Samstag, 31. August 2019
Spuren Gottes
Der Predigttext für den 01. September, den 11. Sonntag nach Trinitatis steht im Buch Hiob, Kapitel 23. - Falls jemand nachlesen möchte.

Der vom Schicksal gebeutelte Hiob hält an seinem Glauben fest, obwohl er Gottes Gegenwart nicht spüren kann. Er ist auf der Suche nach Gott und kann ihn nirgends finden. Und obwohl er sich eisern an seine Gebote gehalten hat und Gott sich trotzdem vor ihm verbirgt, hält er fest an der Überzeugung, dass der Schöpfer gute Gründe hat, ihn so hart zu prüfen, hat aber auch große Angst vor ihm. Nun ist die Hiobs-Geschichte ja nicht wirklich passiert, sondern schlicht biblische Literatur, ein Lehrstück, das Menschen ermutigen soll, an ihrem Glauben festzuhalten, auch wenn sie sich gerade komplett von Gott verlassen fühlen.
In den Losungen steht auch die erste Strophe eines meiner liebsten geistlichen Lieder, verfasst von Michel Scouarnec, nachgedichtet von Diethard Zils und das geht so:

Wir haben Gottes Spuren festgestellt auf unsern Menschenstraßen,
Liebe und Wärme in der kalten Welt, Hoffnung, die wir fast vergaßen.
Zeichen und Wunder sahen wir geschehn in längst vergangnen Tagen.
Gott wird auch unsre Wege gehn, uns durch das Leben tragen.

Blühende Bäume haben wir gesehn, wo niemand sie vermutet,
Sklaven die durch das Wasser gehn, das die Herren überflutet.
Zeichen und Wunder sahen wir geschehn in längst vergangnen Tagen.
Gott wird auch unsre Wege gehen, uns durch das Leben tragen.

Bettler und Lahme sahen wir beim Tanz, hörten wie Stumme sprachen.
Durch tote Fensterhöhlen kam ein Glanz, Strahlen, die die Nacht durchbrachen.
Zeichen und Wunder sahen wir geschehn in längst vergangnen Tagen.
Gott wird auch unsre Wege gehen, uns durch das Leben tragen.

Es gibt sie manchmal, die besonderen Momente im Leben, wo zu spüren ist, das Gott da ist. Sich daran zu erinnern kann helfen, Durststrecken zu überwinden. Ich hatte auch nur einige wenige Momente im Leben, wo sich das so anfühlte, viel zu unspektakulär, um sie zu beschreiben, aber eine Geschichte, die wichtig für mich war, erzähle ich doch:

Als ich mit etwa 18 Jahren nach einer bis dahin lebenslangen, kirchlichen Sozialisation und jahrelangem Berufswunsch als Gemeindepfarrerin der Kirche innerlich den Rücken kehrte, fühlte sich das an wie ein Befreiungsschlag. Im Studium hielt ich mir den Verein ebenfalls vom Hals, wollte mit dem dämlichen Christenpack nichts mehr zu tun haben, auch wenn es hin und wieder Momente gab, in denen ich mich fragte, ob mir Glaube, spirituelle Praxis und christliche Gemeinschaft vielleicht doch fehlten. Aber es gab so viel Abstoßendes, an das ich immer wieder erinnert wurde, dass ich mich auf keinen Fall mehr in kirchlichen Zusammenhängen bewegen wollte.

Mein Berufspraktikum absolvierte ich beim öffentlichen Träger, mit Ernüchterung und Praxis-Schock und allem, was dazu gehört. Dort ging es mir überhaupt nicht gut. Etwa in der Mitte des Anerkennungsjahres stieß ich auf eine Stellenausschreibung: Eine evangelische Kirchengemeinde suchte eine Jugendreferentin in Teilzeit. Jugendreferentin, dachte ich, ihr könnt mir mal im Mondschein begegnen, ich will mir doch nicht den Arsch abarbeiten, von Termin zu Termin hetzen und mir dann dauernd anhören, dass ich nicht genug arbeite. Meine Einblicke in dieses Berufsfeld aus meiner Zeit vor dem Studium hielten mich davon ab. Ich hatte einen anderen Plan: Irgendwo eine halbe Stelle suchen, parallel Diplompädagogik studieren, mit Promotion abschließen und eine Laufbahn als Hochschullehrerin einschlagen.

