Sonntag, 15. März 2020
Alles stehen und liegen lassen!
So lautet die Aufforderung des heutigen Predigttextest, steht im Lukasevangelium 9, 57-62, nachzulesen hier: https://www.bibleserver.com/LUT/Lukas9%2C57-62

Ungeheuerlich, diese Aufforderung: Keine Zeit sich gebührend vom eigenen Vater zu verabschieden, alle familiären Bindungen der einen Sache unterordnen, nämlich mit Jesus von Nazareth durchs Land zu ziehen und den neuen Glauben zu verbreiten. Der war schlimmer als der schlimmste Guru, menschenverachtend und in höchstem Maße verdächtig.

Es würde mir im Traum nicht einfallen, meine Familie zu verlassen, meine Freunde links liegen zu lassen, alle Kontakte abzubrechen, mich noch nicht einmal gebührend zu verabschieden, nur um auf Missionsreise zu gehen, das ist sozial inkompetent, das verletzt die Gefühle derer, die mir nahe stehen. Was soll das?!

Aber so ganz kann ich diesen Text dann doch nicht von mir weisen. Es geht um Konsequenz, darum sich nicht in Ausreden zu flüchten, einen Weg zu gehen, wenn man erkannt hat, dass es der richtige ist, ohne Abweichung vom Kurs. Und dabei scheitern wir alle täglich.

Ich weiß, dass es wichtig ist, unnötige Autofahrten zu vermeiden. Ich organisiere das jetzt effektiver und fahre möglichst viel mit dem Fahrrad. Und dann fehlt noch die Schlagsahne auf dem frischen Apfelkuchen und ich bin so erschöpft, vier Kilometer hin, vier Kilometer zurück, und Zeit habe ich heute auch nicht so viel, und es sind dann ja auch mit dem Auto nicht so viele Kilometer… Der Verzicht auf die Sahne steht nicht zur Disposition.

Dass Tiere essen nicht nur ein ethisches Problem darstellt sondern auch den CO2-Ausstoß enorm erhöht, weiß ich ja. Darum bin ich nun endlich Vegetarierin. Ich weiß, dass Rinderhaltung auch in der Milchwirtschaft ein CO2-Problem ist. Aber Quark, Joghurt, Butter, Sahne, Käse… darauf verzichten oder umstellen auf Schaf- und Ziegenmilch? Beim Käse ist das ja perfekt, aber alles andere?
Und wenn Freunde zur Feier kommen und die essen doch so gerne Fleisch, dann möchte ich gastfreundlich sein und serviere Fleisch. Alles andere wäre unhöflich.

Die junge Frau hat seit einiger Zeit endlich ein bewegtes Freizeitleben voller Sozialkontakte – das war nicht immer so. Jetzt weiß sie, dass Sozialkontakte vermieden werden sollen, man soll sich nur auf das Notwendigste beschränken. Aber wenn die Freundin jetzt trotz Corona-Pandemie 30 Leute zum Geburtstag einlädt, muss sie natürlich da hin, will ja nichts verpassen, wird schon keiner infiziert sein. Und wenn schon, sind ja alle jung und gesund.

Auf der Party bei Freunden echauffiert sich ein Gast über die Errichtung einer Großunterkunft für Geflüchtete in seinem viel zu kleinen Dorf. Mir kommt die Galle hoch, aber ich heuchle Verständnis, will die Party nicht sprengen, diplomatisch bleiben und lasse Ungeheuerlichkeiten unwidersprochen im Raum stehen.

Die Liste muss ich nicht endlos fortsetzten, da fällt sicher jedem und jeder etwas ein. Manchmal muss man die Sache über die eigenen Bedürfnisse stellen, auch über die sozialen Beziehungen, das sehr menschliche Harmoniebedürfnis.
Beim zweiten Mal habe ich widersprochen und zwar entschieden. Hat das Verhältnis zu diesem Menschen sehr abgekühlt. Macht aber nichts. Und die Freunde haben mich nicht fallen lassen, laden uns trotzdem noch zusammen ein. Aber wie viele Male bin ich diplomatisch geblieben? So wird das nichts mit dem Reich Gottes. ;-)

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Samstag, 7. März 2020
Probleme, die stark machen – Römer 5,1-5
Der Predigttext für Sonntag, den 08.03. lautet:
1 Nachdem wir nun aufgrund des Glaubens für gerecht erklärt worden sind, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn. 2 Durch ihn haben wir freien Zugang zu der Gnade bekommen, die jetzt die Grundlage unseres Lebens ist, und im Glauben nehmen wir das auch in Anspruch. Darüber hinaus haben wir eine Hoffnung, die uns mit Freude und Stolz erfüllt: Wir werden einmal an Gottes Herrlichkeit teilhaben. 3 Doch nicht nur darüber freuen wir uns; wir freuen uns auch über die Nöte, die wir jetzt durchmachen. Denn wir wissen, dass Not uns lehrt durchzuhalten, 4 und wer gelernt hat durchzuhalten, ist bewährt, und bewährt zu sein festigt die Hoffnung. 5 Und in unserer Hoffnung werden wir nicht enttäuscht. Denn Gott hat uns den Heiligen Geist gegeben und hat unser Herz durch ihn mit der Gewissheit erfüllt, dass er uns liebt.

