Montag, 11. April 2022
Karfreitagabend - Vierzehnte Stunde
Das Essen im Hause Zebedäus war beendet. Die Gespräche waren vorübergehend zum Erliegen gekommen, denn alle waren schrecklich erschöpft und von Trauer durchdrungen. Zuerst war Maria Alphäus eingenickt, dann der Gastgeber selbst. Johanna saß ruhig da und starrte ins Leere, denn die schlafende Freundin lehnte entspannt an ihrer Schulter, sie wollte sie nicht aufwecken.
Frau Zebedäus räumte den Tisch ab und Maria Magdalena half ihr, die benutzen Schalen und Platten in den Hof zu tragen, wo schon das Spülwasser bereit stand. Sie weichten die verunreinigte Töpferware nur ein, denn der Schabbat hatte begonnen und die gründliche Reinigung des Geschirrs würde nicht vor dem kommenden Abend erfolgen. In stillem Einverständnis setzten sie sich in die kühle Abendluft und Maria Magdalena fragte die Gastgeberin: "Ist es sehr schlimm für dich, dass deine beiden ältesten Söhne in dieser schweren Stunde nicht bei dir sind?"
"Nicht so schlimm.", antwortete sie. "Ein bisschen traurig, aber sie sind ja nicht aus der Welt. So ist der Lauf der Dinge. Die Kinder werden groß und verlassen Vater und Mutter. Aber sie unterstützen uns immer noch sehr und sind ja meistens in unserer Nähe."
"Sie sind sehr unterschiedlich, nicht wahr?"
"Oh ja.", antwortete Frau Zebedäus und schmunzelte. "Jakobus ist durch und durch der Sohn seines Vaters und macht seinem Namen alle Ehre. Eine Kämpfernatur. Wäre er ein Zwilling, er hätte den anderen bei der Geburt nicht an der Ferse festgehalten, sondern zur Seite geschubst. Schon als kleiner Junge liebte er es, mit den Männern zusammen raus zu fahren, die vollen Netze ins Boot zu ziehen, ja sogar das Töten und Vorbereiten der Fische für den Markt machten ihm Freude. Manchmal war er mir regelrecht unheimlich. Ich fühlte mich wie eine Außenseiterin, als sei er gar nicht mein Kind, als sei ich nur das Gefäß gewesen, in dem der Spross des Zebedäus heranwuchs."
"Und das macht dich nicht stolz?", fragte Maria Magdalena vorsichtig.
Frau Zebedäus schaute sie ungläubig an, dann sagte sie: "Von den meisten anderen Frauen hätte ich so eine Frage durchaus erwartet, von dir allerdings am allerwenigsten."
Maria kicherte. "Stimmt. Ich wäre auch nicht gern ein nützlicher Gegenstand im Hause eines angesehenen Mannes."
"Eben.", erwiderte Frau Zebedäus. "Ich beklage mich ja nicht, er ist ein guter Mann, anständig, fleißig, stark und liebevoll. Kein jähzorniger Schläger, kein Trinker, kein Jammerlappen. Doch unsere Ehe ist eine Hausgemeinschaft, mehr nicht."
"Wieso? Ihr habt doch Kinder."
"So meine ich das nicht. Wir teilen die Verantwortung für unsere Kinder, das Bett, den Tisch und die Arbeit, die getan werden muss. Aber wir reden auch nur über diese Dinge. Was wir essen, wie viel Geld wir haben, was repariert werden muss, wie groß der Fang war, wenn ein Kind krank wird. Doch wir reden nie darüber, ob wir traurig sind oder froh, was wir glauben und woran wir zweifeln. Wovor wir Angst haben und was uns Mut macht."
"Männer führen solche Gespräche wohl nur untereinander.", meinte Maria.
"Zebedäus führt keine solchen Gespräche.", entgegnete seine Frau.
"Manche Männer können darüber nicht so gut reden, die machen das mehr mit sich selbst aus."
"Zebedäus macht nichts mit sich selbst aus.", widersprach seine Frau. "Er ist ein Fischer mit starken Muskeln, einer reinen Seele, einem funktionierenden Verstand und gänzlich ohne Sinn für alles, was nicht praktisch ist."
"Warum bist du seine Frau geworden?"
"Es ergab sich so. Er bot sich an, sah gut aus, war im passenden Alter, war stark, gesund und fröhlich. Warum hätte ich ihn zurückweisen sollen? Ich habe von einem Mann damals nicht erwartet, dass er tiefschürfende Gespräche mit mir führt. Er sollte mir Sicherheit bieten und mich gut behandeln. Das ist mehr, als die meisten Frauen bekommen. Aber wir sind sehr verschieden, Zebedäus und ich. Wir lieben und achten einander, aber wir können nicht miteinander reden."
"Und Johannes ist anders?", fragte Maria neugierig.
"Ganz anders. Er ist tatsächlich ganz und gar mein Sohn. Er ist auch keine Heulsuse oder ein Tölpel, aber für ihn waren die Arbeiten auf dem Boot nie das Höchste, was er im Leben erreichen wollte. Er machte sich schon früh Gedanken, ihm fielen Dinge auf. Zum Beispiel, dass es nicht gerecht ist, dass eine Witwe in Armut leben muss, wenn sie keine erwachsenen Kinder hat, die sie versorgen, während ein Mann ohne Frau einfach sein Tagwerk verrichtet, sein Haus unterhalten kann und genug zu essen hat, so dass es ein leichtes für ihn ist, eine neue Frau zu finden und bald wieder ein normales Leben zu führen. Mit Johannes hatte ich, seit er sprechen gelernt hat, an jedem Tag mehr gehaltvolle Gespräche als mit Zebedäus in dreißig Ehejahren."
"Und dann kam Jesus und hat dir beide Söhne weggenommen. Und den Johannes ganz besonders."
"Du meinst, weil er ihn zum Sohn der Maria von Nazareth erklärt hat?"
Maria Magdalena nickte zustimmend.
"Nein, das ist nicht schlimm. Zuerst war ich schon ziemlich aufgewühlt, aber dann hat Johannes mich angesehen und ich wusste, er ist noch immer mein Sohn, er kümmert sich nur um Maria. Jesus wollte sie versorgt wissen."
"Sie hat doch noch andere Kinder."
"Ja, aber die standen Jesus alle nicht besonders nahe und sie sind auch eher von der praktischen Sorte, so wie Zebedäus und Jakobus. Sie bieten keinen Ausgleich für den großartigen Jesus, der den Menschen ins Herz sah, so klug und so aufmerksam war. Und der so ganz und gar von Gott durchdrungen war, dass ein Glanz von ihm ausging. Mein Johannes war immer der Lieblingsjünger, das ist jedem aufgefallen, vielleicht ist etwas von dem Glanz Jesu auf ihn übergegangen. Er ist derjenige, der Marias Erstgeborenem am nächsten stand, ihm am ähnlichsten war, in der Art, wie er durchs Leben ging. Sie braucht seine Freundschaft, und ich muss sagen, dass ich ziemlich stolz auf ihn bin, gerade weil er derjenige ist, der mich am besten versteht."
