Freitag, 24. Juni 2022
Stell dir vor...
Du weißt um die dramatische Lage des Klimawandels, den drohenden weltweiten Hunger, die bedrohten Demokratien, die Menschenrechtsverletzungen, den Raubbau an der Natur. Du weißt, wenn es keine radikale Verhaltensänderungen gibt, gehen die meisten unter, wahrscheinlich sogar alle. Du hast dich ewig nicht getraut dagegen aufzustehen, weil dir ja eh keiner zuhört, und wenn doch, glaubt dir niemand, man lacht dich aus oder tut dir sogar Gewalt an.
Du kennst die Schuldigen, weißt ganz genau, wer für welches Unheil verantwortlich ist. Und dann traust du dich schließlich doch, trittst öffentlich auf vor einem Riesenpublikum.
Du sagst es laut: Noch vierzig Jahre so weiter machen und unser Planet ist komplett zerstört!
Und dann geschieht das Unerwartete. Die Mehrheit glaubt dir, hört auf dich, sie rufen dazu auf, dass alle ihr Leben umkrempeln sollen, Schluss mit dem uferlosen Konsum, alles runterfahren. Die Mächtigen bekommen Kenntnis von dieser Bewegung, verzichten auf ihre Privilegien, ordnen sich den Erfordernissen unter und treffen die notwendigen politischen Entscheidungen. Neue Gesetze sorgen dafür, dass das Ruder noch einmal herumgerissen werden kann. Alle machen mit und sind voller Hoffnung, dass sie das Schlimmste verhindern können.
Du weißt aber, dass es längst zu spät ist. Der Point of no return ist längst überschritten. Du kennst noch einen geheimen Zufluchtsort für dich und deine Lieben. Der Rest ist nicht zu retten. Sie waren so lange boshaft, gedankenlos und ignorant: sie haben es auch nicht anders verdient.
Aber sie halten fest an ihrem neuen Weg. Und dann schaffen sie es. Die Katastrophe bleibt aus.
So beschrieben auch in diesem Text:
https://www.bibleserver.com/EU/Jona3%2C1-10

Die Geschichte des Propheten Jona gehört zu den Lehrgeschichten, ein religionspädagogisches Märchen, das zeigen soll, wie das Verhältnis der Schöpferkraft zu den Menschen ist, aber auch, wie das Verhältnis der Menschen untereinander sein sollte.
In den ersten Kapiteln versucht Jona aus Angst vor Gewalt und Tod, die Überbringung der Botschaft an die Bewohner*innen de Stadt Ninive zu vermeiden. Er flieht, gerät in einen Sturm, gibt sich die Schuld für die Gefahr, in der die Seeleute mit ihm geraten sind, lässt sich über Bord werfen, wird von einem großen Fisch verschluckt, der ihn schließlich an Land speit. So gerettet dankt er Gott für sein Leben und nimmt den Auftrag an.
Nach diesem Text wartet er voller "Vorfreude" auf den Untergang Ninives, wird aber enttäuscht. Die Genugtuung bleibt ihm versagt.

Wenn du das Unheil kommen siehst und die Bösen warnst, wünscht du dir dann auch, dass es sie erwischt?
Wie oft stelle ich mir vor, dass Putin und seine Freunde (wenn er überhaupt welche hat) an diesem grausamen Krieg scheitern und zerbrechen, dass das ganze politische System in die Knie geht, dass es einen Riesenaufstand in Russland gibt, dass sie Putin zum Teufel jagen. Er kann nur untergehen, das glaube ich. Und ich will Recht behalten.

Was wäre, wenn er plötzlich ein Einsehen hätte, einlenken würde, Reue zeigen, sich entschuldigen, beim Wiederaufbau der Ukraine helfen würde?

Die Vorstellung ist naiv und niemand würde ihm diesen Sinneswandel abnehmen. Aber wäre es nicht auch so, dass ich im Grunde enttäuscht wäre, dass ihm nun niemand das Fell über die Ohren zieht?
Solche Gefühle sind menschlich, aber eben nicht göttlich.

Eigentlich wäre es nur gerecht, wenn wir in diesem konsumgeilen Westen alle an unserem Müll und an unserem Energiehunger ersticken. Aber wenn wir es schaffen, das Ruder herumzureißen, umzukehren, unseren Lebensstil radikal zu ändern, dann dürfen wir hoffen, dass es noch einmal gut geht.

Hoffen wir, dass es uns gelingt.

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