Sonntag, 19. Mai 2024
Von Zombies und Geistern, nicht nur von Heiligen
https://www.die-bibel.de/bibel/BB/EZK.37
Es reicht, wen Sie bis Vers 14 lesen.

Was für ein gewaltiger Predigttext! Und er mag befremdlich wirken, in einer Zeit, in der Israel die Welt weiter polarisiert. Kritik an Israels Reaktion auf den Angriff durch die Hamas, aber eben auch bedingungslose Solidarität mit einem Volk, dass viel zu lange auf der ganzen Welt herumgeschubst wurde - und bis heute nicht sicher ist. Beide Sichtweisen haben ihre Berechtigung und es scheint unmöglich, diesen Konflikt zu lösen.

Pfingsten dagegen ist nicht nur der Geburtstag der Christlichen Kirche, es ist auch das Fest der Völkerverständigung. Das Pfingstwunder als Rückreaktion der Sprachverwirrung zu Babel.

Kleine Info für Bibelunkundige: In Alten Testament wird berichtet, dass die Menschen einen Turm so hoch in den Himmeln bauen wollten, bis sie bei Gott ankamen. Weil Gott verhindern wollte, dass sie in ihrem Größenwahn die ganze Welt zerstörten, verwirrte er ihre Sprachen. Da sie sich nicht mehr untereinander verständigen konnten, musste sie das Projekt abbrechen.
An Pfingsten - so wird es in der Apostelgeschichte berichtet - 10 Tage nach Jesu Himmelfahrt und damit 50 Tage nach Ostern, fand auch zeitgleich ein jüdisches Erntefest (50 Tage nach Pessach) statt, zu dem viele Touristen aus dem weitläufigen Ausland anreisten. Sie sprachen sehr verschiedene Sprachen. Als Petrus jedoch eine Predigt über den auferstandenen Jesus von Nazareth hielt, konnten ihn alle verstehen. Unmittelbar nachdem der von Jesus angekündigte Heilige Geist von ihm und seinen Mitjüngern Besitz ergriffen hatte.

Jetzt aber zurück zum Predigttext. Diese gruselige Wiedergänger-Erweckung wird als Vision beschrieben, nicht als tatsächliches Ereignis. Sie besitzt eine große symbolische Bedeutung, die im Text selbst erklärt wird. Israel war ins feindliche Babylonien verschleppt worden und befand sich dort in Gefangenschaft. Wie demütigend, entmutigend und deprimierend eine solche Deportation auf die Menschen gewirkt haben muss. Entwurzelt und ihrer kulturellen und religiösen Identität beraubt, war es doch schwierig, sich im Exil nicht an die örtlichen Regeln der Machthaber anzupassen.
Die Vision des Propheten ist gleichsam als Appell zu deuten, sich dem eigenen Glauben wieder zuzuwenden, aber auch als Ermutigung, dass die Verzweiflung ein Ende haben wird, dass die Gemeinschaft durch den Glauben, die Anhänger des jüdischen Glaubens stärken wird und damit die Rückkehr ermöglichen wird.

Natürlich denken und fühlen wir heute nicht mehr in solchen Kategorien. Aber ich kenne das auch, ständige Rückschläge und Hindernisse, die mich mutlos machen, mir die Kraft rauben, dass ich mich nur noch fühle wie ein Haufen vertrockneter Knochen und dann braucht es einen Gamechanger, um den inneren Antrieb wieder in Gang zu bringen.

Vermutlich würde es die Konflikte in dieser Welt eher verschärfen als lösen, wenn alle Menschen sich radikal auf ihre religiösen Werte zurückbesinnen würden. Das will ich mir lieber nicht vorstellen.

Aber es gibt ja universelle Werte, die in allen Religionen und auch säkularen Weltanschauungen eine tragende Rolle spielen, die das Potential besitzen, uns alle miteinander zu verbinden. Und es gibt viele Menschen, die genau diesen Weg gehen wollen. Lesen Sie mal - wenn Sie Zeit haben - "Apeirogon" von Colum McCann. Solche Menschen müssen wir unterstützen, wo wir nur können - und von ihnen lernen.
In diesem Sinne: Frohe Pfingsten!