"Und wie wird es nun für dich weitergehen?", fragte Maria Magdalena
"Das wird sich finden.", antwortete Frau Zebedäus gleichmütig. "Zebedäus wird weiter Fische fangen, unsere jüngeren Kinder werden größer und Jakobus und Johannes werden tun, was sie für richtig halten. Ich hoffe nur, sie werden keine langen Reisen antreten, weil ich dann keinen mehr zum Reden hätte. Aber wenn sie sich dazu entschließen, muss ich es hinnehmen."
"Du kannst dann ja ab und zu mit mir reden.", meinte Maria schmunzelnd.
"Ja", erwiderte Frau Zebedäus. "das wäre schön."

Im Versteck der Gemeinschaft saßen die engsten Vertrauten Jesu vorn, nahe am Eingang. Weiter hinten im Haus, am letzten Ende des Tisches, wo weitaus weniger Licht eindrang, hielten sich die anderen auf. Sie waren die Jünger in der zweiten Reihe. Diejenigen, die nie so nah an den Meister herangekommen waren, wie die Söhne des Zebedäus oder Petrus und Andreas.
"Wo ist Judas eigentlich?", fragte Jakobus Alphäus.
"Hast du das nicht gehört?", fragte Thaddäus. "Der hat sich in der letzten Nacht draußen vor der Stadt erhängt."
"Nein, das wusste ich nicht. Das ist ja furchtbar."
"vielleicht das Beste, was er je getan hat.", meinte Matthäus.
"Sag so was nicht!", wies Simon Kananäus ihn zurecht. "Judas hat uns immer gut über die Runden gebracht. Er war der Einzige, der vernünftig mit Geld umgehen konnte."
"Er war vor allem gut darin, immer unauffällig etwas für sich selbst abzuzwacken." unkte Matthäus.
"So unauffällig kann das ja nicht gewesen sein", wandte sein Bruder Jakobus ein, "wenn es sogar dir nicht entgangen ist."
"So durchtrieben kann er nicht gewesen sein." überlegte Thaddäus. "Ein Gewissenloser setzt seinem Leben nicht einfach so ein Ende, der mogelt sich weiter durch. Ich weiß gar nicht, ob Judas tatsächlich etwas für sich abgezwackt hat, ich weiß nur, dass er unser Geld gut verwaltet hat. Er war vielleicht nicht ganz reinen Herzens, aber wer kann das schon von sich behaupten?"
"Ja, du hast Recht.", gab Matthäus zu. "Ich war ja viele Jahre viel schlimmer als Judas. Ich habe Geld für die Römer eingetrieben und mich an meinen Brüdern schadlos gehalten. Nicht, weil ich es brauchte, sondern weil ich gern und viel gefeiert habe. Wenn ich den Geldbeutel gehabt hätte, wäre ich vermutlich auch das eine oder andere Mal schwach geworden."
"Selbst nachdem Jesus dich davon überzeugt hat, ein neue Lebensweise an den Tag zu legen?", fragte Thaddäus.
"Ich weiß es nicht.", erwiderte Matthäus. "Jedenfalls bin ich kein Heiliger. Jesus hat mich zum Nachdenken gebracht. Und mein Mitgefühl und mein schlechtes Gewissen habe ich danach nicht mehr betäubt. Aber wenn ich mir lange genug einrede, dass ein Vorteil, den ich mir verschaffe, niemandem schadet, dann kann ich auch ein bisschen was von meinem Anstand verlieren."
"Das kenne ich.", sagte Simon Kananäus. "Ich habe mir auch jahrelang eingeredet, dass die Zeloten im Recht sind, weil sie sich gegen die unrechtmäßigen Besatzer wehren, die uns gewaltsam ausplündern. Ich finde es immer noch richtig sich zu wehren, aber ich hatte schon damals so ein ungutes Gefühl, wenn die Kampfgenossen mit glänzenden Augen davon berichteten, wie sie einen römischen Soldaten abgestochen hatten. Ich dachte dann heimlich immer, dass der junge Mann sich das sicher nicht ausgesucht hat, in Palästina Dienst zu schieben, dass er viel lieber bei seiner Familie oder bei seiner Liebsten wäre, in seiner Heimat und dort irgendetwas tun könnte, womit er seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. Sein Kaiser hat ihn verpflichtet und er musste gehorchen, um sein Leben zu erhalten ? und dann haben wir es ihm genommen."
"Hast Du jemals selbst einen abgestochen, Simon?", fragte Matthäus.
"Nein, nie."
"Dann klebt doch auch kein Blut an deinen Händen."
"Doch. Das Blut von vielen. Und gerade eben war ich wieder soweit und habe selbst vorgeschlagen, die Männer des Hohen Rates zu ermorden. Da hatte die Wut wieder mehr Gewalt über mich als Verstand und Mitgefühl zusammen. Ich hätte etwas unternehmen müssen, um die Morde zu verhindern."
"Wie denn?"
"Durch Überzeugungsarbeit."
"Wenn das möglich gewesen wäre", wandte Thaddäus ein, ?hätte Jesus die anderen auch überzeugt. Hat er das?"
"Nein."
"Und da meinst du, dir hätte es gelingen können?"
"Nein.", räumte Simon ein. "Aber ich hätte es trotzdem versuchen müssen."
"Damit hättet du deine wertvolle Kraft verschwendet.", widersprach Matthäus. "Besser, du predigst denen, die es auch hören wollen."
"Aber bedeutet das nicht, dass wir dann für alle Zeiten unter uns bleiben?", fragte Thaddäus. "Wie sollen wir als Bewegung wachsen, wenn wir immer nur zu denen sprechen, die wir ohnehin längst überzeugt haben?"
"Wir wachsen schon noch.", meinte Matthäus. "Wir wollten ja auch zuhören, obwohl wir überzeugt werden mussten. Es gibt sicher noch viele, die auf der Suche sind oder die sich ganz verloren fühlen und sich von uns finden lassen wollen."

Susanna saß noch immer vor ihrem Haus und blickte mit den Händen im Schoß in den dunklen Abendhimmel. Sie könnte hier sitzen bleiben und weiter darauf warten, dass die alten Beschwerden sich wieder einstellten. Sie könnte aber auch das Geheimversteck der Gemeinschaft aufsuchen und sich dort vielleicht geborgen fühlen. Ja. Sie würde es versuchen.

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Sonntag, 10. April 2022
Karfreitagabend - Dreizehnte Stunde
Nun saßen die Zwölf wieder beisammen wie vor einer Woche - nicht ganz, Judas fehlte und ein paar Frauen waren dabei - und Jesus fehlte.
Martha von Bethanien hatte die Lichter angezündet, Andreas war mit der Lesung und den Gebeten an der Reihe gewesen. Alles war wie immer und doch vollkommen anders. Sie hielten die äußere Form aufrecht, aber der Inhalt schien ihnen abhandengekommen zu sein.
Man sah nur in ernste Gesichter, einige hatten geschwollene Augen von tausend Tränen, andere schienen innerlich erstarrt. Martha verdrängte ihre Trauer mit hauswirtschaftlicher Geschäftigkeit, ging damit aber dem einen oder anderen auf die Nerven ? unter anderem ihrer großen Schwester.

