Samstag, 28. August 2021
Brudermord
Ein Predigttext, den man wohl getrost im Reich der Legenden verorten kann, eine Geschichte, die beispielhaft etwas über das Verhältnis von Gott und den Menschen, den guten und den dunklen Mächten erklären soll. Aufgeschrieben im 1. Buch Mose, Kapitel 4.
Ein Text der viele Fragen aufwirft und viele Antworten schuldig bleibt.

"1 Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mithilfe des HERRN."

Welchen Mann meint Eva damit? Ist ihr klar geworden, dass Adam ein richtiger Kerl ist, weil sie ein Kind von ihm bekommen hat oder freut sie sich über ein zweites männliches Wesen in ihrer Nähe, das zwar noch kein Mann ist, aber zu einem heranwachsen wird?

"2 Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann."

Bei Abel bricht Eva nicht in Jubel aus. Vielleicht, weil ihr bereits klar ist, dass es noch ein langer und kräftezehrender Weg sein wird, bis aus den Jungen Männer werden oder weil sie sich einfach nur beim ersten Mal über das Wunder der Geburt gefreut hat?
Und wofür mögen die Berufe der beiden stehen? Der Schäfer ist der, der für andere sorgt, Bestehendes bewahrt und beschützt, der Ackerbauer hingegen entnimmt dem Land Früchte, die dieses nicht von allein hergibt, denn er reißt die Erde auf, vernichtet Bestehendes um Platz für Neues zu machen, greift massiv ein in die natürlich Vegetation und laugt den Boden aus. Das könnte stehen für Maßlosigkeit, unersättliche Gier.

"3 Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. 4 Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, 5 aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an."

Warum finden die geopferten Feldfrüchte Kains im Gegensatz zu den Tieropfern seines Bruders keine Gnade vor den Augen des Schöpfers? Sie sind sicher genauso mühsam erarbeitet. Was verleitet Eltern dazu, die Leistungen und Gefälligkeiten ihrer Kinder unterschiedlich zu honorieren? Manchmal liegt es daran, dass ein Kind sich für die gleichen Dinge interessiert wie die Eltern selbst, manchmal entdecken sie sich selbst in einem der Kinder wieder oder sie empfinden das Kind beinahe als Klon eines geliebten Menschen, das andere Kind hingegen als Klon schon immer als unangenehm empfundener Verwandter. Manchmal sind es äußerst diffuse Ziel- oder Wertvorstellungen, die das eine Kind in erheblich höherem Maß erfüllt als das andere. In jedem Fall stellt die Verweigerung der elterlichen Anerkennung eine entsetzliche Kränkung dar, die tiefe Narben auf der Seele hinterlässt. Und so ergeht es auch Kain, denn es heißt weiter:

"Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick."

Kain wehrt sich nicht, er fordert die Liebe Gottes nicht ein, er fragt nicht nach dem Warum. Er ist wütend, aber er verstummt, es gärt in ihm, aber seinen Groll behält er für sich. Er hat bereits aufgegeben.

"6 Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? 7 Ist's nicht so: Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie."

Das ist keine liebender Gott, der sein Kind tröstet. Das ist ein Besserwisser und oberlehrerhafter Zurechtweiser. Statt sich für den Liebesentzug zu entschuldigen und den Schaden wieder gut zu machen, gibt er dem schon Geschlagenen auch noch die Schuld für die Demütigung. Er sei nicht fromm, darum könne er nicht kommunizieren. Der allwissende Gott sieht das nahe Verbrechen bereits voraus. Kain ist einer, der sich leicht hinreißen lässt, schädliche Dinge zu tun, Dinge, die anderen schaden, die ihn von Gott trennen und ihn am Ende unglücklich machen. Gott fordert Kain auf, sich zu beherrschen, die Sünde zu besiegen, sich nicht von schädlichen Impulsen überwältigen zu lassen.
Aber diese Ermahnung läuft ins Leere. Wie sollte sie auch etwas bewirken? Hat sich jemals jemand geändert, weil man ihm sagt, er solle das Böse in sich beherrschen? Eigentlich spricht Gott mit ihm, wie ein Lehrer, der seinem Schüler sagt, er müsse sich ändern, obwohl er ihn bereits aufgegeben hat. Er ermahnt ihn nur, um der Form genüge zu tun. Er rechnet nicht mit einer Verhaltensänderung und der Schüler spürt das, empfindet sich als stigmatisiert, eine Nummer, aus der er ohnehin nicht mehr herauskommt.

