Samstag, 26. Februar 2022
Wahre Liebe
Romeo und Julia. Elisabeth Bennett und Mr. Darcy. Scarlett O?Hara und Ashley Wilkes oder Rhett Butler. Rose Dewitt und Jack Dawson. Das sind die Märchen, die viele zum Maßstab für ihre eigenen Liebesgeschichten nehmen, um dann maßlos enttäuscht zu werden. Große Gefühle, brennende Leidenschaft, bedingungslose Hingabe. Alles nur schöne Geschichten. Denn Liebe wird immer wieder verwechselt mit selbstsüchtigen Bedürfnissen, so auch in dieser Geschichte im Markusevangelium:

https://www.bibleserver.com/LUT/Markus8%2C31-38

Wer sein Leben retten will, der wird es verlieren. Als Jugendliche habe ich das immer so verstanden, dass ich mich für meine Mitmenschen aufopfern muss, damit ich auf ein ewiges Leben im Himmel hoffen darf. Später ging es mehr in die Richtung: Wenn ich feige mein eigenes Leben rette und die anderen draufgehen lasse, kann ich irgendwann nicht mehr mit der Schuld leben, meine Seele ist vergiftet, für immer.

Aber ist es nicht wirklich so? Was tun Menschen nicht alles, um ihre Existenz zu sichern, die wirtschaftliche, die gesundheitliche, die emotionale?
Menschen schließen Versicherungen ab, kaufen Aktien, investieren, gehen zum Notar, damit sie alles getan haben, um der Altersarmut und anderen finanziellen Katastrophen wirksam zu begegnen. Und dann haben sie sich verrechnet, die Dividende bleibt aus, es kommt zu Vertragsbrüchen, gegen die sie nichts ausrichten können oder sie haben jahrelang eingezahlt und müssen noch vor dem Renteneintrittsalter aus dem Leben scheiden.

Menschen leben in ständiger Angst sich mit dem Corona-Virus zu infizieren, tun alles nur Erdenkliche, um sich zu schützen und stehen am Ende da ohne Kontakte, ohne berührende und heilsame Begegnungen, ohne bereichernde Erlebnisse, ohne Resonanz. Sie atmen noch, aber sie haben ihr Leben verloren, beim Versuch es zu retten.

Die hingebungsvolle oder vielmehr pathologische Liebe, die Menschen dazu bringt, das Objekt ihrer Sehnsucht und ihres Begehrens zu verfolgen, gefangen zu nehmen und festzuhalten, als seien sie die Atemluft oder ihr persönlicher Besitz ? diese Liebe treibt den oder die Begehrte in die Flucht, weil sie einengt und belastet. Und weil sie eigentlich keine Liebe ist. Wenn man einen geliebten Menschen nicht loslassen will, dann handelt man nicht aus Liebe sondern aus Selbstsucht. Petrus klammert sich an Jesus, weil er sich eingerichtet hat, sich nicht weiterentwickeln will, keine Lust hat selbst stark zu werden und wirklich erwachsen.

Lieben heißt loslassen können. Geliebte Menschen, lieb gewonnene Gewohnheiten, die eigene Sicherheit, ja sogar die eigene Zukunft. Einfach jetzt und hier tun was nötig ist. Helfen, wenn man gebraucht wird. Kämpfen wenn man muss, aber auch den Augenblick genießen, wenn es sich anbietet.

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Schäm dich, Schweiz!

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Samstag, 19. Februar 2022
Was Worte vermögen
Worte können vernichten und aufrichten, verletzen und trösten, beleidigen und schmeicheln, erniedrigen und stärken. Sie können uns wütend machen, aber auch unser Herz anrühren. Sie sind Ausdruck unseres Denkens und sie beeinflussen unser Denken und Fühlen.

