Samstag, 16. Februar 2019
Ein Hoch auf die Mittelmäßigen
15 Dies alles hab ich gesehen in den Tagen meines eitlen Lebens: Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit.
16 Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest.
17 Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht sterbest vor deiner Zeit.
18 Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.

Prediger Salomo 7, 15-18 – Predigttext für Sonntag, den 17.02.2019

Es geht hier um die wichtige Frage, ob es sich lohnt, ein guter Mensch zu sein, was auch immer es heißt ein guter Mensch zu sein. Aber eigentlich muss man das nicht erklären, oder? Die goldene Regel, anderen nichts anzutun, was man selber nicht erleiden möchte und andere so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte, zieht sich durch sämtliche Religionen und zwar seit Jahrtausenden. Wir wissen alle, was richtig und falsch ist, was gut und was böse, zumindest im Wesentlichen.

Menschen sehnen sich nach Gerechtigkeit. Das ist auch nichts Neues. Wer sich anstrengt, soll etwas gewinnen. Wer anderen die Hölle heiß macht, soll selbst in ihr schmoren. So wünschen die meisten sich die Welt. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus.:
Engagierte Bürger kämpfen gegen Windmühlen, einfühlsame, hilfsbereite und mitfühlende Menschen werden verarscht, ausgelacht, betrogen und am Ende noch krank und allein gelassen.
Stinkreiche Industrielle, korrupte Politiker, skrupellose Despoten, nehmen sich statt eines angemessenen Stückes gleich den ganzen Kuchen und treten die Hungrigen um sich herum in den Staub. Und es geht ihnen gut dabei. Zumindest sieht es so aus. Wie ungerecht. Man möchte pausenlos kotzen.

Und jetzt wird es interessant: Der Prediger ruft nicht auf zum Aufstand der Gerechten. Kein Friede den Hütten, Krieg den Palästen. Aber er propagiert auch nicht das selbstlose, duldsame Aufopfern für das Gute. Keine bedingungslose Selbsterniedrigung, denn als weiser Prediger weiß er: Selbsterniedrigung macht krank und richtet den Menschen zugrunde.
Er warnt aber auch davor, das Streben nach dem Guten und Richtigen aufzugeben. So nach dem Motto: alle anderen benehmen sich ja auch wie 'ne offene Hose, warum soll ausgerechnet ich mich korrekt verhalten?
Ich bin sogar etwas irritiert, wenn da steht: „Sei nicht allzu gottlos.“ Was soll das heißen? Ein bisschen gottlos ist schon okay, es sollte nur nicht gleich jeder merken? Oder vielleicht, ein bisschen gottlos auftreten, im Kern aber doch religiös sein und wenn es drauf ankommt, die richtigen Entscheidungen treffen? Und warum stirbt man frühzeitig, wenn man gottlos lebt? Vielleicht weil man früher oder später von irgendwem gemeuchelt wird, wenn man wie die Axt im Walde wütet?

Das Fazit des Predigers verstehe ich so: Lass dich nicht über den Tisch ziehen, wehr dich, zeig den Arschlöchern deine Zähne, sei auch mal gemein, wenn es sein muss, aber verhärte dein Herz nicht, bleibe im Kern ein guter Mensch und wenn du die Verbindung zu Gott aufrecht erhältst, wird dir das auch gelingen.

Im Alten Testament klingt manchmal der Stolz durch, der im Christentum verloren gegangen ist, und ich bin mir bis heute nicht ganz sicher, was ich besser finde.

Zum Hintergrund: Dieser Text wurde nicht vom legendären König Salomo verfasst. Er war der Erbe des politisch und militärisch erfolgreichen Königs David, dem zweiten König Israels überhaupt. Er wird als weise gelobt, war aber derjenige, der das Land in den Verfall führte – seine beiden Söhne erledigten den Rest und spalteten das Land. Salomo konzentrierte sich wohl mehr auf Kunst, Architektur und Literatur, scharte als weise geltende Menschen um sich, hatte Sinn für kluge Erkenntnisse, Religion und Philosophie. An seinem Hof entstand dieser Text, eine Sammlung von Ratschlägen und Sinnsprüchen.

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