Maria von Bethanien war gerade vollkommen in ihrer Trauer versunken, sie wollte nichts hören, mit niemandem reden. Es kam in Wellen, wenn eine Welle vorüber war, konnte sie wieder zuhören und antworten und dabei auch freundlich und aufmerksam sein. Aber wenn sie gerade von einer solchen Woge des Schmerzes überrollt wurde, dann war sie nichts als Schmerz, wie ein Scheffel Gerste, über dem Feuer geröstet und jedes Korn war zum Zerreißen gespannt, kurz vor dem Aufplatzen, um am Ende in vielen verschiedenen Mägen zu verschwinden, zu zerfallen, eine aufgelöste Einheit, von der nur die Hülle blieb. Sie wäre Jesus am liebsten in den Tod gefolgt, aber sie war zu gläubig, um das geschenkte Leben einfach fortzuwerfen. Sie würde es überleben und wieder ganz werden. Und Jesus würde ihr dabei helfen, selbst jetzt, wo er nicht mehr unter ihnen war.
Wie Traumgesichte blitzten die Erinnerungen an ihren geliebten Meister vor ihrem inneren Auge auf. Die erste Begegnung, ganz besonders aber das lange Gespräch über Gott und das Leben und den Himmel und über alles, was richtig und falsch war und das süße Gefühl, als Jesus sie gegenüber der gefallsüchtigen, missgünstigen kleinen Schwester in Schutz genommen hatte und ihrer Gesellschaft gegenüber Marthas kulinarischen Verlockungen den Vorzug gab.
Wie er ihren Bruder gerettet hatte, obwohl der schon seit Tagen tot in der Gruft lag, und wie sie ahnend, dass seine Tage auf dieser Welt gezählt waren, seine Füße mit ihren Tränen gewaschen, mit ihrem Haar getrocknet und mit dem edelsten Nardensalböl einbalsamiert hatte. Wie sonst hätte sie ihrer grenzenlosen Liebe Ausdruck verleihen sollen, ohne dabei anzüglich oder aufdringlich zu wirken?
Die Erinnerungen an Jesu Gunstbezeugungen würde sie hüten wie einen Schatz, sie würde den Rest ihres Lebens von ihnen zehren und niemand würde sie ihr nehmen können. Sie betrachtete ihre Schwester. Martha hatte ihr alles genommen: den Lagerplatz neben der Mutter, das Lieblingsspielzeug, die Liebe des Vaters. Als Martha zur Welt gekommen war, war Maria plötzlich nicht mehr vorhanden gewesen. War es Zufall, dass ihre Eltern der Erstgeborenen einen Namen gaben, der ?die Bittere? bedeutete?
Als der kleine Lazarus zur Welt kam, verlor auch Martha ihre Privilegien, doch die nahm es gleichmütiger auf als Maria. Und wegen dieser gleichmütigen Fröhlichkeit war sie auch weiterhin die geliebtere Tochter. Das schmerzte bis heute.
Die kleine Maria hatte einen Ausweg gefunden, die Schmach zu ertragen, indem sie ganze Welten in ihrem Kopf erschuf, in denen sie geschätzt, geachtet und geliebt wurde, in denen sie etwas galt. So schaffte sie es, die Geringschätzung und Nichtbeachtung ihrer Umgebung von sich fernzuhalten. Sie wollte nie einfach nur die Anforderungen erfüllen, die an sie herangetragen wurden. Sie lernte Brot backen, aber sie versuchte nicht, die beste Bäckerin zu sein. Sie konnte Gewänder nähen, aber keine, um die die anderen Frauen sie beneideten. Sie machte das Haus sauber, aber sie fand darin keine Erfüllung. Es musste getan werden, aber es war nichts als lästige Lebenszeitverschwendung. Maria war für etwas anderes bestimmt. Sie sah und erspürte Dinge, die anderen verborgen blieben. Sie verstand Zusammenhänge, die sich kaum jemandem erschlossen. Dieses Gefühl der Überlegenheit war wie ein Fluch, denn niemand gestand ihr ihre Urteilsfähigkeit zu. Doch Maria glaubte an sich und ihre Fähigkeiten, der Tag würde kommen, an denen sie es allen zeigen würde.
Und dann kam Jesus. Und mit ihm ein Mann, der sie nicht nur verstand und ihr zuhörte, sondern einer, der ihre Klugheit bewunderte, ihr das zeigte und sie vor allen anderen heraushob. Er verschaffte ihr den Glanz, nach dem sie sich in ihrer gesamten Kindheit gesehnt hatte. In seiner Gegenwart durfte sie sie selbst sein. Und darüber hinaus hatte sie so viel von ihm lernen dürfen, denn er hatte wirklich etwas zu sagen, im Gegensatz zu den meisten Männern, die sich nur aufplusterten, jedoch von bemitleidenswertem kleinen Geist waren. Sie hätte alles für ihn getan, wenn es notwendig gewesen wäre oder er sie darum gebeten hätte.
Tatsächlich war sie ihm gefolgt, hatte zusammen mit den anderen Frauen dafür gesorgt, dass er immer einen bequemen Platz zum Schlafen, etwas Anständiges zu Essen und saubere Kleidung hatte. Sie hatte auch dafür gesorgt, dass die richtigen Leute mit ihm in Kontakt kamen und dass sie ordentlich bewirtet wurden, damit sie auf seine Seite wechselten. Aber sie hatte auch seinen Worten gelauscht und manchmal kluge Fragen gestellt. Sie wäre gern die Einzige für ihn gewesen, aber sie war viel zu klug, um auch nur die Hoffnung zu wagen, dieser Traum könne wahr werden. Jesus war der Sohn Gottes, kein Mann, auf den eine Frau den alleinigen Anspruch erheben konnte.
Trotzdem war es ihr immer wieder gelungen, seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu erlangen. Männer liebten es, wenn Frauen ihnen aktiv zuhörten, sie haltlos bewunderten, die richtigen Fragen stellten und sie damit unentwegt aufforderten, nur nicht aufzuhören, ihre klugen Gedanken preiszugeben. Auch wenn er der Messias war, er war eben auch ein Mann. Die anderen Frauen beneideten sie aus tiefstem Herzen. Keine gönnte ihr die Gunst des Meisters. Vor allem ihre kleine Schwester fand es peinlich und anmaßend, wie Maria sich an Jesus anbiederte. "Das steht dir nicht zu!", hatte sie sie einmal angegiftet.
Und nicht nur die Frauen hatten sie eifersüchtig beäugt. Auch die Männer waren außer sich gewesen, als sie Jesus die Füße salbte. Wie eine Verrückte hatten sie sie behandelt, mit ihr geschimpft, sie ausgelacht, die Nasen gerümpft. Aber Maria war das alles egal gewesen. Für sie zählte nur, dass sie ihr Ziel erreichte. Wie die anderen das bewerteten, war ihr gleich. Es war eine unfassbare Ehre, dass Jesus ein Freund der Familie war, ihnen vertraute und in ihrem Haus ein- und ausging, als wohne er bei ihnen. Aber mehr war nicht drin. Und obwohl sie es längst geahnt hatte, fühlte sie sich im Augenblick, als habe man ihr mit dem Mord an Jesus das Herz heraus gerissen und ihr stattdessen einen wütenden Quälgeist in die Brust gepflanzt, der sie immerfort daran erinnerte, wie sehr der Meister ihr fehlte und den Rest ihres Lebens fehlen würde.

