Mittwoch, 16. September 2020
Im Garten der Lust – eine Fabel
„Guten Morgen Krähe“, sagte die Kuh. „Ich habe in den letzten Tagen oft an dich gedacht, denn du weißt bestimmt Rat.“
„Worum geht es denn?“, fragte die Krähe, eifrig bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, wie geschmeichelt sie sich fühlte.
„Ach weißt du“, erklärte die Kuh, „mir ist aufgefallen, dass meine Schwestern und Tanten mich so kritisch beäugen, wenn ich meine Kameradin ablecke, so als täte ich etwas Unanständiges, dabei fühlt es sich so schön an, über ihr warmes, glattes Fell zu lecken und wenn ihre Zunge über meinen Hals gleitet, dann prickelt es unter meiner Haut und ich hätte es am liebsten, sie würde nie wieder damit aufhören. Aber was ist falsch daran?“
„Daran ist nichts falsch.“, antwortete die Krähe. „Wie kommst du darauf?“
„Weil die anderen so komisch gucken.“, meinte die Kuh.
„Kühe gucken immer blöd.“, antwortete die Krähe. „Das hat nichts mit dir zu tun, das bildest du dir nur ein.“
„Aber der Stier steht immer wutschnaubend am Zaun und schnauft: ‚Wenn ich erst auf eure Weide gelassen werde, dann werde ich dir diese Schweinereien schon austreiben.‘“
„Dann ist er wohl eifersüchtig.“
„Vielleicht. Aber er meint auch, es sei gegen die Natur. Aber wie kann etwas gegen die Natur sein, das so viel Freude bereitet?“
„Nun“, sagte die Krähe, „ich werde Nachforschungen anstellen und der Sache auf den Grund gehen.“

Gern sonnte die Krähe sich im Glanz der rückhaltlosen Bewunderung für ihre große Weisheit und ihr schier grenzenloses Wissen. Tatsächlich wusste die Krähe keine Antwort auf die Frage ob es nun falsch oder richtig war, wenn sich die Kühe ihren gegenseitigen Zärtlichkeiten hingaben. Eigentlich konnte daran nichts falsch sein, aber sicher gab es auch Gründe für die Vorbehalte der anderen Kühe und vielleicht war der Stier nicht nur eifersüchtig. So beschloss sie, möglichst vielen die Frage zu stellen, ob etwas, das Spaß, Freude und Genuss bereitete, falsch sein konnte.

Als erstes traf sie die Katze, die sich lüstern in der Sonne räkelte. Also fragte die Krähe: „Sag mir Katze, kann es falsch sein, etwas zu tun, das Spaß, Freude und Genuss bereitet?“
„Auf keinen Fall.“, antwortete die Katze entschieden. „Es ist eine Schande, auf irgendetwas zu verzichten. Die warme Maus will verputzt werden, die stehen gelassene Sahne geschleckt, der süße Kater vernascht und das weiche Bett belagert werden. Aber was weiß ich schon? Frag doch Frau Lust.“
„Und wo finde ich Frau Lust?“
Die Katze zuckte mit den Schultern und rollte sich auf dem Rücken hin und her. Aus der war nichts weiter herauszubekommen, sicher hatte sie einen rolligen Kater gewittert.

So flog die Krähe weiter und kam zum Hund.
„Guten Tag Hund.“, begrüßte ihn die Krähe. „Ich bin auf der Suche nach Antworten auf die Frage, ob es falsch sein kann, etwas zu tun, das Spaß, Freude und Genuss bereitet.“
„Aber natürlich kann das falsch sein.“, antwortete der Hund entschieden. „Das Allerwichtigste im Leben ist die Pflichterfüllung, die Treue gegenüber dem Anführer, der für das Futter sorgt und den sicheren Schlafplatz. Die Freuden, die er mit gönnt, darf ich natürlich genießen, aber einfach tun, was ich will? Niemals! Das wäre grober Ungehorsam. Ich habe schon auf so manchen knackigen Knochen verzichtet und so vielen bildschönen Hündinnen hinterhergeschaut. So ist das Leben. Man kriegt nicht, was man begehrt, sondern das, was einem zugeteilt wird. - Aber was weiß ich schon? Frag doch Frau Lust.“
„Und wo finde ich Frau Lust?“
„In ihrem Garten.“
„Und wo ist der Garten?“
„Woher soll ich das wissen? Ich bin doch schließlich nur ein Hund und kann hier nicht weg.“
„Ja, das hast du wohl Recht“, erwiderte die Krähe, „aber trotzdem danke.“