Zum Ende des Praktikums las ich ein eigentlich nicht so gutes Buch, in dem Spiritualität eine große Rolle spielte, nicht die christliche, mehr so die alte Mythologie europäischen Ursprungs. Mir wurde bewusst, dass ich ohne Spiritualität nicht leben wollte, vielleicht würde ich mein Heil in einer anderen Religion finden. Doch schon bald beschlich mich der Gedanke, dass eine Religion so gut ist wie die andere und dass man sich besser auf dem Parkett bewegt, auf dem man sich auskennt, um nicht über die Fallstricke selbstsüchtiger Verführer zu stolpern. Ich begann wahllos in der Bibel zu blättern, die ich in den vergangenen Jahren mehrfach frustriert an die Wand geschleudert hatte, weil nichts als Vertröstungen darin zu finden waren. Diesmal aber fand ich Antworten. Es war wie ein Rausch. Entschiedene Atheisten würden behaupten, dass ich es so sehr wollte, dass mein Gehirn mir da etwas vorgegaukelt hat. Meinetwegen auch das.

Das Berufspraktikum ging zu Ende und ich war arbeitslos. Es gab nichts für mich, Bewerbungsgespräche liefen ins Leere, der Markt war ziemlich abgegrast. Aber kaum hatte meine Arbeitslosigkeit begonnen, so etwa zwei bis drei Wochen, da schlug ich die Zeitung auf und die gleiche Ausschreibung, die vor einem halben Jahr schon einmal im Anzeigenteil gestanden hatte, war wieder da, pünktlich zu dem Moment, in dem ich mir überlegt hatte, in den Schoß der Kirche zurückkehren zu wollen. Plötzlich fiel mir auf, dass die Bedingungen in dieser Ausschreibung gänzlich andere waren und ich bewarb mich. Nach nur zwei Monaten Arbeitslosigkeit hatte ich plötzlich einen Job, der wie für mich geschaffen war und der auf mich gewartet hatte. Ich arbeite heute noch da und obwohl ich in den vergangenen fast 28 Jahren oft mit meinem Schicksal gehadert habe und oft heftig auf den Verein geschimpft habe, manchmal auch nur noch weg wollte, denke ich, es war das Beste, das mir passieren konnte. Kann natürlich alles Zufall gewesen sein. Wer's glaubt...

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Dienstag, 27. August 2019
Münchener Familie stirbt bei Crash - Tage der Trauer
Geht es nur mir so, dass ich diese Berichterstattung mehr als befremdlich finde? Warum gibt es sogar in der Tageschau einen ausführlichen Bericht über die verunfallte Familie, nur weil sich der Unfall mit einem Helikopter und einem Kleinflugzeug ereignet hat, auf Mallorca und nicht mit einem Mittelklassewagen auf irgendeiner Autobahnstrecke bei Kleinkleckersdorf mit einer Durchschnittsfamilie aus Castrop-Rauxel. Wäre das dann weniger tragisch? Würde dann nicht tagelang getrauert. Mich kotzt es immer wieder an, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird.

Zum ersten Mal fiel mir das auf bei 9/11. Unser Pfarrer läutete die Totenglocke, Kollegen fühlten sich verpflichtet, das Thema ausführlich mit den Jugendlichen zu bearbeiten, Plakatwände der Trauer, Veranstaltungen... während überall auf der Welt täglich Menschen, die viel ärmer dran sind, in Kriegen sterben, auf der Flucht sind, auf der Straße verhungern...

Wieso sind uns die Ärmsten egal und erregen die Schicksalsschläge der Reichen unser Mitleid?