"8Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot."

Hier fehlen eine Menge Informationen. So wie es aussieht, handelt es sich um einen richtigen Mord im Sinne des StGB: List, Heimtücke, niedere Motive, Vorsatz. Kain lockt Abel in eine Falle und tötet ihn, brutal, rücksichtslos, eine Orgie entfesselter Wut und Gewalt. Doch woher kommt dieser Zorn? Als Kind war ich immer bei Abel, dem lieben Jungen, der so ein reines Herz hatte und immer alles richtig gemacht hatte, das bedauernswerte Opfer sinnloser Zerstörungswut. Heute bin ich mehr bei Kain, dem Abgewerteten, Zurückgewiesenen, Abgestempelten und Chancenlosen. Vielleicht war es auch ein Thronsturztrauma. Einst der Augenstern der Mutter, geriet er plötzlich an die zweite Stelle, auch wenn er der Erstgeborene war. Als beide auf der Welt sind und ihre Berufe beschrieben werden, wird Abel zuerst genannt. Das Gleiche gilt für das Opfer: Zuerst ist die Rede davon, dass der Rauch von Abels Brandopfer aufsteigt, danach davon, dass Kains Opfer von Gott nicht angenommen wird. Sicher kein Zufall. Die Demütigung und Kränkung die in der stetigen Bevorzugung eines Anderen liegt, ist nicht zu unterschätzen. Ein Zorn, der nicht gerecht, aber nachvollziehbar ist, aber eben auch gefährlich.

"9 Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?"

Prompt hat Gott den Täter ertappt und der versucht sich sich herauszureden, tut so, als wisse er von nichts. Aber Gott lässt sich nicht belügen. Man kann anderen Menschen etwas vormachen, aber nicht den Mächten des Himmels.

"10 Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. 11 Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. 12 Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden."

Die Strafe für den Mord ist keine Todesstrafe, nicht einmal das Gefängnis, das gab es in dieser von den Verfassern phantasierten prähistorischen Zeit noch nicht. Stattdessen: Rastlosigkeit, Erfolglosigkeit, Heimatlosigkeit. Diese scheinbar milde Konsequenz empfindet Kain als Zumutung:

"13 Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. 14 Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir's gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet."

So wäre es am Ende doch eine Todesstrafe und die erscheint Kain als unangemessene Härte. Etwas seltsam angesichts der Tatsache, dass er gerade selbst ein Leben genommen hat, fast schon anmaßend, das als Ungerechtigkeit zu empfinden. Erstaunlich ist doch, dass er anfangs seiner Verärgerung keinen Ausdruck verleihen konnte, während er, nachdem er als Mörder entlarvt wurde, plötzlich in der Lage ist, mit seinem Richter zu verhandeln. Und tatsächlich, schlägt er eine deutliche Verbesserung für sich heraus:

"15 Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände."

Hat der Schöpfer am Ende ein schlechtes Gewissen? Erkennt er vielleicht seinen Anteil an dem Grauen, das sich da ereignet hat, seine eigene Verantwortung? Er beschützt den Mörder. Er vertreibt ihn, aber er lässt ihn nicht allein.

"16 So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten."

Jenseits von Eden, der Verlust des Paradieses, den ja bereits die Eltern erlitten hatten und die Richtung in die er zieht, ist der Osten, die Gegend, in der zu der Zeit, als diese Geschichten aufgeschrieben wurden, die feindlichen Völker lebten, mit denen man ständig aneinandergeriet.

