Freitag, 10. April 2020
Runter vom Kreuz! - Gedanken zur Sterbestunde Jesu
Ich war‘s nicht. Ich habe Jesus nicht ans Kreuz gebracht, weder aktiv noch passiv, ich habe da schließlich noch gar nicht gelebt.
Karfreitag wird in der katholischen Kirche die gesamte Passionsgeschichte nach dem Evangelisten Johannes gelesen: Ein Lektor liest den Erzähler, der Priester liest die wörtliche Rede Jesu und die Gemeinde liest die gesamte andere wörtliche Rede. Von evangelischen Gemeinden weiß ich, dass Sie auch Gottesdienste gegen 15.00 Uhr veranstalten – zur Sterbestunde Jesu.
Wer hat etwas davon, wenn wir uns an Karfreitag, schlecht, sündhaft und reuevoll fühlen? War es das, was der Sohn des Zimmermanns aus Nazareth gewollt hat?

Woher soll irgendjemand wissen, was er gewollt hat? Gesagt hat er jedenfalls: „Was ihr getan habt einem diesen meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan.“ (Zumindest steht es so bei Matthäus 25, 40.) Sein Leiden ergibt an sich keinen Sinn, es steht symbolisch für Leid das Menschen anderen Menschen antun. Als Mahnung, es besser zu machen.

Karfreitag wäre also ein Tag, darüber nachzudenken, wen man mit seinem Verhalten vielleicht symbolisch ans Kreuz gebracht hat. Vom inständigen Bedauern allein hat der oder die dann aber nichts. Runter vom Kreuz! Pläne schmieden, was man ab sofort besser machen will, z. B.

- Keine Kleidung aus menschenverachtender Produktion kaufen, sondern aus fairem Handel.
- Das gleiche gilt für Lebensmittel, z.B: Kakao, Kaffee, Tee, Zucker, Obst,...
Weniger Fleisch essen (oder gar keins mehr) gegen Hunger und Klimawandel.
- Bei den nächsten Wahlen politische Parteien wählen, die Solidarität mit Schwächeren im Programm haben anstelle von „Wir zuerst“ und Gewinnmaximierung und Sicherheit.
- Kontakt zu einsamen Menschen suchen, auch wenn ich nicht so große Lust darauf habe.

Ergänzen kann diese Liste jeder selbst.

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Donnerstag, 9. April 2020
Jule – Eine kleine Science-Fiction zur Lücke im Evangelium für Gründonnerstag 2020
Es war fast so wie früher. Sie saßen entspannt in Karins Wohnküche, in der behaglichen Wärme, die die Anwesenden verströmten, versammelt um einen Tisch der sich unter den Leckereien bog, den frisch gekochten und den mitgebrachten.
Anja erinnerte sich an ihre Kindheit, als die Freiheit noch selbstverständlich war, die Gespräche der Erwachsenen unbefangen, Gespräche übers Wetter oder Politik ohne große Aufregung aber auch ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Es herrschte überall Offenheit. Natürlich hatten schon damals viele geklagt über einen invasiven Staat, Betrug, Vertuschung und es war allen immer ein bisschen unbehaglich gewesen, wenn man im Dezember in Shorts nach draußen gehen konnte oder wenn die Faschisten mal wieder in irgendein Parlament einzogen. Aber das Leben war schön gewesen. Den eigenen Kindern gegenüber musste sie jetzt ständig den Mund halten, damit sie am Ende nichts ausplauderten. Und das Leben hatte seine Schönheit verloren mit all dem Zuchtgemüse, dem Fleisch aus der Petrischale, ganz zu schweigen von den chemischen Breis, Sirups und Pülverchen, die alles mögliche enthielten, was der Körper so zum Überleben brauchte.
Hoffentlich könnten sie bald mal wieder nach draußen gehen. Im Augenblick war das undenkbar, bei dem stetig anhalten Sturm. Da war keine frisch Luft, nur Staub, der sich in sämtlichen Körperöffnungen und vor allem in den Atemwegen festsetzte.

