unverrückbaren Regeln. Gibt es bei uns auch immer noch: Sonntags hängt man keine Wäsche zum Trocknen raus.
An Karfreitag darf es keine öffentlichen Tanzveranstaltungen geben.
Im traditionellen Volksglauben mischt sich das dann mit allerhand magischem Tinnef:
An Silvester muss man rote Unterwäsche tragen. Das bringt Glück im neuen Jahr.

Aber auch eine vermeintlich säkularisierte Welt hält ihr Credo aufrecht:
Wer morgens lange schläft und abends spät schlafen geht, taugt nicht für die Arbeitswelt.
Wer mit Gartendreck in der rissigen Haut oder womöglich unter den Fingernägeln im Büro erscheint, kann sich schon bald seine Papiere abholen.
Kleines Auto, wenig Hubraum: Du hast es nicht geschafft.
Beschenkte müssen im gleichen Gegenwert zurück schenken.

Speiseverbote ergeben ja unter Umständen immer noch einen Sinn: Avocados brauchen zu viel Wasser, vor allem, weil sie in Regionen massenhaft angebaut werden, in denen Wasser knapp ist, Rinder sorgen für hohen CO2-Ausstoß und Fleisch ist im Hinblick auf Klimawandel und Welternährung als tägliches Nahrungsmittel ohnehin ein no go. Unfaire Schokolade natürlich auch, genauso wie Kiwis aus Neuseeland, Himbeeren aus Chile und Orangen aus Israel oder Südafrika.

Aber verkniffenes Rumgeranze hat die Welt noch nie zum Besseren gewandelt, das hat sogar der Verfasser des Hebräerbriefs geschnallt.

Die Gebote und Verbote ändern sich täglich. Was gestern noch angesagt war, ist heute schon verpönt und umgekehrt. Die meisten strengen sich an, den Ansprüchen gerecht zu werden, sich an die Regeln zu halten, im vorauseilenden Gehorsam das Plansoll zu übertreffen, es richtiger zu machen als der Rest.

Darum funktioniert das in den Religionen mit der disziplinierenden Wirkung. Die einen denken sich die Regeln aus, die anderen halten sie ein bis zum absoluten Irrsinn. Als wenn es darauf ankäme, ob ein bisschen Schweinegelatine in den Magen gelangt oder eine nasse Jeans in der Sonntagssonne trocknet. Man hängt das Prinzip höher als das, auf das es wirklich ankommt. Und warum?

Weil man nicht außen stehen möchte, sondern mittendrin. Die meisten wollen dazu gehören, anerkannt, geachtet, geliebt und geborgen sein in der menschlichen Herde. Und je größer die Angst vor Ausgrenzung, um so penibler die Einhaltung der Regeln – und seien sie auch noch so sinnlos. Und das ist natürlich durchaus etwas, auf das es ankommt: Liebe, Geborgenheit, dazu gehören. Regeln und Gesetze ändern sich, aber diese menschliche Sehnsucht, die ändert sich nie, die war schon gestern und heute und bleibt in Ewigkeit.

Aber worauf kommt es an? Was ist das Wesentliche, das hinter den Regeln steckt? Was bleibt? Was ist wirklich wichtig?

Respekt vor dem Leben und die Haltung, dass alles, was lebt, ein Recht hat, zu sein, auch so zu sein, wie es ihm entspricht, solange, bis seine Zeit gekommen ist.

Akzeptieren des Todes, auch des eigenen und dass alles, was ist, vergeht, damit etwas Neues entstehen kann.

Allem Leben seinen Anteil zugestehen, an dem, was verfügbar ist. Wissen, dass genug da ist, aber auch, dass Ressourcen nicht unendlich sind, wertschätzend haushalten und gerecht verteilen.

Sich selbst nicht abwerten, aber andere auch nicht.

Die Hoffnung nicht aufgeben, genauso wenig wie den Glauben an das Gute.

Und bei allem den Humor nicht verlieren und die eigenen Grenzen kennen.

Wer sich diese Grundhaltung zu eigen macht, indem er sein Herz öffnet und zulässt, dass er sich verändert, der trägt etwas in sich von dem, worauf es Jesus ankommt, der strahlt es aus und wirkt auf andere und der lebt dann automatisch nach Regeln, die noch einen Sinn ergeben und die allen gut tun. Und so verstehe ich dann den folgenden Text:

„Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.
Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade, nicht durch Speisegebote, von denen keinen Nutzen haben, die damit umgehen.“
(Der Brief an die Hebräer, Kapitel 13, Verse 8-9)

Mit diesem Predigttext für Silvester verabschiede ich mich von 2019 und wünsche Euch und Ihnen allen ein gutes neues Jahr, von dem wir ALLE etwas haben.

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