Es gibt eine Fortsetzung in den folgenden Versen. Kain heiratet, bekommt Söhne, seine Linie setzt sich fort, er wird als der Urahn der Viehherden treibenden Nomaden sowie der Zither- und Flötenspieler gehandelt. Eine Geschichte die Mut macht, ein Appell an alle, die sich schuldig fühlen, sich dem Leben nicht zu entziehen, schon zu büßen, zu bezahlen, zu bedauern, aber auch nach vorne zu blicken und Neues aufzubauen. Die Schuld nicht von sich weisen, aber sich selbst vergeben.

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Samstag, 14. August 2021
Keine Asis
Kennen Sie Atze Schröder? Ein begnadeter Ruhrgebietskünstler, Comedian, Kabarettist, was auch immer. Es gibt eine Nummer von ihm, da erzählt er, wie sich zwei Typen am Baggersee unterhalten, wie schön es doch da ist. Und schließlich meint einer: "Un weißt du, was das geilste ist? Weißt DU, was das geilste ist?" Kunstpause "Keine Asis."

Das Publikum lacht. Worin besteht die Pointe? Nun, diejenigen, die hier parodiert werden, werden selbst in die Schublade Asis einsortiert. Das sind die, von denen man sich abgrenzt, die Unkultivierten, Breitbeinigen, Lauten, Undisziplinierten, Ungebildeten, denen es an allem fehlt: Status, Einkommen, Würde. Das Lachen beinhaltet: Ich bin ja nicht so, ich bin kein Asi. Und dann merkt man nicht, dass man in genau das gleiche Muster verfällt wie die, über die man gerade lacht.
Ein uraltes Thema. Darum geht es auch im Evangelium für den 15.08.

https://www.bibleserver.com/NG%C3%9C/Lukas18%2C9-14

Jesus erzählt eine Geschichte von zwei Betenden: von einem Pharisäer, einem geistlichen Würdenträger und einem Zöllner, der jede Menge Dreck am Stecken hat. Der Pharisäer dankt Gott, dass er nicht so missraten ist wie der Zöllner. Der Zöllner fleht Gott um Gnade an. Und dem Zöllner gibt Jesus den Vorzug.
Alle Texte an diesem Sonntag handeln von der Demut, die der Selbstüberhöhung vorzuziehen ist. Vordergründig wird das von uns Christenvolk gern ziemlich übertrieben. Aber im Alltag des kirchlichen Lebens, sind die meisten doch wie der Pharisäer. Warum?

Ich gebe zu, ich habe auch keine Lust auf breitbeinig ausschreitende, dummes Zeug grölende, besoffene, Kette rauchende Kerle, die 2000 Volt in den Armen haben und oben kein Licht. Das ging mir schon als Kind so. Ich wollte nicht im Sportverein mitmachen, wo nur Sprüche gekloppt wurden zum Herrengedeck, Bumsmusik, Einwegsex, Filterzigaretten, Pommes und Flachnasenfernsehen. Das gleiche galt für alle anderen Vereine auf dem Dorfe. Nur in der Kirche gab es geistreiche Konversation, Neues zu entdecken, ein kultiviertes Miteinander, Raum für die Schwachen und Stillen, die etwas länger brauchten, um aus sich heraus zukommen, politische Auseinandersetzung, Sinn für schöne Dinge, Kunst, Musik, Kultur. Und dann und wann auch mal Wettkampf, Sport oder Würstchen. Aber immer mit Augenzwinkern und gegenseitiger Wertschätzung.

Wenn jetzt die "Asis" am Gemeindeleben teilnehmen wollen, dann bekommt mein inneres Kind Angst, dass die meine sichere Insel zertrampeln und es am Ende in meinem Biotop genauso verrotzt und abgerockt aussieht wie im Rest der Welt. Da regt sich Widerstand. Ich will mein Revier verteidigen. Ich bin auch nur ein Tier wie alle anderen.

