Donnerstag, 14. April 2022
Karfreitagabend - Siebzehnte Stunde
c. fabry, 01:03h
Thomas goss seinen Becher erneut randvoll mit dem guten Wein, der noch vom Vorabend übrig war.
Philippus ergriff seinen Arm. "Trink nicht so viel, Thomas. Das tut dir nicht gut."
"Lass mich in Ruhe!", fuhr Thomas ihn an. "Ich will mich betrinken, dann kann ich vielleicht für ein paar Stunden vergessen in welcher verzweifelten Lage wir uns befinden. Danach sehe ich weiter."
"Danach siehst du erst mal gar nichts.", wandte Nathanael ein. "Im Weinrausch macht man leicht Fehler. Das können wir uns im Augenblick nicht leisten."
"Du redest so, als hättest du einen Plan.", erwiderte Thomas. "Aber wie soll es jetzt weitergehen? Das weiß doch keiner von uns."
"Geht es überhaupt weiter?", lautete Nathanaels Gegenfrage.
"Vielleicht.", meinte Philippus. "Falls sie uns nicht erwischen. Allerdings frage ich mich, wo wir vor der Verfolgung durch den Hohen Rat und die Römer am sichersten sind."
"Gute Frage.", sagte Thomas. "Der Zeltmacher aus Tarsus trommelt schon seine Truppen zusammen. Er will uns jagen. Und wen er erwischt, will er hinrichten lassen. Er ist jüdischer als jeder Israelit und will alle ausmerzen, die nicht dem wahren Glauben folgen."
"Auch die Römer?", fragte Nathanael.
"Nein.", erwiderte Thomas. "Die natürlich nicht. Mit den Mächtigen legt er sich nicht an. Dafür ist er zu feige ? oder zu schlau. Ich glaube, er ist so einer, der am liebsten auf der Gewinnerseite steht. Auf jeden Fall hat man ihn hier in der Gegend häufiger gesehen. Vielleicht sollten wir irgendwo hin ziehen, wo man uns am wenigsten erwartet, wo wir auch unseren Lebensunterhalt mit Fischerei verdienen können und so tun, als wären wir irgendeine Sippe, die von zu Hause weggezogen ist, weil das Haus abgebrannt ist oder weil es zu viel Streit gab."
"Aber welchen Sinn hat unser Dasein denn noch, wenn wir uns irgendwo verkriechen und gar nichts tun als fischen, essen und warten?", fragte Nathanael.
"Jesus hat ja mal gesagt, er sei der Weg.", gab Thomas zur Antwort. "Nur jetzt ist er tot. Sollen wir auch den Weg eines Toten gehen, uns verhaften, verhören und kreuzigen lassen? Über den Weg zum Vater sagte er einmal, dass er die Stätte für uns bereitet und wenn alles bereit sei, dürften wir nachkommen. Vielleicht wartet er schon auf uns."
"Ob wir wirklich alle dort ankommen werden?", zweifelte Philippus. "Ich habe nie zu dem erlesenen Kreis gehört, der vom Meister in alle Geheimnisse eingeweiht wurde, obwohl ich doch genauso aus Betsaida stamme wie Simon und Andreas."
"Die Herkunft dürfte dabei keine Rolle gespielt haben.", überlegte Nathanael. "Schließlich stammen die Söhne des Zebedäus auch nicht von da. Die Vier sind vermutlich die mit dem stärksten Glauben. Bei uns dreien ist der ja nicht so ausgeprägt."
"Dafür arbeitet unser Kopf so wie er soll.", entgegnete Thomas. "Im Schabbat-Leuchter des Petrus brennen die Kerzen nur mit kurzem Docht."
"Vielleicht die Kerzen des Verstandes.", meinte Philippus. "Für seine Flammen der Liebe und des Glaubens reicht aber keine noch so große Feuerschale."
"Und was nützt es ihm?", fragte Thomas. "Er sitzt genauso traurig, untätig und mutlos herum wie wir."
"Natürlich tut er das.", erklärte Nathanael. "Gestern um diese Zeit hat Jesus noch gelebt. Es braucht ein bisschen Zeit, um zu begreifen, dass der Mensch, der einem von allen der Wichtigste war, für immer verschwunden ist. Ich werde nie vergessen, wie ich ihm zum ersten Mal begegnet bin. Weißt du noch Philippus? Du sagtest, sie hätten den Messias gefunden, er sei der Sohn des Josef aus Nazareth. Nazareth, dieses gottverlassene Nest, wo es nichts gibt als Staub und ein paar arme Leute. Und ich habe dich gefragt: Was soll aus Nazareth Gutes kommen? Du hast mich aber bedrängt und schließlich war ich neugierig und bin mitgekommen. Und als wir ihn gefunden hatten, da sagte er mir auf den Kopf zu: 'Du bist ein richtiger Israelit, an dem nichts Falsches ist.'