Und so flog sie ein Stück weiter, bis sie an einen See kam. Dort thronte ein stolzer, weißer Schwan auf dem Wasser.
„Hey, Schwan“, rief die Krähe. „Komm doch mal bitte zu mir ans Ufer, ich würde dich gern etwas fragen.“
Der Schwan näherte sich höflich und fragte: „Womit kann ich dir helfen?“
„Wie siehst du das?“, fragte die Krähe, „Kann etwas falsch sein, das Spaß, Freude und Genuss bereitet?“
„Im Prinzip nein.“, erwiderte der Schwan. „Gutes Essen, entspannter Schlaf, ein ausgiebiges Bad und vor allem die Liebe, nein das ist alles gut, es sei denn...“
„Es sei denn was?“
„Ich kann es nicht erklären.“, sagte der Schwan. „Aber das Vergnügen der Paarung, das geht nicht ohne Liebe und Liebe geht nicht ohne Treue. Keine Ahnung warum, aber was weiß ich schon? Frag doch Frau Lust.“
„Und wo finde ich Frau Lust?“
„In ihrem Garten.“
„Und wo ist der Garten?“
„Im Osten.“

Unschlüssig flog die Krähe gen Osten und flog und flog und flog bis sie an einen breiten, klaren Fluss gelangte. Dort entdeckte sie einen großen, silbern glänzenden Fisch im Wasser.
„Lieber Fisch“, sagte die Krähe, „findest du, dass es falsch ist, etwas zu tun, das Spaß, Freude und Genuss bereitet?“
„Was soll das sein?“, fragte der Fisch.
„Ich weiß nicht.“, antwortete die Krähe. „Gutes Essen, Behaglichkeit, Liebe, Paarung.“
„Das macht man.“, antwortete der Fisch unbewegt.
„Und das macht doch Spaß oder ist ein Genuss, oder?“, fragte die Krähe.
„Nö“, erwiderte der Fisch und eine dicke, runde Blase stieg auf und zerplatzte an der Wasseroberfläche.
„Was gefällt dir denn?“, fragte die Krähe.
„Nichts.“, sagte der Fisch. „Ich bin. Das muss reichen. Aber was weiß ich schon? Frag doch Frau Lust.“
„Und wo finde ich Frau Lust?“
„In ihrem Garten.“
„Und wo ist der Garten?“
„Im Osten.“
„Ich bin im Osten. Aber wo genau finde ich ihn?“
„Flieg weiter flussabwärts, bis du den Ozean sehen kannst. Dann lass deinen scharfen Blick schweifen und du wirst den Garten wohl finden.“

Und so flog die Krähe flussabwärts und als sie in der Ferne das tiefe Blau des Ozeans erkannte, ließ sie ihren Blick schweifen und entdeckte alsbald einen üppigen, grünen Fleck voller Tupfer in allen Farben des Regenbogens. Sie flog den Garten direkt an und ließ sich auf dem Zweig eines Kirschbaumes nieder und weil sie hungrig und durstig war, labte sie sich an den köstlichen Früchten.
Schon wenig später entdeckte sie einen Vogel, eine Krähe wie sie, nur nicht schwarz sondern mit schillernd buntem Gefieder.
„Hallo Krähe.“, empfing sie der Vogel. „Was führt dich zu mir?“
„Bist du Frau Lust?“, fragte die Krähe.
„Die bin ich.“
„So viele Tage und Wochen bin ich herumgeflogen.“, stöhnte die Krähe. „Dabei suche ich nur eine Antwort. Zuerst habe ich die Katze getroffen, die geradezu eine Sklavin des Genusses ist, danach den Hund, das krasse Gegenteil, für ihn stehen Pflicht und Gehorsam an erster Stelle, danach traf ich den Schwan, für den Liebe und Treue das höchste Gut sind und schließlich den Fisch, der gar nicht weiß was Freude und Genuss bedeuten. Die Frage lautete: Ist es falsch, etwas zu tun, das Spaß, Freude und Genuss bereitet? Alle verwiesen mich an dich. Wer hat denn nun Recht?“