Maria von Bethanien merkte nicht, dass seit geraumer Zeit die Blicke eines Mitjüngers auf ihr ruhten. Jakobus, der Sohn des Alphäus, Bruder des Levi, den sie auch Matthäus nannten, gehörte zu ihren stillen Verehrern. Ihre tiefe Freundschaft und Verbundenheit mit Jesus erfüllte ihn mit großem Respekt, aber aufgefallen war ihm vor allem die keusche Schönheit dieser starken und klugen Frau. Jakobus hatte noch nie zu den Privilegierten und Bewunderten gehört. Er war schon froh, wenn er einfach dazugehören durfte und man ihn nicht wie einen Hund vor die Tür schickte. Dass Jesus auch ihm damals die Macht gegeben hatte, unreine Geister auszutreiben, war fast schon zu viel der Ehre für ihn. Wären da nicht elf andere gewesen, die diese Fähigkeit genauso erhalten hatten, wäre ihm diese Gabe zu Kopf gestiegen. Er war der Mitläufer eines Mitläufers, ein Niemand im Schatten eines zwielichtigen Mittelmäßigen, der ihm vor allem eins beigebracht hatte: sich das Fleisch nicht aus der Suppe fischen zu lassen.
Dann war Jesus gekommen, hatte Levi umgekrempelt und ihn gleich mit. Er hatte sich gefühlt, als hätte man ihn von innen und außen mit der Wurzelbürste geschrubbt. Er fand es nicht schlimm, keiner von den ganz großen Lichtern zu sein. Mutig vortreten, erste Schritte ins Unbekannte wagen, Verantwortung für andere übernehmen, dazu fehlte ihm einfach die Kraft. Sich anschließen und auf Ansage handeln, das war da schon eher seine Sache. Doch während die meisten Menschen nur denen Respekt und Anerkennung zollten, die durch besondere Leistungen hervorstachen, hatte Jesus ihm immer das Gefühl gegeben, genau richtig zu sein, nützlich und wertvoll, so wie er war. Er erinnerte sich noch, wie Levi einem Markthändler frischen Fisch abgekauft hatte und anschließend festgestellt hatte, dass der Preis viel zu hoch gewesen war. Jakobus hatte einen uralten Witz darüber gerissen: "Wer an die eigne Klugheit glaubt, der wird vom Klügsten ausgeraubt."
Die anderen Jünger hatten blasiert mit den Augen gerollt, Jesus dagegen hatte herzlich gelacht und ihm auf die Schulter geklopft. "Jakobus", hatte er gesagt, "du sprichst weise Worte, die viel zu oft unbedacht verlautbart wurden, in diesem Fall aber ihr Ziel nicht verfehlen. Dieses Erlebnis wird deinem älteren Bruder sein Leben lang eine Lehre sein."
Die anderen Jünger hatten beschämt den Blick gesenkt, weil sie eigentlich aus alter Gewohnheit auf jede Bemerkung des Jakobus mit Verachtung reagierten und nun erkennen mussten, dass auch der Geringste manchmal etwas Wertvolles beizutragen hatte. Ob sie sich wohl an Jesu Worte erinnern würden, wenn er künftig einen Gedanken oder einen kleinen Scherz von sich gab? Oder ob sie ihn wieder mit der gleichen Geringschätzung behandeln würden, wie er es von Kindesbeinen an gewohnt war? Jesus hatte ihn beschirmt, ihm den Rücken gestärkt, ihn spüren lassen, dass er etwas wert war. Wer würde das jetzt noch tun?

Salome entgingen die Blicke des Jakobus nicht. Sie stieß Maria Klopas sanft in die Seite und flüsterte: "Ist dir das auch aufgefallen? Jakobus hat scheinbar ein Auge auf Maria von Bethanien geworfen."
"Was du immer gleich denkst.", erwiderte die gutmütige Maria Klopas. "Vermutlich nimmt er nur Anteil an ihrem großen Schmerz. Vergiss nicht, wie eng verbunden Jesus mit den Geschwistern in Bethanien war. Für sie ist nicht nur der Rabbi gestorben, sondern auch ein sehr guter Freund."
"Das ist natürlich wahr, aber ich glaube trotzdem Regungen bei Jakobus zu erkennen, die weitergehen, als geschwisterliches Mitgefühl."
"Na und? Warum sollten die beiden nicht Trost beieinander finden? Sie sind nicht verheiratet und gehören beide zu Jesus. Was wäre schlimm daran?"
"Nichts. Es fiel mir nur auf."

Andreas saß neben seinem Bruder Simon Petrus und kaute lustlos auf einem Stück ungesäuerten Brotes herum. Er aß, weil er essen musste, nicht weil es ihm schmeckte oder er etwa hungrig gewesen wäre, zumindest fühlte er keinen Hunger. Eine großartige Zeit war zu Ende gegangen, ganz plötzlich, von einem Tag auf den anderen. Gestern noch hatten sie mit Jesus ausgiebig zu Abend gegessen, jetzt war er fort, für immer. Es war so ein erhebendes Gefühl gewesen, zum Kreise der Auserwählten zu gehören, von Jesus selbst zur Nachfolge berufen, er und sein Bruder waren die ersten gewesen; das Ansehen, das sie alle genossen hatten, weil sie frühzeitig in das Gefolge des Messias eingetreten waren.
Wie sollten sie weiterleben? Was konnten sie noch tun? Simon saß wie ein halb leerer Getreidesack auf seiner Matte und starrte auf seinen Teller, den er nicht einmal anrührte. Das war eigentlich das Schlimmste, den großen Bruder so leiden zu sehen. Er war immer der Macher gewesen, der Starke, der Entscheider. Er hatte Andreas Sicherheit gegeben, wenn seine raue Art auch nicht immer angenehm gewesen war. Genau wie ihr Vater neigte Simon zu impulsiven Entscheidungen und unberechenbaren Gefühlsausbrüchen. Oft hatte Andreas sich wegducken müssen und er hatte gelernt, wachsam zu sein, aufkommenden Ärger frühzeitig zu wittern, um sich aus dem Staub zu machen oder mit besänftigenden Methoden dagegen zu halten. Er hatte stets im Schatten des Erstgeborenen gestanden, aber das hatte ihn nie gestört, er nahm es als gegeben, denn es bot ja auch erhebliche Vorteile.
"Iss, Bruder.", wandte er sich an Petrus. "Es steht mehr als genug auf dem Tisch und es wäre eine Schande, es morgen wegzuwerfen. Hier sind heute Abend keine 5000 Menschen, mit denen wir es teilen könnten."
"Wie viel hatten wir damals?", fragte Petrus.
"Fünf Brote und zwei Fische.", antwortete Andreas. "Ich weiß es noch genau. Der Meister hatte uns aufgetragen, wir sollten den Leuten zu Essen geben. Da war ein Kind, das die Gerstenbrote und den Fisch bei sich hatte. Ich machte Jesus klar, dass man aus so einer Menge keine 5000 Portionen zaubern könne, aber er bestand darauf, einfach alles auszuteilen, was da war. Er fragte nie ob etwas funktioniert, er machte einfach, was er für richtig hielt."
"Ja, so war er.", sagte Petrus. "Er machte einfach und hatte vor nichts Angst."
"Ich habe bis heute nicht verstanden, wie wir die Leute damals alle satt bekommen haben." sagte Andreas. "So viele Menschen. Wie hat er das nur gemacht?"
"Das war ein verdammtes Wunder, Bruder.", antwortete Petrus.