Ich dachte, was redet der, der kennt mich doch überhaupt nicht. Also fragte ich ihn, woher er mich zu kennen glaubte. Und da sagte er, er hätte mich schon unter dem Feigenbaum sitzen sehen, bevor Philippus mich rief, aber das konnte er gar nicht wissen, dass ich da gesessen hatte, er hätte mich in dem Menschenauflauf nicht einmal sehen können.
Ich war ehrlich beeindruckt und habe ihm sofort gesagt, dass ich ihm glaube, dass er der Messias ist. Und da hat er mich ausgelacht. Ich kam mir richtig dämlich vor. Er meinte: 'Wenn du wegen solcher Kleinigkeiten schon an mich glaubst, was passiert dann mit dir, wenn du Zeuge wirklicher Wunder wirst. Und das verspreche ich dir: du wirst noch Größeres sehen.'"
"Und? Hast du?", fragte Thomas.
"Was für eine Frage!", erwiderte Nathanael. "Kurz darauf waren wir bei der Hochzeit zu Kana. Und du weißt doch selbst, was da noch alles kam: Heilungen, Brotwunder, Fischzug, Sturmstillung, Jesus auf dem See, die Auferweckung Toter."
"Nur sich selbst konnte er nicht retten.", erwiderte Thomas.
"Weil er es nicht wollte.", entgegnete Philippus.
"Aber warum nicht?", fragte Thomas mit einem Unterton der Verzweiflung. "Was zum Teufel soll gut daran sein, wenn der Meister sich umbringen lässt? Wem nützt das etwas außer den Mächtigen und denen, die wollen, das alles genauso bleibt wie es ist?"
"Wir müssen Geduld haben.", mahnte Philippus.
"Worauf warten wir denn?", fragte Thomas.
Philippus seufzte. "Ich weiß es nicht."
Nach einer Minute der Stille zwischen den Dreien sprach Nathanael seine Gedanken aus: "Ich habe immer darauf gewartet, dass es endlich losgeht, dass das Richtige passiert in meinem Leben. Dann kam Jesus. Drei Jahre lang hatte ich das wunderbare Gefühl, dass ich gebraucht werde, dass ich lebe, dass ich Teil von etwas Großem bin, dass ich etwas tun kann. Und jetzt soll ich schon wieder warten? Ich will nicht mehr warten. Ich will weitermachen."
"Das will ich auch.", erwiderte Philippus. "Ich weiß nur noch nicht wie."
Thomas wollte auch weitermachen, weiter suchen nach dem, das er noch nicht gefunden hatte, auch nicht in den drei Jahren, in denen er Jesus begleitet hatte. Aber das sagte er nicht.
Philippus ergriff seinen Arm. "Trink nicht so viel, Thomas. Das tut dir nicht gut."
"Lass mich in Ruhe!", fuhr Thomas ihn an. "Ich will mich betrinken, dann kann ich vielleicht für ein paar Stunden vergessen in welcher verzweifelten Lage wir uns befinden. Danach sehe ich weiter."
"Danach siehst du erst mal gar nichts.", wandte Nathanael ein. "Im Weinrausch macht man leicht Fehler. Das können wir uns im Augenblick nicht leisten."
"Du redest so, als hättest du einen Plan.", erwiderte Thomas. "Aber wie soll es jetzt weitergehen? Das weiß doch keiner von uns."
"Geht es überhaupt weiter?", lautete Nathanaels Gegenfrage.
"Vielleicht.", meinte Philippus. "Falls sie uns nicht erwischen. Allerdings frage ich mich, wo wir vor der Verfolgung durch den Hohen Rat und die Römer am sichersten sind."
"Gute Frage.", sagte Thomas. "Der Zeltmacher aus Tarsus trommelt schon seine Truppen zusammen. Er will uns jagen. Und wen er erwischt, will er hinrichten lassen. Er ist jüdischer als jeder Israelit und will alle ausmerzen, die nicht dem wahren Glauben folgen."
"Auch die Römer?", fragte Nathanael.
"Nein.", erwiderte Thomas. "Die natürlich nicht. Mit den Mächtigen legt er sich nicht an. Dafür ist er zu feige ? oder zu schlau. Ich glaube, er ist so einer, der am liebsten auf der Gewinnerseite steht. Auf jeden Fall hat man ihn hier in der Gegend häufiger gesehen. Vielleicht sollten wir irgendwo hin ziehen, wo man uns am wenigsten erwartet, wo wir auch unseren Lebensunterhalt mit Fischerei verdienen können und so tun, als wären wir irgendeine Sippe, die von zu Hause weggezogen ist, weil das Haus abgebrannt ist oder weil es zu viel Streit gab."
"Aber welchen Sinn hat unser Dasein denn noch, wenn wir uns irgendwo verkriechen und gar nichts tun als fischen, essen und warten?", fragte Nathanael.