Frau Lust wartete höflich, ob die Krähe noch etwas hinzufügen wollte. Dann antwortete sie: „Es ist ganz einfach. Wer von mir ergriffen wird, den lasse ich nicht mehr los, er muss sich ganz ergeben.
Mancher ist schon vom Geist der Treue besessen und von der Romantik beseelt, dann muss ich eben da anknüpfen.
Manche sind ganz vom Pflichtgefühl besessen, da habe ich nur selten eine Chance und manche haben einfach keinen Platz für mich.“
„Aber was ist richtig und was ist falsch?“, fragte die Krähe beharrlich.
„Richtig ist, so zu leben, wie es dir entspricht.“, antwortete Frau Lust. „Falsch wäre, wenn die lüsterne Katze sich zu Gehorsam und Pflichterfüllung zwingen würde. Das würde sie krank machen.
Falsch wäre, wenn der Fisch sich eine Lebenspartnerin suchte, sie würde ihn so nerven, dass er sie umbrächte.
Falsch wäre, wenn der Hund sich seinen Trieben auslieferte, er würde vor Scham sterben und die strafende Zurückweisung seines Anführers nicht ertragen. Genauso falsch wäre es, würde er ganz auf Spaß verzichten, das würde ihm die Lebensfreude nehmen.
Und wenn der Schwan sich der Lust enthielte, würde er vor Kummer sterben. Wenn er aber die Stimme seines Herzens überhörte und sich wild mit vielen Schwänen paarte, würde sein Herz erkalten und mit der Lust wäre es dann auch vorbei.

Die Kuh soll sich lecken mit wem sie will und der Stier darf sie begehren. Das ist alles richtig und gut. Ein weiser Mensch hat einmal aufgeschrieben: „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird.“ *

Und dann war Frau Lust plötzlich verschwunden. Die Krähe schlug sich den Bauch mit den leckeren Kirschen voll, machte ein langes Schläfchen in den schattigen Zweigen und als sie ausgeruht und wieder bei Kräften war, stärkte sie sich ein letztes Mal an allerlei Köstlichkeiten im Garten und machte sich dann auf den Heimweg.
Als sie zur Kuh kam, fand sie diese dabei vor, wie sie sich gerade vom Stier decken ließ. Höflich wartete die Krähe, bis der Liebhaber von ihr abließ, dann berichtete sie von ihren Abenteuern und der Antwort von Frau Lust.
Da freute sich die Kuh, auch darauf, dass morgen wieder zärtliche Stunden mit ihrer Freundin auf sie warteten. Von der Lust an der bevorstehenden Brutpflege ahnte sie noch nichts.