"Aber wozu?", fragte Andreas. "Um uns Menschen zu beweisen, dass er sogar Fisch und Brot vermehren kann?"
"Vielleicht um uns zu zeigen, dass wir uns nicht immer solche Sorgen machen sollen.", überlegte Petrus. "Dass Gott uns schon irgendwie satt macht. Wir sollen uns lieber um unsere Seelen sorgen als um unsere Mägen."
"Ach", meinte Andreas. "Um unsere Seelen wird der Herr sich auch kümmern. Weißt du, was ich denke? Ich vermute, alle hatten etwas dabei, aber keiner wollte seine Vorräte hervorholen, weil er Angst hatte, dass er der einzige war und dass ihm dann alle gierig aufs Essen starrten, so dass er hätte teilen müssen und kaum etwas für sich übrig behalten hätte. Als alle gesehen haben, dass wir unser Essen verteilten, obwohl wir eigentlich nicht genug hatten, waren sie beschämt und haben auch ihre Beutel geöffnet und so wurden alle satt und am Ende blieb sogar noch für jeden von uns ein Korb voll übrig, sodass wir uns auch um den folgenden Tag keine Gedanken machen mussten. - Aber nun ist er fort. Wer wird jetzt für uns sorgen?"
"Das werden wir schon schaffen.", antwortete Simon Petrus. "Wir haben es zuvor hinbekommen und genaugenommen haben wir Jesus versorgt, wenn es um das leibliche Wohl ging und nicht umgekehrt."
"Wir haben Jesus versorgt?", protestierte Martha von Bethanien die gerade eine neue Schüssel mit Kräuteröl auf den Tisch gestellt und den jüngsten Wortwechsel zufällig mitangehört hatte. "Welcher von euch Männern hat sich jemals um irgendetwas Praktisches gekümmert? Das haben wir Frauen getan und zwar nur wir Frauen!"
"Lass es gut sein, Martha.", suchte Andreas sie zu beschwichtigen. "Mein Bruder hat das nicht so gemeint. Wir - das ist die Gemeinschaft. Und ihr Frauen seid Teil der Gemeinschaft."
"Sind wir das?", fauchte Martha und ging zurück an ihren Platz.

"Wir müssen Jesus rächen!", tönte es vom anderen Ende der Tafel aus dem Mund des Simon Kananäus.
"Und wie stellst du dir das vor?", fragte Thomas
"Wir überfallen den Sanhedrin und schneiden ihnen die faltigen Kehlen durch. Und direkt danach knöpfen wir uns Pilatus vor."
"Du sehnst dich wohl nach dem Kreuzestod.", erwiderte Thomas lakonisch.
"Das hätte Jesus nicht gewollt.", erklärte Johannes.
Im Kopf des Andreas beschworen Simon Kananäus Worte Bilder des Schreckens und der Gefahr herauf. Vor diesem folgenschweren Fehler musste er ihn unbedingt bewahren.
"Wir sollten eine Weile gar nichts tun.", sagte er bestimmt. "Wir stehen ohnehin im Visier des Hohen Rates und der römischen Truppen. Sie halten uns für gefährlicher, als wir in Wahrheit sind und wenn wir nur unsere Nase aus der Tür stecken, werden sie uns den Kopf abschlagen. Jesus hat an den Säulen ihrer Macht gesägt und sie werden alles tun, um zu verhindern, dass wir sein Werk vollenden. Wir sollten uns tagsüber verstecken, nachts fischen gehen und die Frauen bitten, uns mit dem Notwendigsten zu versorgen. Vielleicht müssen einige von uns von hier verschwinden, irgendwohin, wo man uns nicht kennt. Aber für einen gewaltsamen Aufstand fehlen uns die Waffen und wir sind zu wenige."
"Und Jesus hätte es nicht gewollt.", wiederholte Johannes eindringlich.
"Genau.", bestätigte ihn Andreas
"Aber ich werde verrückt, wenn ich nicht irgendetwas tue.", sagte Simon Kananäus.
"Dann flick ein paar Netze.", schlug Andreas vor. "Oder repariere eins von den Booten, die undichte Stellen haben."

Zwei Straßen weiter saß Susanna einsam in ihrem Haus, stumm vor Angst, dass nun alles wieder so würde wie zuvor. Jesus von Nazareth hatte ihrem Leben eine Richtung gegeben. Sie fand die Kraft, sich morgens zeitig von ihrem Lager zu erheben, die Dinge zu tun, die getan werden mussten und noch vieles darüber hinaus. Sie hatte viel geleistet, viel gelacht und viele Freundinnen gefunden. Bevor Jesus in ihr Leben getreten war, war sie vollkommen am Ende gewesen. Dabei hatte einmal alles so vielversprechend angefangen. Ihre Eltern hatte eine gut gehende Töpferei gehabt und als Susanna im heiratsfähigen Alter gewesen war, hatte sich eine Hochzeit mit Benjamin, dem Gerber ergeben und sie hatten zusammen einen lukrativen Marktstand betrieben, mehrere Töchter bekommen und ein fröhliches Leben gehabt. Die Töchter hatten nacheinander das Haus verlassen, um selbst zu heiraten und dann war Benjamin eines Tages plötzlich gestorben und hatte sie mit allem allein gelassen. Sie hatte sich versorgen können, war keine mittellose Witwe, aber sie war so unglücklich und einsam gewesen und schon bald hatten sich die ersten Beschwerden hinzugesellt. Schweißausbrüche, schlaflose Nächte, rasende Kopfschmerzen, Tage entsetzlicher Schwäche, dann wieder Tage mit schlimmen Krämpfen in den Muskeln. Nach ihren monatlichen Blutungen sah ihr Lager meist aus wie ein Schlachtfeld und sie hatte sich müde und kraftlos gefühlt, gefröstelt und gezittert. Irgendwann hatten sie Zweifel beschlichen, ob sie so noch lange würde weiterleben können. Sie schaffte kaum etwas, so hatte sie auf dem Markt nicht viel anzubieten und bald würde es an allen Ecken fehlen. Ihren Töchtern wollte sie nicht zur Last fallen, keine von ihnen hatte sich wirklich gut verheiratet, sie kämpften allesamt um das Überleben ihrer zahlreichen Kinder.
Dann hatte Susanna von Jesus gehört, der eine Frau von ihrem pausenlosen Blutfluss geheilt hatte, nachdem sie nur den Saum seines Gewandes berührt hatte. So war sie zu einer der Versammlungen gegangen, bei denen Jesus als Redner angekündigt war.
Sie hatte sofort gespürt, welche Kraft von dem jungen Mann mit den sanften Augen ausging. Nur ihn zu sehen und ihm zuzuhören, brachte vieles in ihrem Inneren, das seit dem Tod ihres Mannes gründlich durcheinander geraten war, wieder in Ordnung. Als habe jemand das Haus ihrer Seele aufgeräumt und gründlich gefegt. Als sich die Gelegenheit dazu geboten hatte, war sie zu ihm gegangen und hatte ihm ihr Leid geklagt: Die Alpträume, die Schmerzen, das Frauenleiden, die Krämpfe, die Schwäche. Er hatte ihr geduldig zugehört und immer wieder bestätigt, dass all dies bedauernswerte Leiden seien. Er hatte Fragen gestellt. "Wie lange musst du das schon ertragen?" "Wie schaffst du es, trotz allem noch immer für dich zu sorgen?" "Gibt es niemanden, den du um Hilfe bitten kannst, an den Tagen, an denen es dir schlecht geht?" Sie hatte sich kraftlos, zerschlagen, ausgelaugt und sterbenskrank gefühlt, als sie ihn aufgesucht hatte. Nach dem Gespräch war sie plötzlich voller Freude und Energie und frei von Schmerzen gewesen. Zu allem Überfluss hatte Jesus vorgeschlagen: "Wenn du so allein bist, schließe dich doch unserer Gemeinschaft an. Du kannst für andere etwas tun und wenn du nicht mehr kannst, helfen die anderen dir."
