Freitag, 28. April 2023
Alles wird doof
No Future oder alles wird gut? Beides besonders platte Aussagen. Glück und und Unglück gibt es zwar im globalen Rahmen (Krieg, Klimawandel, Naturkatastrophen…), aber meistens ist das sehr individuell und eher ungleichzeitig. Doch wir leben in unruhigen Zeiten mit düsterer Perspektive. So ging es auch den Menschen im antiken Israel zur Zeit Jesu: Imperialismus, Unterdrückung, lebensgefährliches Machtgerangel. Und dann machte Jesus sich auch noch vom Acker:

https://www.bibleserver.com/LUT/Johannes16%2C16-23

Wer um die biblischen Zusammenhänge weiß, liest schnell über die Geschichte hinweg. Jesus kündigt mal wieder seinen Tod und seine Auferstehung an, wir wissen, wie es ausgeht. Langweilig.
Die Jünger:innen wussten das nicht. Sie verstanden ihn nicht. Und wenn wir das Verlassenwerden, die Zeit sehr großen Leidens und die Rückkehr des Lebens und der Freude nach sehr schweren Zeiten als eine allgemeine menschliche Erfahrung betrachten, sieht es schon wieder anders aus. Dann könnte ich diesen Text auch so lesen:

"Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen" = Aktuell ist noch alles einigermaßen im Lot, aber schon sehr bald wird es richtig schlimm.

"und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen." = Das dauert aber nicht lange, dann wird es wieder besser.

"Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet." = Was heißt das, wir haben nicht mehr viel Zeit, dann ist es zu spät, was soll denn da schon passieren? Und womit sollen wir es aufhalten?

"Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; " = Ihr werdet richtig absteigen und fast alle werden gegen euch sein. Oder: Die Natur wird sich gegen euch richten, es wird richtig weh tun, aber vor allem euch, der Natur ist das egal, die wird sich von den Menschen erholen.

"ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur Freude werden." = Ihr müsst etwas Schlimmes überstehen, aber das geht vorbei und dann werdet ihr wieder lachen können.

"Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. 23 Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen." = Ihr werdet das überstehen und euch danach unverwundbar fühlen. Ihr werdet so froh sein, dass ihr keine Fragen mehr haben werdet und ihr werdet verstanden haben, was euch heute noch als Rätsel erscheint.

Ich finde so ist das Leben, in ständiger Wiederholung. Katastrophen, Sackgassen, Verzweiflung, scheinbar unlösbare Probleme. Blicken Sie mal zurück in die Vergangenheit: Interessiert Sie heute noch die Angst vor der Mathearbeit oder vor der Zeugnisausgabe?

Natürlich gibt es Traumata, die ein Leben lang nachwirken: schwere Verletzungen, große Verluste. Aber selbst nach so herben Einschnitten geht das Leben weiter, gibt es auch wieder Freude, Liebe, Glück.

Ein Durchhaltetext für alle, die Schweres vor sich haben. Und das haben wir alle – als Individuen, als politische Gemeinschaft, als Menschheit, als Wesen dieser bedrohten Welt.

Es wird hart. Aber es gibt ein danach und wir werden uns wieder erholen. Und wer es nicht überlebt, auf den wartet vielleicht ein ganz besonderes Abenteuer.

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Mittwoch, 19. April 2023
Die Mehrheit der Priester ist nicht sexuell gewalttätig, aber...
...die Kirche ist ein Ort struktureller Gewalt.

In allen Texten für den 2. Sonntag nach Ostern geht es um ein uraltes und brandaktuelles Thema: religiöse Führer, die ihre Macht missbrauchen, auf vielfältige und absonderliche Weise und damit die Herde der Religionsgemeinschaft in den Abgrund führen, statt sie zu leiten, zu versorgen und zu beschützen.

Wer selbst lesen will, hier der Predigttext:
1. Petrus 5, 1-4
Das Evangelium: Johannes 10, 11-30
Die Epistel: 1. Petrus 2, 21b-25
Altes Testament: Hesekiel 34, 1-16 + 31
Psalm 23

Das gab es also schon immer. Verknöcherte Strukturen, die sich verselbständigen, weil die Leitenden davon profitieren oder sich einfach darin eingerichtet haben.

Das gilt nicht nur für Priester, Pfarrer:innen, Diakon:innen; auch für pädagogische Fachkräfte, Presbyter:innen, Ehrenamtliche, die Gruppen leiten - sie alle sollten Hirten sein und werden allzu oft zu Wölfen.

Es gibt dazu einen guten Artikel von Heribert Prantl in der SZ von Ostern 2023 unter dem Titel "Gottvergessen".

Kirche muss sich bewegen. Etwas bieten, ohne sich anzubiedern, den Erfordernissen der Zeit nachkommen, ohne blind den Trends hinterherzulaufen.
Eigene Trends setzen, überraschen. Aber vor allem: zuhören, hinschauen, Hilfe anbieten, wirksam handeln, Gemeinschaft stiften und alle einladen, nicht nur die vertrauten, kultivierten Bildungsbürger:innen, mit denen man sich grundlegend einig ist.
Das ist oft schwieriger als man glaubt, aber unbedingt nötig. Nicht für die Kirche, sondern für die Menschen.

Was müsste in einer Kirche passieren, die Sie regelmäßig besuchen würden?

