Samstag, 30. Oktober 2021
Glücksformel
Hey, willst du endlich total glücklich, entspannt und ganz und gar mit dir und der Welt im Reinen sein?
Da habe ich ganz viele coole Tipps.

Bleib einfach total ahnungslos in Sachen Religion und Spiritualität, dann wirst du automatisch zum Eigentümer/zur Eigentümerin einer perfekten Welt.
Oder höre auf, dich selbst zu bedauern, wenn es dir schlecht geht, es wird schon jemand kommen, der dich tröstet.
Oder sei zärtlich, sanft und leise. Dann wird dir am Ende diese Welt gehören. Und sei es auch nur weil ihr am Ende übrigbleibt, du und die, die es genauso halten wie du.
Oder bewahre dir deine Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Sie wird nicht ungestillt bleiben.
Oder begegne deinen Mitmenschen mit Empathie und Hilfsbereitschaft, dann wirst du nicht im Stich gelassen, wenn du selber Hilfe brauchst.
Oder bleib einfach sauber, nicht nur äußerlich und du wirst der Ursache allen Lebens direkt ins Gesicht sehen.
Oder lass dich zum Streitschlichter ausbilden. Alle werden dich dafür bewundern.
Oder setze dich so konsequent für Gerechtigkeit in der Welt ein, dass deine Gegner dich zum Schweigen bringen wollen. Am Ende wird es eine Welt geben, die keine Wünsche mehr offen lässt und sie wird dir gehören.

Haben Sie auch die Nase voll von all diesen hippen Lifestyle-Tipps, die eigentlich alle das gleiche meinen? Es ist deine Schuld, wenn es bei dir nicht so läuft, also zieh dich gefälligst selbst aus dem Dreck! Die Tipps klingen immer so einfach, nur besteht ja das Problem gerade in der Umsetzung. Es mangelt an Antrieb oder Mut oder Gelegenheit.
Und die Seligpreisungen, Matthäus 5,3-12 (https://www.bibleserver.com/LUT/Matth%C3%A4us5%2C3-12), der Predigttext des morgigen Sonntags, klingen ähnlich wie ein alter Poesiealbum-Spruch:

Willst du glücklich sein im Leben,
trage bei zu andrem Glück,
denn die Freude, die wir geben,
kehrt ins eigne Herz zurück.

Diese hohlen Phrasen will doch niemand mehr hören. Weiß man schon längst. Nichts Neues.
Nur war das damals eine andere Zeit. Glück war gleichbedeutend mit großem finanziellen Reichtum, körperlicher Unversehrtheit und reichlich Nachkommenschaft. Wer diese Ziele verfehlte, hatte leider verloren. Und dann kam jemand, der den damaligen Glücksbegriff auf den Kopf gestellt hat. Der einfach davon abgeraten hat, hinter etwas herzujagen. Nicht diejenigen sind Glückspilze die in glorreichen Feldzügen Schätze erobern, sondern diejenigen, die Kriege verhindern und sich redlich bemühen, das Leiden aus der Welt zu schaffen. Vielleicht kann man die Seligpreisungen auch verstehen als einen Aufruf zu mehr Gelassenheit.
Es läuft gerade nicht so gut? Macht nichts, es kommen auch wieder bessere Zeiten. Mach dich nicht verrückt, verlange nicht zu viel von dir, bleib einfach anständig und tue Gutes, vor allem für Andere.

Andererseits verstehe ich einige Verse als Aufruf, durchzuhalten und auch dann das Richtige zu tun, wenn es schwer fällt, wenn es gilt, Widerständen zu trotzen. Also nicht einfach nur zurücklehnen, sondern sich anstrengen und tun, was man kann; für eine bessere Welt, in der alle gut leben können.

Und was macht glücklicher als ein Leben in Gesellschaft lauter glücklicher Menschen?

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