Samstag, 17. Juli 2021
Macht alle zu Jüngern!
Vor kurzem erhielt ich die Mail einer Mutter, deren Kind meine Jungschar (eine regelmäßig stattfindende Kindergruppe) besucht. Sie schrieb:
"Ich habe mal eine Frage an Sie: Warum erzählen Sie in den Jungschar-Stunden keine biblischen Geschichten?
Was ist die Konzeption Ihres Vereins in dieser Sache? Möchte gerne darüber mit Ihnen in einen Austausch kommen."
Meine erste innerliche Reaktion: "Nerv mich nicht, Du frömmelnde Helikopter-Mama. Misch dich nicht in meine Arbeit ein, wenn dir langweilig ist!"
Aber das kann man ja nicht antworten. Man muss Fragen und Kritik schon ernst nehmen, auch wenn es schwerfällt, auch wenn da gleich eine Kette von freien Assoziationen ausgelöst wird, von Typen und evangelischer Kultur, bei der sich einem der Magen umdreht.

Ich antwortete also stattdessen:
"Das tun wir, nur nicht jede Woche. Wir sind nicht missionarisch ausgerichtet, sondern orientieren uns an dem, was die Kinder anspricht. Bei der vorletzten Jungschar haben wir in Anlehnung an den Kirchentag die Speisung der 5000 erzählt und die Kirche als besonderen Raum entdeckt. Ich weiß, dass es Jungscharen gibt, die nach dem klassischen Dreiklang (Singen, Andacht, Programm) laufen, aber so arbeiten wir hier nicht. Lieber einmal im Quartal und dann richtig. Das ist auch eine Frage des persönlichen Stils, welche Arbeitsweise einem eher liegt. Es bringt nichts nach den Konzepten anderer zu arbeiten, wenn man sie dann nicht vernünftig mit Inhalten füllen kann.
Für einen intensiven Austausch fehlt mir gegenwärtig die Zeit. Sommermaßnahmen, Ferien und ein Terminmarathon nach den Ferien machen das schwierig.
Herzliche Grüße und schöne Ferien."

Die Mutter war mit dieser Antwort zufrieden, sie kannte es anders, kam aus der missionarischen Arbeit, konnte das aber so stehen lassen, reagierte äußerst höflich.

Der Predigttext für den 11.07., den 6. Sonntag nach Trinitatis, steht bei Matthäus 28, 16-20. https://www.bibleserver.com/LUT/Matth%C3%A4us28%2C16-20
Es handelt sich um den berühmten Missionsbefehl, der neben der Ausbreitung des Christentums leider in der Umsetzung viel Leid über die Menschheit gebracht hat. Nicht die Worte sind das Problem, sondern Übereifer und Fehlinterpretation, ein Phänomen, das scheinbar nicht aus der Welt zu schaffen ist, weder bei Kirchens, noch in anderen Religionen, noch bei jedweder politischen Ideologie, medizinischen Ausrichtung, pädagogischen Konzepten...

Die missionarisch Ausgerichteten scheinen zu glauben, man müsse ständig und ohne Unterlass immer und überall von Gott reden und von Jesus und von allem, was in der Bibel steht und das überall anbringen. Das habe Jesus so gewollt. Das Ziel: Am Ende sind alle Menschen auf der Welt Christ*innen.

Ich sehe das anders, begreife diesen uralten Auftrag als Aufforderung, moderat für unseren Glauben zu werben, Menschen damit vertraut zu machen, einzuladen. Damit sie eine Chance haben, sich dafür zu entscheiden. Ich glaube allerdings nicht, dass es falsch ist, kein/e Christ*in zu werden. Es ist ein Weg, nicht der einzig wahre (auch wenn man diese Aussage in der Bibel findet.)
Klar kann man mehrmals im Monat biblische Geschichten erzählen. Man kann aber auch ein angemessenes Sozialverhalten trainieren, das dem christlichen Menschenbild entspricht und außerdem dafür sorgen, dass Kinder sich wohlfühlen. Wenn dann hin und wieder so ein religiöses Anliegen kommt, ist da eine viel intensivere Aufmerksamkeit.

Außerdem gibt es Kinder, die können damit nichts anfangen, die sind spirituell unmusikalisch. Die sind aber trotzdem toll, soll ich die alle verschrecken, weil sie sich dauernd so ein langweiliges Gerede anhören müssen?

Woher kommt dieser verbitterte Eifer, dieses "Alle müssen werden wie wir, damit die Welt gerettet wird!"?
Der naheliegenste Grund ist Dummheit. Oder Faulheit, geistige Unbeweglichkeit, keine Lust, nachzudenken, anzuerkennen, dass die Welt vielfältig, bunt und kompliziert ist.

Vielleicht ist es auch die Sehnsucht nach Sicherheit. Ich weiß, was richtig ist, ich kenne den Weg, ich muss ihn allen zeigen, damit sie auch in Sicherheit sind.

In jedem Fall ist es gefährlich und birgt unendliches Konfliktpotential.

Am Ende habe ich aber selbst ein missionarisches Anliegen: Liebe Menschen, nehmt Euch gegenseitig an, so wie Ihr seid, so wie Jesus es gemacht hat. Seid höflich, freundlich, hilfsbereit, aber auch ehrlich und klar. Und sorgt auch für euch selbst, denn ihr seid es wert.

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