Das war der Start gewesen und seitdem war kein Tag vergangen, an dem sie nicht teilgenommen hatte am Leben des Meisters und der Gemeinschaft. Noch nie in ihrem Leben war es ihr so gut gegangen. Doch jetzt war der Meister tot und die Gemeinschaft? Was würde aus seinen Gefolgsleuten werden? Sie waren bei seiner Verhaftung auseinandergelaufen, hatten sich in alle Winde verstreut und nun saß sie wieder hier, allein in ihrem Haus und die Schwermut kam zurück und mit ihr sicher bald wieder die Schmerzen, die Schwäche, die Mutlosigkeit.

Im Hause Zebedäus war der zeremonielle Teil des Schabbatmahls längst beendet und man war beim geselligen Teil angekommen. Aber es verlief nichts wie gewohnt an diesem Freitagabend, niemand langte tüchtig zu oder machte fröhliche Scherze. Es herrschte Schweigen und die schlichten Gespräche, die man sonst zu solchen Gelegenheiten führte, erstarben bereits nach wenigen Wortwechseln. Sie standen alle noch unter Schock, fühlten sich, als seien sie nicht selbst Bewohnerinnen und Bewohner ihrer sterblichen Hüllen, als habe jemand Anderes die Führung übernommen, während ihre eigenen Seelen im Nirgendwo herumirrten, auf der Suche nach Ruhe, Trost und Heilung.
"Wie geht es deinem Mann, Johanna?", fragte Zebedäus. "Ist er nicht ungehalten, wenn du am Schabbatabend nicht zu Hause bist?"
"Nein.", antwortete Johanna. "Er hat bei Hof zu tun. Herodes Antipas ist kein frommer Mann, er lässt seine Diener auch am Tag des Herrn arbeiten, wenn er meint, dass er sie braucht."
"Aber was hat ein Verwalter des Königs ausgerechnet am Schabbat zu tun?", fragte Maria Alphäus verwundert.
"Herodes hat eine kostspielige Gemahlin. Herodias verbraucht mehr Gold für Salböle, Kleider und Geschmeide in einem Monat, als der Hof für Essen und Trinken zur Verfügung hat. Chuzas muss ständig neue Berechnungen anstellen, Einsparungen vornehmen und neue Quellen für Einkünfte erschließen."
"Dann ist er sicher froh, dass er dich in guter Gesellschaft weiß.", meinte Maria Magdalena schmunzelnd. "hatte er eigentlich jemals Schwierigkeiten, weil seine Frau einem Freund und Verwandten eines Feindes des Königs folgt?"
"Du meinst die Verwandtschaft mit Johannes dem Täufer? Ich glaube Herodes Antipas ist sich dieser Verbindung gar nicht bewusst. Er hat Johannes aus dem Weg geräumt, weil er ihm lästig war. Jesus hat ihn nicht weiter gestört. Wenn ihm jedoch jemand etwas darüber erzählt hätte, hätte Chuzas zumindest seinen Posten verloren, wenn nicht Schlimmeres. Anfangs habe ich ja auch nur von Jesus gehört und ihn mal bei großen Menschenansammlungen aus der Ferne gesehen. Oft bin ich gar nicht aus dem Haus gegangen. Ich hatte ja dauernd diese berstenden Kopfschmerzen, dazu Schnupfen und Niesattacken und tränende Augen, ich konnte oft gar nicht unter Leute gehen. Das war zuerst der Grund, warum ich seine Nähe gesucht habe. Er war ein großer Heiler, das hatte ich gehört und ich war von einer gewissen Hoffnung beseelt, dass er mein Leiden lindern könnte."
"Und? Hat er es gelindert?", fragte Frau Zebedäus.
"Gelindert?", erwiderte Johanna. "Nein. Er hat mich vollständig geheilt. Er fragte mich nach meinem Namen. Dann sagte er: 'Johanna, du bist sehr krank. Willst du gesund werden?' Ich antwortete: 'Auf jeden Fall, das ist mein größter Wunsch, damit ich meinen Mitmenschen von Nutzen sein kann, statt tagelang auf dem Lager zu greinen'. Er legte eine Hand auf meine Stirn und sprach ein Gebet. Und sofort spürte ich eine Leichtigkeit und Klarheit in meinem Kopf, wie ich sie seit meiner Kindheit nicht mehr kannte. Meine Nase war frei, meine Augen trocken. Da habe ich mich entschlossen, ihm künftig zu folgen, mich nützlich zu machen, ihn nach allen Kräften zu unterstützen. Darum bin ich zu Eurer Gemeinschaft gestoßen, weil ich Jesus helfen wollte bei seinem guten Werk."
"Und dein Mann war damit einverstanden?", fragte Frau Zebedäus.
"Anfangs nicht.", antwortete Johanna. "Zuerst habe ich es sogar vor ihm geheim gehalten. Ich war mir nicht sicher, was er davon hielt und wollte keinen Streit oder es mir am Ende von ihm verbieten lassen. Eines Abends kam ich später heim als er und es war noch kein Essen vorbereitet. Da war er sehr ungeduldig und außerdem zweifelte er an meiner ehelichen Treue, darum musste ich alles zugeben, sonst hätte er mir nicht geglaubt, dass ich keinen Liebhaber hatte. Einerseits war er erleichtert, dass ich tatsächlich das treue Eheweib war, für das er mich bis dahin gehalten hatte, andererseits, war er wütend, dass ich ohne sein Wissen solch ein Risiko einging. Er hatte Sorge um seine Stellung und auch vor schlimmeren Strafen. Doch ich konnte ihn überzeugen. Es ist schön, eine gute Arbeit zu haben, von der man seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, aber wenn man dafür seine Seele verkaufen und den Speichel seiner Herren lecken muss, dann ist es keine gute Arbeit mehr. Ich sagte ihm, dass Herodes viel zu eingebildet sei, um sich auch nur einen Augenblick mit Jesus von Nazareth zu beschäftigen und falls er ihn doch des Palastes verweise, dann würde Jesus uns schon helfen, einen neuen Platz für ihn zu finden. Er hatte mich geheilt, er hatte sogar Tote auferweckt. Was konnte uns da ein machtloser Stellvertreter-König wie Herodes schon anhaben?"
"Aber jetzt ist Jesus tot.", sagte Maria Magdalena. "Will dein Mann dich da nicht ganz und gar zurück haben?"
"Ich bleibe Jesus treu.", antwortete Johanna. "Auch über den Tod hinaus. Wir müssen sein Werk vollenden."
"Bleib den Schabbat über bei uns und sei unser Gast.", sagte Frau Zebedäus lächelnd.