Im Predigttext für den 20.02. ist vom Wort Gottes die Rede. Ein Kurzer Text aus dem Hebräerbrief: ?Das Wort Gottes ist lebendig und wirksam. Es ist schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch und durch. Es durchdringt Seele und Geist, Mark und Bein. Es urteilt über die Gedanken und die Einstellungen des Herzens. Kein Geschöpf bleibt vor Gott verborgen. Nackt und bloß liegt alles offen vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft schuldig sind.? (Hebräer 4, 12-13)

Wenn in der Bibel vom Wort Gottes die Rede ist, dann sind immer die Schriften des Alten und Neuen Testamentes gemeint. In der jüdischen Tradition haben die schriftlichen Überlieferungen einen besonders hohen Stellenwert, Schriftrollen werden mit besonderer Sorgfalt und Ehrfurcht behandelt und die abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam gelten auch als die Buchreligionen.
Was ist das herausragende aus den von religiös motivierten Menschen verfassten und überlieferten Texten? Kann nicht auch profane Literatur lebendig, wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert sein?

Ich jedenfalls habe schon manche gute Bücher gelesen, in denen ich Sätze wie Perlen gefunden habe. Ich kenne Gedichte und Lieder von so gewaltiger poetische Größe, die so anrühren oder treffen, dass sie etwas auslösen, etwas bewirken, auch wenn sie nicht beanspruchen, das Wort Gottes zu sein.

In dem Buch ?Gott ist schön?, Navid Kermanis Dissertation über das ästhetische Erleben des Koran, wird die Wirkung traditioneller Koranrezitationen eindrucksvoll beschrieben. Worte die so schön sind, dass sie ergreifen, zu Tränen rühren, die Seele erreichen, nachhaltig beeindrucken, nicht durch ihre Bedeutung sondern allein durch die Schönheit ihres Klangs.
In abgemilderter Form kenne ich das auch. Gerade die Luther-Übersetzung der biblischen Texte, so schwer verständlich und unzeitgemäß sie auch ist, übt auf mich eine besondere Anziehungskraft aus. Luther war ein Wortkünstler, bediente sich eines Versmaßes und erschuf Bilder, Assoziationen, Gefühle.
Mir geht es allerdings nicht so wie den strenggläubigen Muslimen, dass die Worte mich in Verzückung geraten lassen. Ob die islamischen Überlieferungen von zutiefst ergriffen Zuhörenden ins Reich der Legenden gehören oder sich tatsächlich so ereignet haben, sei dahingestellt, vielleicht sind diese Geschichten die Ursache dafür, dass der Koran als über jeden Zweifel erhabenes Wort direkt von Allah gilt, das nicht verändert, gekürzt oder erweitert werden darf. Vielleicht unterstreichen die Legenden aber auch diese theologische Intention.
Juden, Jüdinnen und Christ*innen gehen mit ihren Texten etwas freier um, obwohl es auch in manchen biblischen Texten heißt, man dürfe nichts weglassen oder hinzufügen.
Aber in der christlichen Tradition herrscht das Bewusstsein, dass biblische Texte von Menschen zusammengestellte uralte Quellen sind, die von Personen verfasst wurden, die von göttlichen Eingebungen inspiriert waren. Auch in unserer Glaubensgemeinschaft gibt es Vertreter*innen des über jeden Zweifel erhabenen Gotteswortes. Aber es gibt auch die Theologie der historisch-kritischen Perspektive, die Frage nach dem warum, nach dem Zusammenhang.
Im Islam ? da ist diese Religion m.E. der jüdischen und christlichen überlegen ? hat die verpflichtende Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte eines koranischen Textes von Anfang an Tradition, hier dürfen Verse oder Suren nicht einfach isoliert betrachtet werden, um sie absichtlich misszuverstehen und für persönliche oder politische Zwecke zu missbrauchen. Von den Islamisten wird das nicht beherzigt, was sie als Muslime eigentlich disqualifiziert. Es gibt auch eine Fraktion der sogenannten ?Verbalinspirierten? unter den Christ*innen, die jeden Vers wortwörtlich nehmen, aus dem Zusammenhang reißen und den politischen und kulturgeschichtlichen Kontext ausblenden.