"Jesus hat ja mal gesagt, er sei der Weg.", gab Thomas zur Antwort. "Nur jetzt ist er tot. Sollen wir auch den Weg eines Toten gehen, uns verhaften, verhören und kreuzigen lassen? Über den Weg zum Vater sagte er einmal, dass er die Stätte für uns bereitet und wenn alles bereit sei, dürften wir nachkommen. Vielleicht wartet er schon auf uns."
"Ob wir wirklich alle dort ankommen werden?", zweifelte Philippus. "Ich habe nie zu dem erlesenen Kreis gehört, der vom Meister in alle Geheimnisse eingeweiht wurde, obwohl ich doch genauso aus Betsaida stamme wie Simon und Andreas."
"Die Herkunft dürfte dabei keine Rolle gespielt haben.", überlegte Nathanael. "Schließlich stammen die Söhne des Zebedäus auch nicht von da. Die Vier sind vermutlich die mit dem stärksten Glauben. Bei uns dreien ist der ja nicht so ausgeprägt."
"Dafür arbeitet unser Kopf so wie er soll.", entgegnete Thomas. "Im Schabbat-Leuchter des Petrus brennen die Kerzen nur mit kurzem Docht."
"Vielleicht die Kerzen des Verstandes.", meinte Philippus. "Für seine Flammen der Liebe und des Glaubens reicht aber keine noch so große Feuerschale."
"Und was nützt es ihm?", fragte Thomas. "Er sitzt genauso traurig, untätig und mutlos herum wie wir."
"Natürlich tut er das.", erklärte Nathanael. "Gestern um diese Zeit hat Jesus noch gelebt. Es braucht ein bisschen Zeit, um zu begreifen, dass der Mensch, der einem von allen der Wichtigste war, für immer verschwunden ist. Ich werde nie vergessen, wie ich ihm zum ersten Mal begegnet bin. Weißt du noch Philippus? Du sagtest, sie hätten den Messias gefunden, er sei der Sohn des Josef aus Nazareth. Nazareth, dieses gottverlassene Nest, wo es nichts gibt als Staub und ein paar arme Leute. Und ich habe dich gefragt: Was soll aus Nazareth Gutes kommen? Du hast mich aber bedrängt und schließlich war ich neugierig und bin mitgekommen. Und als wir ihn gefunden hatten, da sagte er mir auf den Kopf zu: 'Du bist ein richtiger Israelit, an dem nichts Falsches ist.'
Ich dachte, was redet der, der kennt mich doch überhaupt nicht. Also fragte ich ihn, woher er mich zu kennen glaubte. Und da sagte er, er hätte mich schon unter dem Feigenbaum sitzen sehen, bevor Philippus mich rief, aber das konnte er gar nicht wissen, dass ich da gesessen hatte, er hätte mich in dem Menschenauflauf nicht einmal sehen können.
Ich war ehrlich beeindruckt und habe ihm sofort gesagt, dass ich ihm glaube, dass er der Messias ist. Und da hat er mich ausgelacht. Ich kam mir richtig dämlich vor. Er meinte: 'Wenn du wegen solcher Kleinigkeiten schon an mich glaubst, was passiert dann mit dir, wenn du Zeuge wirklicher Wunder wirst. Und das verspreche ich dir: du wirst noch Größeres sehen.'"
"Und? Hast du?", fragte Thomas.
"Was für eine Frage!", erwiderte Nathanael. "Kurz darauf waren wir bei der Hochzeit zu Kana. Und du weißt doch selbst, was da noch alles kam: Heilungen, Brotwunder, Fischzug, Sturmstillung, Jesus auf dem See, die Auferweckung Toter."
"Nur sich selbst konnte er nicht retten.", erwiderte Thomas.
"Weil er es nicht wollte.", entgegnete Philippus.
"Aber warum nicht?", fragte Thomas mit einem Unterton der Verzweiflung. "Was zum Teufel soll gut daran sein, wenn der Meister sich umbringen lässt? Wem nützt das etwas außer den Mächtigen und denen, die wollen, das alles genauso bleibt wie es ist?"
"Wir müssen Geduld haben.", mahnte Philippus.
"Worauf warten wir denn?", fragte Thomas.
Philippus seufzte. "Ich weiß es nicht."
Nach einer Minute der Stille zwischen den Dreien sprach Nathanael seine Gedanken aus: "Ich habe immer darauf gewartet, dass es endlich losgeht, dass das Richtige passiert in meinem Leben. Dann kam Jesus. Drei Jahre lang hatte ich das wunderbare Gefühl, dass ich gebraucht werde, dass ich lebe, dass ich Teil von etwas Großem bin, dass ich etwas tun kann. Und jetzt soll ich schon wieder warten? Ich will nicht mehr warten. Ich will weitermachen."
"Das will ich auch.", erwiderte Philippus. "Ich weiß nur noch nicht wie."
Thomas wollte auch weitermachen, weiter suchen nach dem, das er noch nicht gefunden hatte, auch nicht in den drei Jahren, in denen er Jesus begleitet hatte. Aber das sagte er nicht.
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