Natürlich ist es tragisch, wenn eine glückliche, junge, gesunde Familie durch so einen blöden Unfall von jetzt auf gleich komplett aus dem Leben gerissen wird. Das ist auch nicht egal, das ist schlimm. Aber was ist mit dem italienischen Helikopter-Piloten? Wo er genau herkommt, ob er eine Familie hinterlässt und was er noch so vorhatte, interessiert unsere Presseleute nicht. Ebensowenig die Geschichte der beiden Spanier im Kleinflugzeug, die heute noch leben würden, wenn nicht eine reiche Touristenfamilie aus Deutschland sich den Luxus eines Inselrundflugs gegönnt hätte.

Lest mal Jakobus 5,1-6 - der Schrei nach Gerechtigkeit ist so alt wie die Menschheit.

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Samstag, 17. August 2019
Die Frage nach dem höchsten Gebot - Zum Predigttext am 10. Sonntag nach Trinitatis, dem 25.08.2019
Der Predigttext steht in Markus 12
28 Und es trat zu ihm einer der Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Als er sah, dass er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen?
29 Jesus antwortete: Das höchste Gebot ist das: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein,
30 und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft« (5. Mose 6,4-5).
31 Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3. Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese.
32 Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Ja, Meister, du hast recht geredet! Er ist einer, und ist kein anderer außer ihm;
33 und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und mit aller Kraft, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer.
34 Da Jesus sah, dass er verständig antwortete, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und niemand wagte mehr, ihn zu fragen.

Bei diesem Text sollte man die Vorgeschichte kennen. Es kam zu einer spitzfindigen Auseinandersetzung um die Frage, wessen Frau eine wiederverheiratete Witwe im Jenseits ist. Jesus erwidert, das spiele im ewigen Leben keine Rolle mehr. Die altehrwürdigen Schriftgelehrten versuchten ständig, den aus ihrer Sicht anmaßenden Wanderprediger der Scharlatanerie zu überführen, indem sie ihm Fallen stellten. Aber es gab auch solche unter ihnen, die offen waren für die Gedanken anderer, die nicht jedem ständig beweisen mussten, dass sie schon alles wussten und klüger waren als der Rest. Und so einer hat in dieser Geschichte einfach nur zugehört und in dem Streit verstanden, was Jesus meinte, als er seinen Gesprächspartnern den Spiegel ihrer Kleinbürgerlichkeit vorhielt. Er verstand, dass die vielen tausend Gesetze, die das tägliche Leben bis ins Kleinste reglementierten nicht wirklich wichtig waren. Und nun fragte er offen und neugierig, was aus Jesu Sicht denn wohl das Wichtigste sei.

Die Liebe zu Gott und den Menschen über alles zu stellen, zum Maß aller Dinge zu machen, das ist das Einfachste und das Schwierigste zugleich – und das Wichtigste. Und als der Schriftgelehrte mit eigenen Worten wiederholt, was Jesus gesagt hat, vielleicht, um sich zu vergewissern, ob er ihn auch richtig verstanden hat oder um seinen wahren Worten das angemessene Gewicht zu verleihen, da versichert ihm Jesus, dass er auf dem richtigen Weg ist. Und niemand wagt mehr, Jesus herauszufordern, weil jeder spürt, dass dieser einfachen Aussage, die den höchsten Anspruch an jeden von uns stellt, nichts entgegenzusetzen ist.

Wenn wir alle diesen Anspruch zum Maßstab nehmen würden, dann würde kein Geflüchteter mehr auf dem Mittelmeer ertrinken, dann würden kein Obdachloser mehr erfrieren, dann würde kein alter Mensch mehr einsam in seiner Wohnung sterben. Aber ich gebe zu: das ist verdammt anstrengend. Und die Kraft, die man dafür braucht, bekommt man nur durch Liebe und Wertschätzung, die kann man nicht selbst produzieren. Wenn man also will, dass die Menschheit zu Verstand kommt, muss man anfangen, anderen Gutes zu tun, sonst wird das nie was.