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Mittwoch, 8. Mai 2024
Kurz vorm Abflug
Assoziieren Sie einmal zu den 5 folgen Begriffen:

Zeugen, empfangen, Geist, heilig, Kraft. Etwa so:

Zeugen:
sehen, hören, berichten, aussagen, Wahrheit, Beweis, Ehrlichkeit, Mut, Anklage, Verteidigung, Zeugnis, Zeitzeugen, der letzte Zeuge, Zeugenstand

empfangen:
bekommen, kriegen, aufnehmen, Schwangerschaft, Geschenk, eindringen, annehmen, bereit sein, auf Empfang, Aufmerksamkeit, Wertschätzung.

Geist:
Seele, Gefühle, Kopf, Verstand, Intelligenz, Gespenst, Körperlosigkeit, Leichtigkeit, unfassbar, allgegenwärtig, Licht, Luft, wehen, Hauch.

Heilig:
göttlich, wertvoll, wichtig, bedeutsam, Engel, Segen, Salbung, Rituale, Kraftorte, Tempel, Baum, Hain, Steine, Öl, Weihrauch, Allerheiligen, Verehrung, Devotionalien, Reliquien, Würde, Respekt

Kraft:
Stärke, Macht, Energie, Muskeln, Geistkraft, Bewegung, Wirkung, Leben, Gesundheit

"Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen und werdet meine Zeugen sein." Apostelgeschichte 1,8

Diese Worte hat Jesus laut der Apostelgeschichte zu seinen Jüngern gesprochen, kurz bevor er vor ihren Augen verschwand. Mich interessiert nicht, ob sich diese Situation tatsächlich so ereignet hat, sondern vielmehr, worin die theologische Intention der Erzählung besteht.

Der Anführer lässt die wenig selbstbewussten Freunde zurück und muntert sie auf: Ihr werdet auch ohne mich klarkommen, denn ihr werdet von einem Geist erfasst, der euch innere Stärke verleiht und dann werdet ihr das, was ich euch erklärt habe weiter tragen und überall erzählen, was ihr mit mir erlebt habt, so bleibe ich dann für immer bei euch.

Wie es sich wohl anfühlt, wenn man von diesem Geist ergriffen wird? Was löst das aus? In alten Zeiten glaubten Menschen, dass dieser göttliche Geist geradezu Zauberkräfte verleiht: Man konnte dann böse Geister austreiben, Krankheiten heilen, sogar Tote zurück ins Leben holen.
Vernunftbegabte, moderne Menschen glauben so etwas nicht. Also steckt nichts für uns in diesem Bild?

Vielleicht doch. Es gibt Situationen, die sich so anfühlen, als wenn auf einmal eine besondere Energie Besitz von einem ergreift. Man fängt deswegen nicht an, verrückt zu spielen, man ist nur besonders angerührt. So etwas passiert zum Beispiel in Gemeinschaft, bei Naturerfahrungen oder in der Meditation. Und das verleiht Stärke, Mut und Selbstwirksamkeit. Man hat dann das Potential, über sich hinauszuwachsen, zumindest für einen Augenblick.

Ich denke dass jede:r der/die bereit ist, das zuzulassen, das hin und wieder erleben wird.

Genießen Sie den Feiertag :-)

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Samstag, 13. April 2024
Vater Abraham hat keine Söhne
Kennen Sie „A Handmaids Tale“ (Der Report der Magd) von Margaret Atwood? Dienerinnen empfangen und gebären Kinder von ihrem Herren und liegen dabei im Schoß der Herrin, damit es deren legitimes Kind ist, weil die Herrin nicht selbst gebären kann oder will. Eine ekelhafte Dystopie, die ihre Wurzeln vielleicht in der folgenden Geschichte hat:
https://www.bibleserver.com/LUT/1.Mose16%2C1-16
Schauen wir einmal hin: Sarai wird einfach nicht schwanger und in ihrer Verzweiflung wählt sie für ihren Mann eine Zweitfrau aus, die für sie beide ein Kind zur Welt bringen soll.
Vielleicht hat sie Angst wegen ihrer Kinderlosigkeit verstoßen zu werden oder sie erträgt es nicht, dass sie ihrem Mann seinen sehnlichsten Herzenswunsch nicht erfüllen kann oder sie fürchtet sich davor selbst ohne Nachkommen zu bleiben, denn das galt in der jüdischen Tradition als Verurteilung zum ewigen Tod.
Zweifelsohne nutzt sie ihre Machtposition aus, die Magd hat keine Wahl, muss sich den Anordnungen fügen, das wird umso deutlicher in dem Ausspruch Abrams: Sie ist deine Magd, du bist ihre Herrin, mach mit ihr was du willst. Wie ekelhaft.