Die Mehrheit hatte längst aufgegeben. Der point of no return lag schon lange hinter ihnen. Aber dann hatten sie Joshua kennengelernt, bei dem interdisziplinären Forschungsprojekt zum Thema Lebensraumgewinnung. Und Joshua hatte echte Visionen. Kleine künstliche Areale, in denen man sich der Illusion hingeben konnte, einfach spontan vor die Tür gehen zu können, das hatte ihm nicht gereicht. Joshua glaubte daran, dass die Erde sich erholen könnte. Es bedurfte dafür nur einiger Anstrengung und sein Konzept war so einfach wie genial, es konnte funktionieren, aber es bedeutete auch Schluss mit Wachstum und Gewinnmaximierung und da spielten die Ansager nicht mit. Solche Umtriebe wurden gern im Keim erstickt, egal aus welcher Ecke sie kamen, sei es nun die wissenschaftliche, die politische oder gar die religiöse. Religion war ohnehin längst verboten. Wer sich beim Beten oder gar gemeinsamen spirituellen Handlungen erwischen ließ, war reif für die Zelle im Produktionszentrum. Nein, niemand nannte es beim Namen, das Arbeitslager, Euphemismen waren das Gebot der Stunde.

Aber ihre Gemeinschaft war trotzdem stärker geworden, hatte sich im Untergrund organisiert und längst heimlich mit der Umsetzung von Joshuas Konzept begonnen. Joshuas Pläne gerieten allerdings allmählich ins Unheimliche. Er machte ständig so seltsame Andeutungen, dass an einem bestimmten Punkt die Bombe platzen müsse, dann würden die Mächtigen Wind von dem Projekt bekommen und es massiv bekämpfen, das sei aber notwendig, um die Massen zu mobilisieren, deren Widerstandsgeist zu wecken, da müsse man Opfer bringen, das sei unvermeidlich.

Diese Ausführungen überforderten sie alle. Sie ahnten, dass ihr klügster Kopf sie verlassen würde. Diese mögliche Katastrophe drängten sie beiseite. Endlich gab es mit Joshua ein Fünkchen Hoffnung, daran hielten sie fest.

Und jetzt saßen sie hier in Karins Küche, Johanna kuschelte sich an Joshuas Schulter, Peter machte schlüpfrige Bemerkungen und Andreas ermahnte ihn, sich jedweder sexistischer Äußerungen zu enthalten, das sei ja sowas von letztes Jahrtausend. Peter entgegnete, seine Witze seien nicht sexistisch, nur sexualisiert, er werte Johanna nicht ab und schreibe ihr auch keine typisch weiblichen Eigenschaften zu, wenn er ihr erotische Absichten gegenüber Joshua unterstelle.

Die Stimmung war ausgelassen am Tisch, aber es lag auch etwas in der Luft, das alle spüren konnten, aber niemand wahrhaben wollte. In diese gespannte Atmosphäre hinein sagte Joshua etwas Ungeheuerliches: „Schon bald wird mich einer von Euch ausliefern.“
Alle sahen sich erschrocken an. Niemand traute irgend einem anderen so etwas zu. Sie erinnerten sich aber, wie oft Joshua von der menschlichen Unzulänglichkeit gesprochen hatte und fragten sich schließlich selbst, ob sie dazu fähig wären.
Peter stieß Johanna in die Seite und zischte ihr zu: „Frag ihn, ob er schon weiß, wer es ist.“
Johanna flüsterte Joshua in Ohr: „Weißt du schon wer?“
Joshua antwortete: „Derjenige, der gleichzeitig mit mir zusammen mit seinem Brot das Hommus vom Teller wischt.“
Alle aßen Hommus mit Brot und am Ende fiel es niemandem auf, dass es Jule war, die vollkommen synchron mit Joshua den letzten Rest mit einem Stück Brot vom Teller wischte. Aber Jule selbst fiel es schon auf. Sie erschrak heftig. Sie verehrte Joshua. Auslieferung, Verrat, das war nicht ihre Sache. Aber er sah sie an, freundlich, mit festem, ernstem Blick und sagte: „Was du tust, das tue bald.“
Einer musste es tun. Oder eine. Das hatte er ja schon so oft gesagt. Also war es jetzt an der Zeit.

Niemand verstand, was Joshua da zu Jule gesagt hatte. Sie dachten, Jule solle noch etwas einkaufen oder die Reste vom Festmahl an Bedürftige verteilen.
Sie verließ die Wohnung und ging hinaus in die Nacht.

