Samstag, 12. Juni 2021
Schwurbler
Was bedeutet dieser Satz?
"Beruht die Überschreitung einer Inzidenzstufe maßgeblich auf einem klar abgrenzbaren Infektionsgeschehen in einer Einrichtung oder einem Unternehmen und ist eine Ausbreitung nach Einschätzung der zuständigen Behörden aufgrund der wirksamen Kontaktnachverfolgung nicht zu erwarten, kann das Ministerium von der Ausweisung der höheren Inzidenzstufe absehen."
Nach dreimaligem Lesen würde ich das einer Vierjährigen so erklären: "Stell dir vor, in einer Firma kriegen ganz viele Leute Corona, aber nur da. Weil alle gut aufpassen, stecken die keinen an. Dann müssen nicht alle in der Stadt gleich wieder vorsichtiger sein, obwohl so viele Leute krank sind."
Kommunizieren, so dass es auch verstanden wird, ist gar nicht so leicht. Aus vielen Gründen. Selbst, wenn man sich Mühe gibt.

Leider gibt es aber auch jene, die Sprache dergestalt gezielt einsetzen, dass sie gerade nicht verstanden werden. Hier einige Beispiele:

In der Politik, werden komplizierte Sätze und mehrdeutige Begriffe eingesetzt, um Realitäten zu verschleiern, Unangenehmes so aussprechen zu können, dass es sich trotzdem gut anhört. Man will sich verkaufen und sich später nichts vorwerfen lassen. Wenn es keiner versteht, umso besser, Hauptsache es klingt optimistisch und kompetent.

Von Verwaltungen werden all jene, die den Juristenjargon nicht gewohnt sind, mit Formularen, Erklärungen, Anordnungen usw. nahezu in den Wahnsinn getrieben. Hier geht es natürlich um Rechtssicherheit, nur die meisten Menschen verstehen die Behördensprache nicht und es bedarf einer regelrechten Übersetzung. Dabei wird gern gönnerhaft, genervt von oben herab doziert, statt sich in Grund und Boden zu schämen, dass man nicht in der Lage ist, sich allgemeinverständlich auszudrücken, obwohl man doch aus öffentlichen Mitteln, also von der Gemeinschaft bezahlt wird.

In den meisten Berufen und Disziplinen der Wissenschaft pflegen die Insider eine Fachsprache. Die ergibt dann einen Sinn, wenn es darum geht, komplexe Zusammenhänge auf einen Begriff zu reduzieren, den alle Eingeweihten mit diesen Zusammenhängen verbinden - das ist effektiv. Es ist auch hilfreich, um sich international besser austauschen zu können.
Oft geht es aber gar nicht um Verständigung, sondern um Abgrenzung vom Pöbel der Uneingeweihten. Erbärmliche Wichtigtuer*innen, die permanent schwafeln von Fachlichkeit, Professionalität und Kompetenz, statt einfach ihren Job zu machen.

Leider gibt es dieses Phänomen auch in der Theologie. Gern bekommt man da ein "Ja, das ist zugegebenermaßen schwierig zu verstehen, dazu müsstest du wirklich vertraut sein mit der Materie, aber das erfordert eine intensive Auseinandersetzung, teilweise über Jahre."
Papperlapapp. So kompliziert sind die religiösen Botschaften meistens gar nicht. Und wenn doch, dann hat man sie selbst vielleicht noch nicht so richtig verstanden, sonst könnte man sie nämlich erklären. Obwohl ich selbst schon in die Falle getappt bin und es vermutlich wieder tun werde, dabei bin ich nicht einmal Theologin.

Im Predigttext
(1. Korinther 14, 1-12 https://www.bibleserver.com/LUT/1.Korinther14%2C1-12 )
geht es um ein ähnliches Verhalten. Das sogenannte "Zungenreden" oder "in Zungen Reden" bezeichnet ein Phänomen des Stammelns unverständlicher Laute in religiöser Ekstase. Wer so etwas konnte, fühlte sich als Teil einer religiösen Elite und wurde wohl auch als besonders begnadeter Prophet angesehen. Im Prinzip bezeichnet Paulus dieses Treiben als spirituelle Masturbation, nur dass es hier um nichts Sexuelles geht. Aber es hat auch nichts mit Beziehungen zu anderen Menschen, Gemeinschaft oder Vermittlung göttlicher Botschaften zu tun. Es ist nichts weiter als religiöser Hirnwichs, spirituelles Wellnessprogramm mit Selbstwirksamkeit. Kann man machen, sagt Paulus, muss man aber nicht. Besser das, was man selbst verstanden hat, anderen verständlich vermitteln. Guter Mann. Auch wenn ich ihn meistens nicht mag, aber diese Text gefällt mir sehr.

Das wünsche ich mir auch für unsere Kirche, aber auch für alle anderen Bereiche unseres Lebens. Dass wir uns Mühe geben, einander zu verstehen und einander verständlich zu machen, statt resigniert mit den Schultern zu zucken, weil der/die Adressat*in angeblich zu blöd ist.

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