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Anarchie und Selbstkritik – zum Predigttext für den 9. Sonntag nach Trinitatis – den 18. August 2019
Der Predigttext steht im Brief des Paulus an die Philipper im 3. Kapitel:

7 Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet.
8 Ja, ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber der überschwenglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn. Um seinetwillen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich erachte es für Dreck, damit ich Christus gewinne
9 und in ihm gefiunden werde, dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, sondern die durch den Glauben an Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird.
10 Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleichgestaltet werden,
11 damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten.
12 Nicht, dass ich's schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei: ich jage ihm aber nach, ob ich's wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin.
13 Meine Brüder, ich schätze mich selbst noch nicht so ein, dass ich's ergriffen habe. Eins aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist,
14 und jage nach dem vorgesteckten Ziel, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Jesus Christus.

Ein gewönungsbedürftiger Text, eine alles andere als zeitgemäße Sprache, aber ein Paulustext, der mir sympathisch ist, im Gegensatz zu den meisten anderen.

De Autor hat zumindest für sich selbst erkannt, dass uneingeschränkte Gesetzestreue nichts wert ist. Er war ein orthodoxer, radikaler Verfechter seiner Religion, ein gewaltbereiter Fundamentalist, ein Ohne-wenn-und-aber-Macho. Und er hat gelernt: darauf kommt es nicht an. Es geht um viel wesentlicheres, als Regeln einzuhalten oder sich in irgendeiner Hierarchie einzuordnen.

Schwierigkeiten habe ich mit dem immer noch beharrlichen Festhalten an dem naiven Belohnungssystem: Jetzt mache ich alles richtig und dafür komme ich dann in den Himmel. Ich stehe ganz oben auf dem Siegertreppchen, Ziel erreicht, Preis gewonnen. Sowas kann sich auch nur ein Mann ausdenken ;-) - da wird sogar die Religion zum Kräftemessen. Andererseits will er seine Adressaten natürlich erreichen mit Bildern und Vergleichen, die sich ihnen erschließen. Ihr jagt doch immer alle dem Sieg nach, wollt gewinnen, aufs richtige Pferd setzen... und warum? Damit am Ende alles gut wird. Wenn ihr aber wollt, dass am Ende alles gut wird, dann solltet Ihr Euch ausschließlich an dem orientieren, was Jesus Christus der Menschheit mitgegeben hat.

Was mir den Paulus in diesem Text aber besonders sympathisch macht, ist seine ungewohnte Bescheidenheit:
„12 Nicht, dass ich's schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei: ich jage ihm aber nach, ob ich's wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin.
13 Meine Brüder, ich schätze mich selbst noch nicht so ein, dass ich's ergriffen habe.“
Er sieht sich selbst noch als Suchenden, als jemanden, der versucht, alles richtig zu machen, aber noch weit davon entfernt ist, weil er merkt, dass er nicht so einfach über seinen Schatten springen kann, dass er an sich arbeiten muss. Diese Selbsterkenntnis: Ich bin unvollkommen, unzulänglich, mangelhaft, dilettantisch und gleichzeitig diese Entschlossenheit: ich gebe alles, um möglichst nah an das Ideal heranzukommen. Ich weiß nicht, ob Paulus von der Vorstellung getrieben war, diese Vollkommenheit eines Tages seines irdischen Daseins zu erreichen oder ob er schon so realistisch war und sich so gut kannte, dass er wusste, dass diese Perfektion nicht zu schaffen ist.
Und schließlich gefällt mir der der kräftesparende, mutmachende vorletzte Halbsatz: „13b Eins aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist“
Die Vergangenheit hinter sich lassen, neu durchstarten, nach vorne Blicken, das Ziel vor Augen und sich dabei nicht durch Altlasten lähmen lassen. Wenn das Ziel dabei ist, so menschlich wie möglich zu werden und mit sich selbst und der Welt ins Lot zu kommen, ist das sicher der richtige Weg.

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