Ich habe die Demut nicht im Blut. Und das ist auch gut so, sonst würde das Leben mich plattmachen. Aber sie ist schon nicht verkehrt, diese Haltung, sich nicht selbst zu erhöhen. Neugierig auf andere sein, statt sich täglich selbst zu inszenieren. Fragen zu stellen, statt anderen die Welt zu erklären. Zuhören und hinsehen statt belehren und sich um die eigene Welt drehen.

Wenn es nur nicht so viel Kraft kosten würde.

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Freitag, 6. August 2021
All exclusive
Eine von den Gastgebern versklavte Gruppe von Einwanderern tritt die Flucht an und wird vor den gierigen Sklavenhaltern, die sie zunächst noch verfolgen, gerettet. Nach einem Vierteljahr sitzt ihnen der Schreck noch immer in den Knochen - ja der Schreck wird sogar von Generation zu Generation weitergegeben, aber auch das Wissen um die Erfahrung, dass es sogar aus dem scheinbar ausweglosen Elend eine Rettung geben kann.
Durchatmen ist angesagt und in dieser Atempause erhält der Anführer stellvertretend für alle eine Zusage vom Schöpfer und Retter: Ihr seid etwas Besonderes, ein Volk von Priestern, euch habe ich mir ausgesucht, damit ihr von mir erzählt, ein gutes Beispiel gebt, nach meinen Regeln lebt.
Das ist ihnen wichtig, dass sie etwas Besonderes sind, die Besten, die Auserwählten, Papas Lieblinge. Warum ist das so? Vielleicht, weil sie so viel mitgemacht haben. Vielleicht muss man sich einreden, Teil einer Elite zu sein, wenn man über Generationen so ausdauernd getreten und gedemütigt wurde.

Die Sache mit dem auserwählten Volk finde ich schon lange problematisch. Als Kind habe ich das kritiklos so hingenommen, fühlte mich auch nicht ausgegrenzt, das Volk Gottes habe ich rückhaltlos verehrt.
Irgendwann verstand ich dann, dass Jesus dieses Auserwähltsein vom Geburtsrecht einer Volkszugehörigkeit auf die Entscheidung für den Glauben an den dreieinigen Gott übertragen hat.
Nicht mehr ganz so exklusiv, aber noch immer eine "Wir-hier-die-da-Mentalität". Gar nicht mal schön und auch nicht besonders förderlich für den Weltfrieden.

Obwohl man, wenn man den Predigttext aufmerksam liest, auch hier eine Bedingung findet für die Aufrechterhaltung eines besonderen Bundes zwischen Gott und Israel. In Vers 5 heißt es: "Jetzt aber, wenn ihr auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet, werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein."

Und wenn nicht? Davon erzählt das Alte Testament in einer Endlosschleife. Leid und Elend, Zeiten der Reue und Umkehr, Gottes Erbarmen, neue Bündnisse, bis zur nächsten Treulosigkeit.

Auch etwas, das meinen Widerspruch erregt: Diese Geschichten erwecken den Eindruck, dass Leid und Elend eine Strafe Gottes seien. Fehlverhalten wird geahndet, Wohlverhalten wird belohnt. Die Menschheit hat lange gebraucht, sich von diesem naiven Gottesbild zu lösen, was rede ich, sie befindet sich noch mitten im Prozess. Dabei steht im Evangelium für diesen Sonntag, was das Wichtigste ist: Dem einen Gott die Treue halten und nicht rumeiern und sich mit Esoterik und anderen magischen Kinkerlitzchen verzetteln und zweitens, für andere da sein und ihr Wohl nicht dem eigenen unterordnen. Das ist keine Garantie für allgemeines Wohlbefinden und die Abwesenheit von Unglück, aber das beste Rezept für ein inneres Gleichgewicht und eine bessere Welt.


Wer den Predigttext für den Israelsonntag und 10. Sonntag nach Trinitatis (2. Mose 19, 1-6) und das entsprechende Evangelium (Markus 12, 28-34) lesen mag, voilà:
https://www.bibleserver.com/EU/2.Mose19%2C1-6
https://www.bibleserver.com/EU/Markus12%2C28-34

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