Der Plan geht auf und die Dienerin wird schwanger. Doch nun geschieht etwas außerplanmäßiges: Die Schwangere wird sich ihrerseits ihrer Macht aufgrund der veränderten Umstände bewusst. Sie ist die Fruchtbare, die den Stammbaum Abrams errichtet, ihre Herrin wird zur Nebendarstellerin und sie kann es sich nicht verkneifen, ihren Triumph sichtbar auszukosten.

Aber hier ist der Konkurrenzkampf noch nicht zu Ende. Sarai zieht andere Saiten auf, noch ist sie hier die Herrin und sie verlangt von Abram, dass er ordnend eingreift. Der wiederum wünscht nicht mit solchen Frauenangelegenheiten behelligt zu werden und erlaubt seiner Gattin, mit der Sklavin zu verfahren wie es ihr gefällt. Sie beginnt, sie zu demütigen. Vermutlich hat sie ihr die unangenehmsten Arbeiten zugewiesen, sie beleidigt, verhöhnt und mit Strafe gedroht, wenn sie wieder frech wird.
Niemand hält so etwas lange aus, also ergreift Hagar die Flucht.

Doch an einem Brunnen in der Wüste spricht ein Engel zu der mehrfach gedemütigten, verheißt ihr einen Sohn, der es allen zeigen und sich von niemandem auf seinen Platz verweisen lassen wird. Ein Sohn mit zahlreichen Nachkommen, Ruhm und Ehre für die gedemütigte Hagar.
Aber der Engel übt auch Kritik: Sie hat die Eskalation provoziert. Sie wurde ausgenutzt, aber das gibt ihr nicht das Recht ebenfalls zu verletzen und zu demütigen. Sie soll zurückkehren, sich entschuldigen, sich unterordnen. Sie ist nicht beleidigt oder wütend, sie beschließt es so zu sehen, dass sie bei allen Erniedrigungen und Ausgrenzungen, die sie in ihrem Leben erfahren haben mag, von einem niemals übersehen wird: von dem Gott, zu dem auch Abram und Sarai beten.

Hagar kehrt zurück in der Gewissheit, dass ihre Stunde kommen wird. Ob wirklich jemand mit ihr ein Gespräch geführt hat, vielleicht, weil er sie allein und weinend an dem Brunnen angetroffen hat, oder ob sie sich das Ganze gründlich durch den Kopf gehen ließ und die Entscheidung traf, es noch einmal zu versuchen, ist dabei nicht so wichtig. Die Demütigungen und Konflikte haben sich später wiederholt und am Ende floh sie mit ihrem zwölfjährigen Sohn, um sich an einem anderen Ort mit ihm gemeinsam eine Existenz aufzubauen. Eine zweite Vertreibung aber auch eine Erfolgsgeschichte.

Was ich aus dieser Geschichte filtere, ist die ausgleichende Gerechtigkeit, die das Leben so oft bereit hält, ganz egal, welche Entscheidungen einzelne Menschen treffen, dass Geduld sich lohnt und dass es immer besser ist, Konflikte nicht zu provozieren und erst recht nicht, sie eskalieren zu lassen.
Aber auch, dass von Menschen erdachte Hierarchien dem Leben und dem Lauf der Welt egal sind. Sie bedeuten gar nichts. Es ist wichtig, in Übereinstimmung mit den eigenen Werten zu leben, das zu tun, was einem möglich ist und das möglichst gut. Alles andere findet sich.

Darüber hinaus sollte man weiterhin gegen Unrecht aufbegehren, sich gegen Unterdrückung wehren, für Schwache eintreten und Despoten vom Thron stoßen – vorausgesetzt, man ist dazu in der Lage und es handelt sich um den passenden Zeitpunkt.

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