"Und kommst du Sonntagmorgen mit zum Grab des Meisters?", fragte Maria Magdalena.
"Um den Leichnam zu salben?", fragte Johanna. "Auf jeden Fall."

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Samstag, 9. April 2022
Karfreitagabend - zwölfte Stunde
Jakobus der Sohn des Zebedäus sprach seinen Bruder Johannes an: "Wie war es bei Maria? Hat sie sehr geweint?"
"Zuerst kaum.", antwortete Johannes. "Sie hatte bereits Krüge voller Tränen vergossen, als sie ihren toten Sohn im Arm hielt. Es war so, als habe sie alle Tränen verbraucht und als könne sie nichts mehr fühlen. Sie lief stumm neben mir her, setzte einen Fuß vor den anderen, als hätte eine fremde Macht ihre Beine bewegt, während sie selbst gar nicht da zu sein schien. Kurz vor ihrem Haus fing sie an zu reden. Dazu muss ich erklären, dass Jesus in seiner letzten Stunde gesagt hat, dass ich nun der Sohn der Maria sei und sie meine Mutter. Er hat sich wohl gewünscht, dass ich mich um sie kümmere, vielleicht traute er das seinen Geschwistern nicht zu. Jedenfalls sagte sie: 'Johannes, du musst nicht für mich sorgen, ich habe doch noch andere Söhne und du hast schließlich eine Mutter, die dich braucht.'
'Die hat auch andere Söhne', habe ich da geantwortet. Da hat sie sogar ein wenig gelächelt und sich auf meinen Arm gestützt. Sie meinte, dass sie es immer gewusst hätte, dass es einmal so kommen würde, aber dass sie gehofft hätte, es nicht erleben zu müssen, dass sie vor ihm hätte sterben dürfen. Dann schwieg sie wieder und kurz vor der Haustür sagte sie: 'Aber der Allmächtige wird es so gewollt haben, damit ich in der schwersten Stunde meinem Sohn beistehen konnte.'
Als wir dann ihr Haus betraten und Simon sie als Erster tröstend in den Arm nahm, flossen die Tränen wieder. Hanna, bat mich auf einen Tee und etwas Brot zu bleiben. Maria hat dann, nachdem sie alle ihre Kinder einmal umarmt hatte, auf mich gezeigt und gesagt: 'Johannes ist jetzt euer Bruder. Das hat Jesus so gewollt.'"
"Und wie haben ihre Kinder reagiert?"
"Überrascht. Niemand war aufgebracht, aber ich hatte auch nicht das Gefühl, dass irgendjemand verstanden hat, warum Jesus das gesagt hat."
"Vielleicht hatte er auch nur ein schlechtes Gewissen gegenüber seiner Mutter.", meinte Jakobus.
"Weil er die Stirn hatte sich ermorden zu lassen?", fragte Johannes ungläubig.
"Im Prinzip schon.", erwiderte sein Bruder. "Er hat es ja regelrecht darauf angelegt. Und als er seine gramgebeugte Mama da stehen sah, fühlte er sich vielleicht verpflichtet, diesen Leichtsinn wieder gut zu machen, die Folgen abzumildern, indem er ihr einen angemessenen Ersatz anbot. Aber ich weiß natürlich auch nicht, was er sich dabei gedacht hat. Auf jeden Fall sind seine Brüder bestimmt nicht zu faul, schlecht oder dumm, um Maria zu versorgen. Im Gegenteil. Es war doch Jesus, der sich eigentlich gar nicht mehr um sie gekümmert hat."
"Vielleicht nicht um ihr leibliches Wohl.", merkte Johannes an. "Aber um ihre Seele. Und ihre anderen Kinder sind nicht solche Geisteswesen, eher Menschen mit starken Armen und kräftigen Händen."
"Das ist nicht verkehrt.", sagte Jakobus.
"Nein.", sagte Johannes. "Wir wären auch nicht da wo wir heute sind, wenn unser Vater nicht so ein guter und fleißiger Fischer wäre und wenn er uns nicht beigebracht hätte, genauso gut zu werden wie er."
"Weißt du noch, wie das damals war, als wir Jesus zum ersten Mal begegnet sind?", fragte Jakobus seinen Bruder.
"Oh ja.", antwortete Johannes. "Ich erinnere mich lebhaft an Vaters dummes Gesicht, als wir einfach die Flickarbeiten an den Netzen liegen lassen haben."
"'Nicht schon wieder!', hat er gebrüllt. Ich war ja damals schon im Gefolge von Johannes dem Täufer und kam mit meiner Arbeit nicht hinterher."
"Ja, du hast dir schon immer viel herausgenommen."
"Aber ich hatte doch Recht! Johannes hatte Recht. Ich war schon früh auf dem richtigen Weg. Ich habe das damals sofort gespürt, als Jesus mir in die Augen sah: der weiß den richtigen Weg, dem musst du dich anschließen."
"Ja, das ging mir genauso.", sagte Johannes. "Das war wohl das erste Mal, dass wir beide uns einig waren."
Jakobus grinste schief. "Du warst aber auch ein verwöhnter Bengel. Ich weiß noch, wie du so lange geheult hast, bis Mutter dich schließlich zu Hause behalten hat, weil du bei dem starken Wind nicht auf den See wolltest. Du warst so eine Memme."
"Ich war gerade mal vier Jahre alt. Ich denke, meine Ängste waren nicht unberechtigt.", wehrte sich Johannes.
"Ich war sieben und damals auch noch leicht wie eine Feder.", hielt Jakobus dagegen.
"Trotzdem vielleicht schon in einem etwas widerstandsfähigerem Alter. Damals habt ihr mich ausgelacht, weil ich mich nicht traute, obwohl ich tatsächlich noch viel zu klein war. Aber später, als ich dann so weit war und mitarbeiten wollte, hieß es immer, ach du, mit deinen dürren Ärmchen, das kannst du noch nicht, hilf lieber der Mutter im Haus. Das hörte erst auf, nachdem ich dich einmal windelweich geprügelt habe."
Jakobus setzte eine beleidigte Miene auf, als rufe die Erinnerung an die Verletzung erneut die Gefühle von damals hervor. Dann sagte er: "Das wäre nicht nötig gewesen, du hättest auch einfach mal zeigen können, was du konntest."
"Du hast mich nicht gelassen!", erklärte Johannes. "Du wolltest am liebsten der einzige Sohn sein. Ich war dir lästig."
"Ja, das stimmt.", gab Jakobus zu. "Ich weiß noch, wie viel Angst ich hatte, ob das Essen für alle reicht, als du zur Welt kamst. Als du dann da warst, hatte ich Angst, ob noch genug Liebe für mich übrigbleibt. Alles drehte sich nur noch um dich. Einmal bin ich gefallen und habe mir furchtbar wehgetan und schrecklich geweint. Mutter hatte einfach keine Zeit, weil sie dich gerade stillte und Vater fuhr mich an, ich solle mich zusammenreißen, von so einer kleinen Schramme würde ich keinen Schaden davon tragen. Als du dann anfingst, dich von der Stelle zu bewegen, musste ich immer auf dich achtgeben. Wenn dir etwas passiert wäre, hätten sie mich fort gejagt, das dachte ich zumindest. Dabei hätte ich dich am liebsten irgendwo ausgesetzt, du warst eine richtige Last für mich. Ich durfte nicht mehr Kind sein, ich trug für dich die Verantwortung, aber du durftest tun und lassen, was du wolltest, weil du ja noch so klein warst."
