Sonntag, 16. August 2020
Israel
Heute ist Israelsonntag. Mit dem Predigttext (Römer 11,25-32) kann ich nicht viel anfangen. Der Wochenspruch lautet: „Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat.“ (Psalm 33,12)
Wohl dem Volk? Gibt es eine Gruppe von Menschen, die über Jahrtausende so bestialisch verfolgt und gequält worden ist wie die Nachfahren Abrahams, Isaaks und Jakobs? Und immer noch hetzen diverse Radikale aus unterschiedlichsten Motiven weltweit gegen Juden. Im Predigttext wird auf Prophezeiungen hingewiesen, von einem Erlöser, der aus Zion (Tempelberg in Jerusalem) komme und diese Prophezeiung sieht der Verfasser im Wirken Jesu erfüllt. Aber Israel wurde nicht erlöst, litt weiter, leidet noch heute, ist weltweit Opfer und auf dem traditionellen Gebiet werden etliche im Namen ihres Volkes und sogar ihres Gottes zu Tätern.
Die Lesung aus dem Alten Testament steht an diesem Sonntag im 2. Buch Mose (Exodus) 19, 1-6. Und hier stieß ich auf einen bedenkenswerten Vers: „Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.“
Ein Volk mit Modellcharakter. Vielleicht ein Stamm, der von besonders Begabten begründet wurde, mutigen, klugen, nach Gerechtigkeit strebenden Menschen mit genau der richtigen Mischung aus Stolz und Demut?
Ich habe immer solche Probleme mit dem diesem Gerede vom auserwählten Volk, weil mir das ganze völkische Denken zuwider ist, weil ich nicht an die Bedeutung von Blutsverwandtschaft glaube, nur an Prägung durch Lebensbedingungen, kulturelle Normen und Werte, Erfahrungen und menschliche Begegnungen.
Aber mir gefällt die Vorstellung, dass es sich ergeben hat, dass die angeblich von Jakobs zwölf Söhnen gegründeten Stämme Menschen mit großen Begabungen waren, angetan mit einem scharfen Verstand, einer tiefen Spiritualität, hohen moralischen Ansprüchen, Mut und Leidenschaft. Menschen, die etwas auf die Beine stellen, für Entwicklung sorgen und die Welt zu einem besseren Ort machen. Vorbilder für alle anderen.
Natürlich leben auch in Israel zu viele boshafte Menschen, so wie überall auf der Welt. Aber eine jahrtausendealte Kultur, für die Respekt gegenüber den Menschen und eine tiefe Verbindung zum Schöpfer als höchstes Gut gilt, eine Kultur der geistlichen und wissenschaftlichen Bildung, der meisterhaft erzählten Geschichten, der fröhlichen, lebendigen Musik, die gilt es zu erhalten und zu feiern und zu schützen vor denen, die sie auslöschen wollen.

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