Samstag, 27. Juli 2019
Inklusion oder Abgrenzung? Dialog mit dem Predigttext des 6. Sonntags nach Trinitatis – 1. Petrus 2,2-10
2 UND SEID BEGIERIG NACH DER VERNÜNFTIGEN LAUTEREN MILCH WIE DIE NEUGEBORENEN KINDLEIN, DAMIT IHR DURCH SIE ZUNEHMT ZU EUREM HEIL,

Wenn man wie im vorangegangenen Vers alles Boshafte ablegt, niemanden über den Tisch zieht, nicht heuchelt, nicht lästert und den Neid aus dem Herzen verbannt; wenn man sich stattdessen von menschlicher Korrektheit und Vernunft leiten lässt, geht es einem dann wirklich besser? Liegt darin unsere Heilung?
Vielleicht fühlt es sich so an, als würde man sich die Falten aus der Seele bügeln, zumindest für einen Moment, aber Lästern macht Spaß, ist ein prima Ventil, bevor einen Zeitgenossen, die einen bis zum Erbrechen nerven, explodieren lassen.
Und wenn alle immer nur grundgut sind, ist es auch ganz schön langweilig. Wenn es kein Schwarz mehr gibt, kann das Weiß gar nicht leuchten. Warum sollten wir uns so in unseren Möglichkeiten beschneiden?

3 DA IHR JA GESCHMECKT HABT, DASS DER HERR FREUNDLICH IST.

Um ehrlich zu sein: Beim Abendmahl schmecke ich, dass die Oblate pappig, nährstoffarm und leicht salzig ist, der Traubensaft dagegen viel zu süß und entsetzlich alkoholfrei. Aber ich spüre die Gemeinschaft, die Bereitschaft zum Frieden und zu gegenseitiger Fürsorge und Wertschätzung.

4 ZU IHM KOMMT ALS ZU DEM LEBENDIGEN STEIN, DER VON DEN MENSCHEN VERWORFEN IST, ABER BEI GOTT AUSERWÄHLT UND KOSTBAR.

Warum wählt Gott einen aus, die Menschen zu lehren, den sie nicht anerkennen, weil sie ihn nicht verstehen?

5 UND AUCH IHR ALS LEBENDIGE STEINE ERBAUT EUCH ZUM GEISTLICHEN HAUSE UND ZUR HEILIGEN PRIESTERSCHAFT, ZU OPFERN GEISTLICHE OPFER, DIE GOTT WOHLGEFÄLLIG SIND DURCH JESUS CHRISTUS.

Sollen wir alle spirituelle Snobs werden, die das Heil für sich gepachtet haben, die aber niemand versteht?

6 DARUM STEHT IN DER SCHRIFT (JESAJA 28, 16): „SIEHE, ICH LEGE IN ZION EINEN AUSERWÄHLTEN, KOSTBAREN ECKSTEIN; UND WER AN IHN GLAUBT, DER SOLL NICHT ZUSCHANDEN WERDEN.“

Die Menschen sind ja frei und mündig, selbst zu entscheiden, an was oder wen sie glauben wollen und so hat Jede*r die Chance auf Heilung oder Rettung. Freie Entscheidung ist gut, aber wäre es nicht unser Auftrag, als lebendige Steine darauf hinzuwirken, dass die Botschaft verstanden wird, statt uns auf unser Auserwähltsein etwas einzubilden?

7 FÜR EUCH NUN, DIE IHR GLAUBT, IST ER KOSTBAR; FÜR DIE UNGLÄUBIGEN ABER IST „DER STEIN, DEN DIE BAULEUTE VERWORFEN HABEN UND DER ZUM ECKSTEIN GEWORDEN IST, 8 EIN STEIN DES ANSTOßES UND EIN FELS DES ÄRGERNISSES“ (PSALM 118,22, JESAJA 8,14); SIE STOßEN SICH AN IHM, WEIL SIE NICHT AN DAS WORT GLAUBEN, WOZU SIE AUCH BESTIMMT SIND.