"Das war bestimmt schlimm.", überlegte Johannes. ?Den wütenden kleinen Jungen kann ich gut verstehen. Nur dass du das nicht ablegen konntest, als wir längst erwachsen waren, das habe ich nie verstanden."
"Du trägst mir doch auch heute noch nach, dass ich dich nicht mitmachen ließ."
"Ich trage es dir nicht nach. Ich habe nur erklärt, dass ich es nicht so leicht hatte, wie es für dich aussah. Aber gut, dass wir mittlerweile darüber reden können."
"Ja, ich weiß noch, wie Jesus zum ersten Mal einen Streit zwischen uns mitbekommen hat." erinnerte sich Jakobus. "Er hat uns angesehen, als hätten wir eine schlimme Krankheit. Und dann musste jeder von uns genau erzählen, was ihn so wütend machte und der andere durfte nicht dazwischenreden."
?"a, da habe ich zum ersten Mal verstanden, welche große Last dir unser Vater auf die Schultern gelegt hatte, weil er erwartete, dass du jederzeit seinen Platz einnehmen konntest.", erklärte Johannes.
"Und ich habe zum ersten Mal begriffen, wie demütigend es ist, wenn man immer sein Bestes gibt und trotzdem nicht behandelt wird, wie jemand, der dazu gehört."
"Gestritten haben wir danach aber immer noch."
"Ja, aber uns ist sofort aufgefallen, wie sinnlos das ist. Und dann haben wir zuerst immer Jesus dazu geholt und irgendwann konnten wir selbst unsere Streitigkeiten beilegen, weil wir endlich gelernt hatten, unseren Zorn genau anzusehen und an die Leine zu legen, bevor wir ihn mitteilen."
"Und das Zuhören haben wir gelernt. Und die Fähigkeit sich vorzustellen, in der Lage des Anderen zu sein."

Die Brüder hingen eine Weile jeder für sich ihren Erinnerungen nach. Dann sagte Jakobus: "Anfangs hatte ich ja noch Zweifel, ob ich einem folgen soll, der immer nur redet und nicht mit den Händen arbeitet. Aber dann hat er beim Reparieren eines Bootes geholfen und er konnte gut zupacken und war handwerklich geschickt. So richtig beeindruckt hat er mich dann aber durch seine großen Taten, wie er den Besessenen von seinem bösen Geist befreit hat oder die Schwiegermutter von Simon Petrus vom Fieber geheilt hat und durch seinen Mut. Gleich am Anfang ist er mit uns in die Synagoge gegangen und hat den Schriftgelehrten die Thora um die Ohren gehauen. Wie er sich den Pharisäern immer wieder in den Weg gestellt hat. Genauso unbeugsam wie Johannes der Täufer."
"Dabei aber viel klüger.", wandte Johannes ein. "Er stand nicht brüllend und halbnackt in einem Flussbett und jagte den Leuten Angst ein. Er sagte nur das, was gesagt werden musste, aber seine Worte waren so klug und wogen so schwer, dass niemand ihm widersprechen konnte. So einen Menschen hatte ich nie zuvor erlebt."
"Oh, er konnte auch bitterböse werden.", widersprach Jakobus. "Denk an die Tempelreinigung. Wie er die Tische umgeworfen und mit der Peitsche alles kurz und klein geschlagen hat. Wie er herumgebrüllt hat, als gälte es den Satan auszutreiben. Das hat mir sehr gefallen."
"Aber als du den unfreundlichen Samaritern einen Feuerfluch auf den Hals hetzten wolltest, weil sie Jesus keine Herberge geben wollten, da hat er dich gründlich zurechtgewiesen. 'Ich bin nicht gekommen, um Leben zu vernichten, sondern um es zu erhalten.', hat er gesagt. Er hat uns immer wieder überrascht. Und er fehlt mir.", sagte Johannes.
"Mir auch.", erwiderte Jakobus. "Wir hatten doch noch so viel mit ihm vor. Wir waren seine besten Freunde, also ich meine, du warst sein bester Freund, aber ich als dein großer Bruder, wenn wir noch ein paar Jahre mit ihm gehabt hätten, dann hätten wir ihn sicher überzeugt, dass wir im Himmelreich an seiner Seite sitzen müssten. Schließlich waren wir bei der Verklärung auf dem Berg dabei, immer ganz nah an seiner Seite, auch noch in Gethsemane."
"Da haben wir wohl alle versagt. Und was den Platz im Himmel betrifft: Hast du vergessen, was er dazu gesagt hat?", fragte Johannes mahnend. "Man kommt ihm am nächsten, indem man anderen dient."
"Das tun wir doch.", sagte Jakobus.
"Das tun unsere Brüder aber auch. Sieh dir Simon Petrus an."
"Simon Petrus hat sich verdrückt. Du warst derjenige, der auf Golgatha zu ihm gehalten hat. Ich musste Vater helfen, damit du gehen konntest. Simon hatte einfach nur Angst."

Johannes machte sich Sorgen. Sein großer Bruder litt unter diesem entsetzlichen Geltungsbedürfnis. So ganz hatte Jesus ihm das nie austreiben können. Er wollte immer unbedingt und überall der Größte, der Beste, der Schönste, der Stärkste, der Auserwählte sein. In den drei Jahren an Jesu Seite hatte er gelernt, diesen Drang weitestgehend zu kontrollieren. Aber Johannes erinnerte sich noch genau, wie Jakobus als junger Bursche beim Fischen auf dem See Genezareth heimlich die Netze vertauscht hatte, damit er den erfolgreicheren Fang vorzuweisen hatte. An fast jedem hatte er etwas auszusetzen gehabt. "Sieh dir Joses an, der stopft sich jeden Tag mit Brot voll und wenn er auf dem See ist, kann er sich nicht ordentlich bewegen, weil der dicke Bauch ihm im Weg ist."
Joses war ein herzensguter Weggefährte, der kräftig anpackte, immer ein fröhliches Lachen auf dem Gesicht hatte und nie jemanden im Stich ließ. Aber Jakobus ließ kein gutes Haar an ihm. Mit allen verglich er sich, um stets zum selben Ergebnis zu gelangen: Er war besser und niemand konnte ihm das Wasser reichen. Johannes hatte seinen Bruder dafür verabscheut, hatte sich seine eigenen Wege gesucht, um sich nicht ständig mit ihm herumstreiten zu müssen. Doch Jesus hatte gesehen, was hinter dieser Boshaftigkeit steckte. Das Gefühl, nicht auszureichen, die Angst hinausgestoßen zu werden. Und Jesus hatte ihm wohl das Gefühl gegeben, dass diese Sorge umsonst war. Leider hatte Jakobus sich sofort etwas darauf eingebildet und sich für den besten und wichtigsten Schüler Jesu gehalten, nun ja, für den zweitwichtigsten, denn dass Jesus Johannes vor allen den Vorzug gab, war nicht zu übersehen.
Ob Jakobus wieder in die alte Unruhe verfallen würde? Die Zeit würde es zeigen. "Ach Jesus!", seufzte Johannes. "Warum musstest du uns verlassen?"

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