Warum können wir biblische Texte nicht das sein lassen, was sie sind? In Form gebrachte Gedanken von Menschen mit großen spirituellen Erfahrungen, die uns anregen, inspirieren, berühren, bewegen und verwandeln? Die uns in Kontakt, ins Gespräch und in Beziehung bringen, die uns unsere Verantwortung bewusst machen. Und das alles im Angesicht einer Schöpfung, die größer und gewaltiger ist, als wir erfassen können, aber von der wir ein Teil sind und in der wir sein dürfen wer wir sind, unverfälscht und unverstellt, aufrecht, klar, schwach oder stark, offen und frei.

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Samstag, 12. Februar 2022
Was wirklich zählt
Für mich: Lieben können und geliebt werden.
Grundversorgung (das heißt, ausreichende, ausgewogene Ernährung, Dach überm Kopf, Kleidung, Heizung, Wasser, Klo, medizinische Versorgung).
Täglich wenigstens eine Sache, über die man sich freut.
Herausforderungen, die man bewältigen kann.
Zusammenhalt. Solidarität. Gerechtigkeit.
Bekommen was man braucht.
Ein Gleichgewicht zwischen Ruhe und Aktivität, Begegnungen und Rückzugsmöglichkeiten.
Verantwortungsbewusstsein. Naturerlebnisse.
Das Leben schätzen und bewahren, aber nicht um jeden Preis.
Täglich lachen.
Das Recht zu weinen.
Auch das Recht zu schreien, zu schimpfen und zu fluchen.
Anderen gute Wünsche zusprechen und das auch so meinen.
Hin und wieder Freude fühlen wie zum Zerplatzen.
Auch Trauer aushalten können, die eigene wie die fremde.
Mit anderen teilen ohne Missgunst.
Vertrauen.
Sich verlassen können und verlässlich sein.

Für Jeremia: "So spricht der Herr: Der Weise sei nicht stolz auf seine Weisheit. Der Starke sei nicht stolz auf seine Stärke und der Reiche nicht auf seinen Reichtum!
Wer sich rühmen will soll sich nur deswegen rühmen: dass er wirklich klug ist und mich kennt.
Dass er weiß, dass ich der Herr bin, der auf Erden Güte, Recht und Gerechtigkeit schafft.
Denn diese machen mir Freude. - So lautet der Ausspruch des Herrn."
(Jeremia 9, 22-23)

Das klingt ein bisschen aus der Zeit gefallen. Ist es ja auch, denn es ist mehr als zweieinhalbtausend Jahre her, dass dieser Prophet in Erscheinung trat. Andererseits werden hier Themen angeschnitten, die nie ihre Aktualität einbüßen: Wer etwas gelten will, der muss etwas leisten oder sehr kluge Äußerungen von sich geben, oder über großen Reichtum verfügen oder einfach der Stärkste sein, so dass er sich jederzeit gegen alle anderen durchsetzen kann, notfalls mit Gewalt.

Das ist heute noch immer so. Und noch immer erhebt sich die leise, aber beharrliche Stimme der Propheten, die sagen: Das ist alles nichts wert. Demütig erkennen, dass größere Zusammenhänge existieren als unser begrenztes Gehirn verarbeiten kann. Dass Gott selbst oder große Kräfte, die wir gläubigen Menschen so nennen, die Dinge, die wir selbst aus dem Lot gebracht haben, immer wieder auf wundersame Weise gerade rückt. Nicht immer und überall. Nicht auf Bestellung. Denn es herrscht nicht überall Güte, Recht und Gerechtigkeit, im Gegenteil.
Aber wir schaffen sie auch nicht mit Geld, Macht, Gewalt oder klugen Gedanken. Wir müssen den göttlichen Kräften Raum geben: der Liebe, der Heilung, dem Trost, der Versöhnung; uns im Konflikt in unsere Gegner hineindenken und fühlen, verhandeln, Kompromisse finden; Probleme lösen, indem wir das Richtige vorleben, statt nur das Falsche anzuprangern. Das ist sehr mühsam. Aber machbar.

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