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Freitag, 14. April 2023
Begegnung mit Gott
Im Evangelium dieses Sonntags, Johannes 20,19-29 erscheint Jesus seinen Jüngern, als Auferstandener wohlgemerkt. Hier findet also eine Begegnung mit Gott selbst statt, nach biblischem Verständnis.
Um eine solche Gottesbegegnung geht es auch im Predigttext, der jedoch im Alten Testament zu finden ist. Es ist der Kampf Jakobs am Fluss Jabbok, eine eigenartige Geschichte:

https://www.bibleserver.com/LUT/1.Mose32%2C23-33

Die Lutherübersetzung habe ich wegen der Sprache des Verses gewählt, der mir zentral erscheint. Darum versuche ich hier einmal zu erklären, worum es geht:

Jakob, der Enkel des Erzvaters Abrahams, der seine Heimat verlassen musste, weil er seinen Bruder Esau um das Erstgeborenenrecht betrogen hatte, ist auf der Reise mit seinen Frauen, Kindern und Gesinde unterwegs zu einem Versöhnungsbesuch bei seinem Bruder, beladen mit Geschenken und einem Herz voller Reue und einem Kopf voller taktischer, diplomatischer Pläne. Er schickte dreimal Boten mit Geschenken vor, um seinen Bruder milde zu stimmen. Er hatte mächtig die Hosen voll.

Nun trat er nachts den letzten Teil der Reise an, weckte seine Angehörigen und schickte alle voran, um den Fluss Jabbok an einer flachen Stelle zu überqueren. Als er selbst als letzter hinüber wollte, hielt ihn ein Unbekannter fest, der mit ihm kämpfte. Jakob erwies sich als besonders wehrhaft und der Gegner griff darum zu rabiaten Methoden, riss an seiner Hüfte und kugelte sein Gelenk aus. Dabei forderte er, losgelassen zu werden.
Und dann sagte Jakob diesen Satz, den ich so wichtig finde:

"Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn."

Das klingt gewaltiger als: "Ich lasse dich erst los, wenn du mich gesegnet hast." wie es sich zugegeben verständlicher in anderen Übersetzungen findet.

Dann fragte der Kämpfer nach Jakobs Namen, der nannte ihn und der Kämpfer erklärte, er solle nun Israel heißen, das bedeute Gotteskämpfer, er habe mit Gott und den Menschen gekämpft und sei stets als Sieger daraus hervorgegangen.
Dann fragte Jakob nach dem Namen des Ringers, der dies für nebensächlich hielt und Jakob stattdessen einfach segnete.
Jakob gab dem Ort des Geschehens einen Namen, der bedeutete, dass er dort das Gesicht Gottes gesehen habe und am Leben geblieben war, obwohl es damals zur festen Überzeugung der Menschen gehörte, dass das Ansehen des göttlichen Gesichtes einen umbrächte, weil man so viel Glanz und Herrlichkeit nicht ertragen könne. Vergleichbar mit dem Blick in die Sonne oder einer zu großen Annäherung an dieselbe.

Aber Jakob hatte es überlebt. Was ihm blieb, war eine verrenkte Hüfte, die ihn den Rest seines Lebens an diesen Vorfall erinnern sollte. Physiotherapie, Osteopathie und Orthopädie gab es noch nicht.

Was soll dieses Ringen, dieses Hindern an der Überquerung des Flusses? Das verstehe ich nicht. Jakob reist ja in bester Absicht, um sich mit seinem Bruder zu versöhnen. Sind es seine Ängste, gegen die er kämpft, der innere Schweinehund, der ihn kurz vor dem Ziel zu einem Rückzieher verleiten will? Vielleicht.

Warum erkennt Jakob Gott in dem Gegner und nicht irgendeinen Räuber, der ihn bestehlen oder ermorden will? Oder wird ihm das erst klar, als sein Gegner ihm erklärt, er habe gegen Gott und die Menschen gekämpft und gewonnen?
Aber warum sollte jemand gegen Gott kämpfen und warum sollte man ihn besiegen und womit? Auf diese Fragen finde ich keine Antworten. Sie vielleicht? Es heißt allerdings auch nicht, dass er GEGEN Gott und die Menschen gekämpft habe, sondern MIT Gott und Menschen. Das ist ein Unterschied. Das ist ein fairer Kampf auf Augenhöhe, keiner der dazu dient, den Gegner zu vernichten, sondern nur dazu, die Kräfte zu messen und herauszufinden, wer der Stärkere ist.

Viele interpretieren den Ringkämpfer am Jabbok als Engel, vielleicht einen der Erzengel. Mir ist das alles egal. Was mich interessiert, ist dieses Einfordern des Segens. Entweder tat er das Unerwartete und ließ seinem Angreifer das Leben und die körperliche Unversehrtheit als Gegenleistung für einen Segen, der aus seiner Sicht garantierte, dass der Angreifer nicht noch einmal tätlich würde oder Jakob wusste bereits, wen er da vor sich hatte und verlangte den Segen als eine Art persönlichen Schutzzauber, denn er hatte ja eine gefährliche Aufgabe vor sich.

Was für ein spannendes Gottesbild. Nicht einfach hinnehmen, was einem das Schicksal in den Schoß legt, nicht demütig bitten, beschützt und geleitet zu werden, nein, mutig und aggressiv einfordern, dass der Schöpfer einen gefälligst segnen soll und bevor er das nicht tut, gibt man nicht nach im Kampf um Gehör, Aufmerksamkeit, Zuwendung, Schutz. Nicht nur gegenüber einem imaginären Geistwesen, sondern vor allem gegenüber anderen Menschen. Denn auch Jakob, hatte ja mit Gott UND Menschen gekämpft. Ja, Segen darf man einfordern, sogar darum ringen, bis er einem gewährt wird.

Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.

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