Sonntag, 24. Oktober 2021
Gefährliches Missverständnis
Der Predigttext für den 24. Oktober ist gefährlich.
https://www.bibleserver.com/LUT/Matth%C3%A4us10%2C34-39
Vom Schwert ist hier die Rede, radikal sind die Forderungen des Erlösers: Ganz oder gar nicht, die Religion steht über allem, auch über den wichtigsten menschlichen Beziehungen. Gruselig. So eine Konsequenz verlangt nicht einmal der Rechtsstaat von uns, es gibt ein Zeugnisverweigerungsrecht für engste Angehörige. Nur politische Extremist*innen verlangen, für die Sache sogar die eigene Familie ans Messer zu liefern. Und religiöse Extremist*innen schreiben sich gern solche Texte auf die Fahne.

Aber ich glaube, es geht bei Jesus von Nazareth nicht um Macht, Kriegsführung und Rechthaberei. Er nutzt eine Metapher aus der Gegenwelt, einer Welt, die den Menschen seiner Zeit nur allzu vertraut war und die er überwinden wollte. In den Begleittexten dieses Sonntags geht es darum, auch Mitgefühl mit seinen Gegnern zu haben und sich nicht nur für diejenigen einzusetzen, die man liebt. Es ist keine Aufforderung, das Vertrauen zu erschüttern, das andere in einen gesetzt haben, sondern über das allgemein Menschliche hinauszuwachsen und diese Menschlichkeit an die erste Stelle zu setzen. Wenn mein Vater mich auffordert, jemanden auszugrenzen, weil er aus einem anderen Kulturkreis stammt, wem sollte dann meine Loyalität gelten?

Schon radikal dieser Jesus. Radikal barmherzig.

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Freitag, 8. Oktober 2021
Heilung durch Gebet?
Am 10. Oktober geht es in allen sonntäglichen Texten um körperliche Heilungsgeschichten bei der die Heilung erfolgt, weil Sünden vergeben wurden. Psalm 32, 1-7: Wer um Vergebung fleht, dem wird vergeben. Wem vergeben wurde, der wird auch von Krankheit geheilt.
Der Predigttext steht bei Jesaja 38, 9-20: König Hiskia bekommt vom Propheten die Ansage des baldigen Todes, weint und betet, er habe sich doch immer Mühe gegeben, alles richtig zu machen und es gebe doch noch so viel zu tun. Da kommt am Ende der Prophet und verkündet, das Gebet sei erhört worden, er bekomme weitere fünfzehn Jahre.

Die Sache mit dem Zusammenhang zwischen Vergebung der Sünden und Heilung körperlicher Beschwerden ist nicht unproblematisch. Sie kennen das: die Wer-krank-ist-ist-selber-schuld-Theorie, eine Seuche der Dummen und Empathielosen.

Nur verabschieden wir uns doch mal von diesem eindimensionalen Sündenbegriff, von der Sünde als bösen Regelbruch. Wenn man Sünde ganz wertfrei als Trennung von Gott begreift, kann das auch bedeuten: keine Zeit, zur Ruhe zu kommen, die Unfähigkeit zur Achtsamkeit, die Verbindung abreißen lassen zu den guten Energien, sich auffressen lassen von Anforderungen, der eigenen Gier, Angst, Reizüberflutung. Und dann wird man krank, weil das Gefäß der Seele nicht mehr kann.

In der Krebstherapie gibt es mittlerweile viele Ansätze, die auf Stressbewältigung und Achtsamkeit setzen. Nicht ausschließlich, nicht, wenn die Erkrankung des Körpers schon so weit fortgeschritten ist, aber als Unterstützung und Prävention gegen Rückfälle. Und der Begriff der Psychosomatik ist ja auch nicht neu.

Beim Lesen des Predigttextes fühlte ich mich an eine Episode aus meinem eigenen Leben erinnert. Ich war kein König, nur eine junge Mutter und es waren Ärzte und keine Propheten, die mich darauf vorbereiteten, dass ich möglicherweise an Krebs erkrankt war. Ich habe auch geheult und gebetet wie Hiskia und Gott angeschrien und nach dem Warum gefragt. Meine Familie brauchte mich doch und ich hatte niemandem etwas getan. Auch wenn ich wusste, dass Krankheit keine Strafe ist und selten die Folge von Fehlverhalten, fühlte es sich genauso an. In der Nacht vor der OP habe ich einen kleinen Bronzeengel in der Hand gehalten und die ganze Zeit gebetet. Drei Tage nach der OP kam die Entwarnung. Wieder von einem Arzt an Stelle des Propheten. Ich hatte Glück, keine Wunderheilung und es liegt auch mehr als Fünfzehn Jahre zurück.