Epilog
Später waren alle froh, dass sie es nicht gewesen waren. Jule, die Schlampe, ganz richtig, dass sie sich in ihrer Verzweiflung aufgehängt hatte.
Nur Peter fühlt sich schäbig. Er hatte nämlich behauptet, Joshua gar nicht zu kennen, als sie ihn verhört hatten, dabei hätte er ihn vielleicht mit einer geschickten Aussage retten können. Aber Peter war noch nie die hellste Kerze auf der Torte gewesen. Vermutlich wäre es ohnehin daneben gegangen.
Niemand fragte nach Jules Motiven. Sie unterstellten ihr abwechselnd Geldgier, Geltungssucht, Rache (vielleicht hatte sie Joshua Avancen gemacht und der hatte sie zurückgewiesen) oder gar, dass sie für den Staatsschutz tätig gewesen sei.
Dabei hatte sie nur getan, von dem sie vermutet hatte, dass Joshua es von ihr verlangte. So oft hatte er davon gesprochen, dass er sich für die Sache opfern müsse, damit die Bewegung ins Rollen käme. Er hatte jemanden gebraucht, der die Behörden auf ihn ansetzte und Jule hatte er als dafür passend ausgewählt. Später, nachdem sich alle von ihr zurückzogen, war sie nicht mehr so sicher, ob sie Joshua richtig verstanden hatte. Schließlich hatte sie den Druck nicht mehr ausgehalten.

Alle anderen sonnten sich im Glanz ihrer Selbstgerechtigkeit, hielten sich aber ansonsten weiterhin bedeckt. Speerspitzen der Bewegung hätten anders ausgesehen. Bis auf Peter, der hatte als Einziger das Gefühl, dass er etwas gutzumachen hätte. An Joshua. Und an Jule. An Jule ganz besonders.

Inspiriert von Johannes 13, 21-30

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Samstag, 4. April 2020
Verschwenderische Liebe – zum Predigttext am Palmsonntag
Eine Frau betritt das Haus eines Aussätzigen, in dem Jesus sich gerade aufhält und gießt ihm eine ganze Flasche kostbarstes Nardenöl über den Kopf, preislich vergleichbar mit einem halben Liter Chanel Nr. 5. Ein Aufruhr entsteht angesichts solch einer Verschwendung. Was hätte man nicht alles damit tun können, es verkaufen und das Geld an Arme Menschen verteilen.
Jesus nimmt die Frau in Schutz, bezeichnet ihren Akt der Liebe als seine vorzeitige Totensalbung.
Diese Geschichte (Markus 14, 1-9) https://www.bibleserver.com/LUT/Markus14%2C1-9
gibt viel her, ich möchte mich aber auf den Vers 7 konzentrieren, in dem Jesus sagt: „Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit.“
Was für starke Worte! Es sind wie immer die Selbstgerechten, denen er den Spiegel vorhält. Die gab es schon und gibt es noch immer. Wenn jemand etwas tut, um es gut zu machen, um anderen zu helfen, sich zu engagieren, steht immer mindestens einer auf und schreit: „Das könnte man aber alles viel besser machen.“ oder „Das sind doch nur Tropfen auf den heißen Stein.“ oder „Das ist der vollkommen falsche Ansatz.“

Ich erinnere mich an eine Situation, als ich von einer Mutter angeranzt wurde, was das denn für eine Ungeheuerlichkeit sei, dass Ihr Kind keinen Platz mehr in der Kindergruppe bekommen habe. Ich erklärte, die Gruppe sei ehrenamtlich geleitet, das sei ein tolles Engagement und die Ehrenamtlichen seien nun am Limit und könnten keine weiteren Kinder aufnehmen. Es gebe auch keine weiteren Helfer, die in die Bresche springen könnten. Sie echauffierte sich, man könne doch Konfirmanden einbinden, das sei in anderen Gemeinden auch üblich. Ich erklärte, dass man unausgebildete Teenager nicht einfach so allein auf Kinder loslassen könne, das sei unverantwortlich. Was ich versäumt habe vorzuschlagen: „Übernimm doch selber eine Gruppe. Such dir befreundete Eltern oder meinetwegen Jugendliche, die Lust haben, dich zu unterstützen und setz dich ein für dein Kind, wenn dir das so wichtig ist.“

Jesus hat den moppernden Zuschauern auch erklärt: Wenn euch so viel am Wohl der Armen liegt, dann gebt ihr ihnen doch etwas ab. Wer hindert euch daran? Verschwendung aus Liebe ist keine Schande.

Wenn ihr also etwas Gutes tut, egal was, dann lasst euch nicht entmutigen von Besserwisser*innen, Spötter*innen, Mansplainern und missgünstigen Schnecken.
Und wenn ihr andere bei ihrem Engagement belächelt oder euch gar darüber aufregt, dann krempelt einfach selbst die Ärmel hoch und macht es besser – und lasst diejenigen in Ruhe, die es vielleicht nicht ganz so toll machen wie ihr. Hauptsache, ihr macht es mit Liebe.

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