* !. Timotheus 4, 4

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Samstag, 12. September 2020
Zac (zu Lukas 19, 1-10)
Zac war schon der Geilste, hatte die neuesten Spiele für die Playstation, eine Riesenzimmer, coole Klamotten, Eltern, die zwei Mal im Jahr brav den Wunschzettel abarbeiteten. Aber irgendwas fehlte ihm noch. Vielleicht zog er deshalb so gern andere Kinder auf dem Schulhof ab: Jacken, Handys, was er kriegen konnte. Alle hatten Schiss vor ihm, aber keiner wollte sein Freund sein.
Der Neue war richtig cool, Buraq hieß er, war einen Kopf größer als die meisten, hätte jeden mit einem Schlag in Grund und Boden rammen können, machte er aber nicht. Stattdessen zeigte er anderen Tricks mit dem Basketball, half bei den Hausaufgaben, kümmerte sich um Verletzte, schlichtete Streit. Für jeden war er da, nur nicht für Zac, denn Zac brauchte ja niemanden.
Aber Zac brauchte jemanden, ganz dringend, und er wollte unbedingt Buraqs Freund sein. Aber das wollten ja alle. Dann passierte es. Zac kletterte auf das Schuldach, über die Feuerleiter, Riesenaufregung, die Lehrer dachten, er wolle springen. Buraq sah ihn da oben und kletterte die Feuerleiter hoch. Als er ganz nah bei Zac stand, sagte er: „Komm runter, Alter! Lass und heute Nachmittag bei dir zocken, ich hab‘ gehört, du hast das neueste Fifa-Game.“
Zac freute sich einen Ast. Alle bekamen es mit und waren voll sauer, aber Buraq war das egal. Er besuchte Zac und nach dem Nachmittag sagte der: „War Scheiße von mir, andere abzuziehen. Morgen fange ich an, alles zurückzugeben und dann lade ich euch alle zur Party zu mir nach Hause ein.“
„Mach das.“, sagte Buraq. Und so kam es. Es kam mit zwei Gästen. Buraq und Tim. Nur zwei. Aber zwei Freunde sind doch schon ein Anfang.

(Original hier:
https://www.bibleserver.com/LUT/Lukas19%2C1-10)

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Samstag, 5. September 2020
Antikes Rezept gegen Burnout
Schöner Predigttext am Sonntag in der Apostelgeschichte 6, 1-7 https://www.bibleserver.com/LUT/Apostelgeschichte6%2C1-7
Wenn der Pastor diesen Text als Legitimation für ein: „Ich kann nicht helfen (beim Abwaschen, Tische aufbauen, Getränkekisten schleppen), ich muss repräsentieren.“ missbraucht, möchte ich ihn umgehend mit seinem Beffchen garrottieren. Theologinnen sind da anders, die packen einfach mit an und tun, was getan werden muss. Es gibt auch Ausnahmen beiderlei Geschlechts, aber das sind wirklich Ausnahmen.

Schon in der Antike war den Berufschristen (oder Christen aus Berufung) klar, dass man nicht alles selbst machen kann, nur weil man einsieht, dass es gemacht werden muss.
Es gibt ja unter Pfarrer*inenn und pädagogischen Fachkräften diejenigen, die sich bis zum Burnout verzetteln, weil sie sich für alles verantwortlich fühlen, das ist sehr ungesund. Vor allem angesichts des sich kontinuierlich verschärfenden Pfarrer*innenmangels sollten die Kirchenleitungen endlich aus dem Dornröschenschlaf erwachen.

Ist es nicht verrückt, dass Menschen, die viele Jahre Theologie studieren, am Ende mehr mit Betriebsmanagement befasst sind als mit Verkündigung, Seelsorge und theologischer Fachkompetenz? Nur weil sie meinen, sie müssten in der Hierarchie des Systems Kirche ganz oben stehen? Obwohl sie das alles nie wirklich gelernt haben und viel teurer sind als kompetente Verwaltungsfachkräfte, die das viel besser könnten?

Genauso läuft es mit den pädagogischen Fachkräften in der Kinder- und Jugendarbeit. Weil die als Hauptamtliche bezahlt werden und die Hauptverantwortung tragen, schlagen sie sich überwiegend mit administrativen und koordinierenden Tätigkeiten herum, die sie auch eigentlich nie gelernt haben und das, was sie wirklich gut können, nämlich Angebote für Kinder und Jugendliche gestalten, müssen sie an dilettantische Ehrenamtliche übertragen, denen sie nur unzureichend auf die Finger sehen können.

Nun wollen wir ja nicht alle Macht den Verwaltungsfachleuten übertragen, dann werden wir ja noch deutscher, als wir sowieso schon sind. Aber die Arbeit von Grund auf neu verteilen, das wäre schon gut.

Und für alle, die das kircheninterne Gekröse nicht interessiert: Niemand kann die Welt allein retten. Tu das, was du gut kannst und mach deinen Mund auf, wenn du Handlungsbedarf siehst, den du nicht bedienen kannst.

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