Doch die Sache mit dem Gebet um Heilung ist oft hilfreich, vor allem wenn andere für einen beten. Das ist vollkommen irrational, ich weiß, nur schadet es ja nicht (außer man kriegt vor lauter Beten sein Leben nicht mehr auf die Reihe :-) )

Ist Ihnen zu blöd? Geht auch heimlich. Merkt keiner was von. Viel Erfolg!

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Sonntag, 3. Oktober 2021
Bettelbrief zum Erntefest
Gerade gestern habe ich wieder einen von diesen Bettelbriefen ungeöffnet im Altpapier entsorgt. Ich spende ja regelmäßig für Ärzte ohne Grenzen und die Afghanistan-Kinderhilfe und ich tue auch was in den Klingelbeutel, wenn ich im Gottesdienst bin, aber da gibt es ein riesiges Unternehmen in diakonischer Trägerschaft, über das es mehr schlechtes als gutes zu sagen gibt, und nur weil ich einmal auf Wunsch einer Verstorbenen etwas überwiesen habe, bekomme ich nun ständig diese Spendenaufforderungen. Von mir kriegen die nichts!

Der Predigttext für das diesjährige Erntedankfest erinnert mich an diese unangenehmen Schriftstücke.
https://www.bibleserver.com/LUT/2.Korinther9%2C6-15
Mit den Heiligen sind hier die Jünger oder Apostel gemeint, die die Tätigkeit Jesu nach seiner Himmelfahrt fortsetzten und die keine Zeit hatten, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, sodass sie auf Spenden angewiesen waren. Ich ekele mich vor diesem moralisierenden Unterton, denn in der Essenz sagt der Autor: "Spendet reichlich, damit ihr in den Himmel kommt.", das hat eine Menge Ähnlichkeit mit dem Ablasshandel, ich weiß schon, warum ich Paulus nicht ausstehen kann.

Nur beim aufmerksameren Lesen findet sich natürlich auch viel Kluges in diesem Text. Spenden soll man aus einem ehrlichen Bedürfnis heraus. Wenn man es eigentlich nicht will und nur unter Zwang handelt, ist es nicht viel wert. Vielleicht ist das, wenn es um Geld und Sachwerte geht, für die Beschenkten nicht so relevant, aber für die eigene Seele. Wenn es aber um Zeit und Aufmerksamkeit geht, wird es auch für die Empfangenden wichtig, dass das Geschenk nicht mit Widerwillen geopfert wird. So etwas spürt man und damit bekommt alles einen bitteren Beigeschmack bis zur Unverdaulichkeit.

Am meisten bewegt mich losgelöst vom Spendenaufruf des Paulus an die Gemeinde von Korinth der Satz in Vers 6: "Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen."
So banal das klingt im Hinblick auf Landwirtschaft, so wichtig finde ich es, sich diesen Satz in Übertragung auf andere Lebensbereiche bewusst zu machen. Ich habe oft das Gefühl, in einer Gesellschaft zu leben in der alle reichlich ernten wollen, aber keine Lust haben, zu säen. Alles haben, aber nichts dafür bezahlen. Viele Menschen als Freunde haben, aber keine Zeit auch nur einem von ihnen einmal länger zuzuhören. Der Staat soll für intakte Straßen, einen funktionierenden Öffentlichen Nahverkehr und ausreichend KiTa-Plätze sorgen, aber möglichst wenig Steuern eintreiben.
Ich möchte in wunderschöner Natur spazieren gehen oder Urlaub machen, werfe meinen Müll aber weg, wo er gerade anfällt.
Ich könnte jetzt immer so weitererzählen, Sie wissen was ich meine. Das allgemein verbreitete Anspruchdenken der auf Bequemlichkeit Eingerichteten. Generation Full Service. Nicht säen, aber reichlich ernten. In der Vergangenheit taten das nur Räuber, Piraten, Soldaten und Despoten. Heute wollen das alle. Aber das wird auf Dauer nicht funktionieren. Wenn ich es schön haben will, muss ich mich anstrengen. Und wenn ich Glück habe, wird mir vielleicht etwas geschenkt. Dann kann ich mich freuen und etwas davon weitergeben, Liebe säen und Liebe ernten.

Ob wir es wohl schaffen, irgendwann da hin zu kommen? Ich gebe die Hoffnung nicht auf.

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