In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen stehe ich mit vielen anderen auch immer wieder vor schwierigen Herausforderungen. Zumindest die Ehrenamtlichen könnten sagen: Mach ich nicht mehr, ist mir zu anstrengend, da gehe ich lieber aus oder Netflix gucken.
Aber in den schwierigen Situationen können sie etwas lernen, ihre Stärken entdecken und besser werden, sogar über sich hinauswachsen. Diese Erfahrung macht sie stärker und bewirkt, dass sie sich besser fühlen, weil sie spüren, dass sie etwas verändern können, dass nicht alles den Bach runter geht, denn sie sind ja nicht allein, da sind so viele andere, die auch etwas verändern können.
Wenn sie dann ihr Herz öffnen, also das Gute, das ihnen passiert, an sich heranlassen, dann werden sie voll von der Liebe Gottes und können sie weitergeben. Das können auch ganz kleine, unscheinbare Momente sein. Meinen Mitarbeitenden-Teams habe ich dazu folgende Geschichte erzählt:
In einem Konfi-Camp hatten wir es mir einer Gruppe besonders harter Jungen zu tun, sie waren laut, aggressiv, übergriffig, destruktiv, beleidigend und sexistisch – widerwärtige sexualisierte Witze und Beleidigungen inklusive. Kleine Helden in Not eben. Nun gehört zu unserem Programm eine besondere Segenshandlung als Tauferinnerung: Die Konfirmanden stehen im Kreis. Demjenigen, der an der Reihe ist, wird von einem / Nachbar*in die Hand in den Rücken gelegt, er/sie selbst streckt die geöffneten Hände nach vorn und erhält einen Segen, bei dem Stirn und Handflächen mit Wasser benetzt werden. Dazu spricht man dem Jugendlichen, nennen wir ihn/sie Kim, folgendes zu:
Kim, du bist getauft.
Ich segne dich im Namen Gottes, des Vaters, im Namen Jesu und in der Kraft des Heiligen Geistes.
Nun legen wir unsere Hände unter die Hände des/ der Jugendlichen und sagen:
Kim, du bist Gottes geliebtes Kind. Dir gilt seine Liebe, Friede sei mit dir.
Dann legen wir die Hände des Kindes zusammen und gehen zum nächsten.
Bei dieser Handlung geht es um Wertschätzung und auch darum, seine ganze Liebe in diesen Segen zu legen. Das klingt kitschig, entfaltet aber manchmal eine überwältigende Wirkung. Einer der harten Jungs, der abweisend war wie eine Paranuss, unwirsch, unzugänglich, negativ und alles andere als redegewandt, sah nicht weg, als er den Segen bekam, hielt dem Blick stand und ich konnte sehen, wie seine Gesichtszüge weich wurden, wie all die Verbitterung hinweg schmolz, wie ihn die Botschaft erreichte.
Er war danach anders: lustiger, zugänglicher, weniger rau im Umgang mit anderen, auch über die Woche im Camp hinaus. Ich würde nicht sagen, dass er zu einem neuen Menschen geworden ist, aber da ist etwas angekommen, das er vielleicht schon weitergegeben hat.

Und für mich war es auch eine stärkende Erfahrung.

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Samstag, 29. Februar 2020
Baum der Erkenntnis
Der Predigttext für Sonntag, den 1.3. steht hier:
https://www.bibleserver.com/LUT/1.Mose3
(1. Mose 3,1-19)
Wer nicht den ganzen Text lesen möchte – es geht um den Sündenfall, der die Vertreibung aus dem Paradies zur Folge hatte. Viele Stellen in diesem Märchen verstören mich, eine aber ganz besonders: dass das Streben nach Erkenntnis hier als die schlimmste Sünde von allen bewertet wird.

Was ist blasphemisch an der Erkenntnis? Warum ist es eine Abkehr von Gott, wenn man sich selbst in die Lage versetzt, Gutes von Bösem unterscheiden zu können? Was war das für eine Theologie, die der Unwissenheit den Vorzug gab?
War es am Ende nichts weiter als ein unbeholfener Antwortversuch auf die Frage, warum das Leben oft so schwer, anstrengend, bedrückend, düster, verzweifelnd ist? Warum der allmächtige Gott uns täglich hundertfach im Stich lässt? Alles könnte so einfach sein, wenn wir uns nur nicht anmaßen würden, seinen Platz einnehmen zu können?

Eine gefährliche Lehre, die man aus dieser Geschichte ziehen kann. Ein Aufruf zur Gedankenlosigkeit und zur totalen Unterwerfung.

Oder eine Metapher für das Erwachsenwerden. Die Ablösung bietet Selbstbestimmung, Freiheit, Selbstverwirklichung, das Spüren der eigenen Stärke, Macht, die Möglichkeit, etwas zu gestalten. Das ist toll, aber man muss sich auch immer bewusst sein, was der Preis dafür ist, den alle zahlen müssen: Verantwortung übernehmen, Entscheidungen treffen und die Konsequenzen tragen.

Sollten wir den chronisch Wütenden am Ende helfen, erwachsen zu werden, damit sie endlich selbst Verantwortung für ihr Leben übernehmen, statt immer anderen die Schuld für ihr Scheitern in die Schuhe zu schieben? Gehöre ich nicht auch zu den chronisch wütenden, deren Ohnmachtsgefühle in Resignation und Schuldzuweisungen münden?

Aber viele sind ja unverschuldet in ihre schwierige Situation geraten, haben auch nicht die Ausstattung, um das Spiel zu durchschauen, zu erkennen, wer oder was tatsächlich für ihr Elend verantwortlich ist. Da klingt das mit dem „Helfen, erwachsen zu werden“ schon sehr von oben herab, manipulativ, wenn nicht sogar zynisch und herrenmenschenhaft.

Es bleibt schwierig, aber sagen wir mal so, wenn wir Adam und Eva als Bild für die Menschheit in ihrer Gesamtheit nehmen, dann ließe sich vielleicht sagen, die Menschen müssen endlich Verantwortung übernehmen, denn das mit dem blinden Gottvertrauen hat sich ja tatsächlich längst erledigt.

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