Warum stoßen sich so viele an diesem Jesus von Nazareth? Damals waren es vor allem die, die um den Erhalt ihres gesellschaftlichen Status bangten. Heute gibt es da verschiedene Fraktionen: zum einen die, die ihre überwiegend berechtigte Kritik an den verfassten Kirchen pauschalisieren und alles in einen Topf werfen.
Natürlich auch die Hedonist*innen, die sich bei ihrer Jagd nach Spaß, Konsum und Superlativen von nichts und niemandem zurückhalten lassen wollen.
Aber auch viele kluge, mutige Menschen mit hohem moralischem Anspruch und ausgeprägtem Sozialverhalten, bei denen in der Konfrontation mit Religion und Spiritualität eine derartige Abscheu zutage tritt, dass ich mich frage, was genau das eigentlich ist?
Angst, vom einmal eingeschlagenen Weg, für den man sich entschieden hat, abzukommen?
Eine tief sitzende Überzeugung, dass alles Religiöse in die Welt der naiven, entwicklungsverzögerten Realitätsverweigerer gehört?
Eine Wut auf erlittene Verletzungen, Nötigungen und Bevormundungen?
Eine Angst, mit den Geächteten in einen Topf geworfen zu werden, sodass der religiöse Makel an einem klebt, wie der schwarze Dreck an der Pechmarie?
Und was unterscheidet diejenigen, die sich ihre religiöse Musikalität bewahrt haben, von denen, die das kategorisch ablehnen?

9 IHR ABER SEID DAS AUSERWÄHLTE GESCHLECHT, DIE KÖNIGLICHE PRIESTERSCHAFT, DAS HEILIGE VOLK, DAS VOLK DES EIGENTUMS, DASS IHR VERKÜNDIGEN SOLLT DIE WOHLTATEN DESSEN, DER EUCH BERUFEN HAT VON DER FINSTERNIS ZU EINEM WUNDERBAREN LICHT;

Ich will zu keiner Elite gehören, die andere ausschließt. Ich will, dass alle mit ins Licht kommen. Was ist das für ein Scheißkonzept: Hier wir, die Kinder des Lichts, dort die, die Kinder der Finsternis? Warum hat ER mich berufen, so viele andere aber nicht?

10 DIE IHR EINST „NICHT EIN VOLK“ WART, NUN ABER „GOTTES VOLK“ SEID, UND EINST NICHT IN GNADEN WART, NUN ABER IN GNADEN SEID (HOSEA 2,25)

Na, das ist immerhin etwas, die Auflösung fremdbestimmter Strukturen. Nationalität, sozialer Status, das soll bei denen, die an Jesus glauben, keine Rolle mehr spielen. Sicher muss man das auch auf dem Hintergund lesen und verstehen, dass der christlichen „Sekte“ eine exklusive, jüdische Kultur vorausging: man verstand sich als Volk Gottes qua Geburt durch eine jüdische Mutter. Man musste zwar auch nach Gottes Geboten handeln, um nicht in Verdammnis zu geraten, aber grundsätzlich war man auserwählt, so der Glaube. Alle anderen gehörten nicht dazu, von denen hielt man sich fern. Dieses Muster wurde zwar auch im Alten Testament immer wieder bewusst durchbrochen, aber es gibt auch genug Geschichten, in denen die Abgrenzung gegenüber anderen besonders betont wird. Und diese Grenzen werden durch den neuen, christlichen Glauben überwunden.

Man könnte fordern, dass wir alle eine große Familie sind aufgrund unser Spezies, weil wir uns diese Welt teilen und gemeinsam unser Überleben sichern müssen. Aber vielleicht brauchen Menschen etwas oder jemanden, zu dem sie gehören können. Und da ist eine selbst gewählte Glaubensgemeinschaft gegenüber dem, was vorher war, ein großer Fortschritt.
(Nicht, dass ich falsch verstanden werde: Ich sehe im Christentum eher ein reformiertes Judentum als eine „bessere“ Religion.)
Nur selbst gewählt muss sie sein, diese Religionszugehörigkeit. Wenn Christsein zur gesellschaftlichen Normalität und Selbstverständlichkeit wird, ist es nichts mehr wert, sondern nur noch eine andere Spielart von Nationalität, Sippe oder gesellschaftlicher Schicht. Man muss sich täglich entscheiden. Ein Leben lang.

... link (4 Kommentare)   ... comment