Samstag, 26. Juni 2021
Lastenausgleich - Gedanken zum Wochenspruch - Galater 6,2
Bereits im Frühjahr 2020 gab es eine Debatte in in der taz zu der Frage, ob man in der Corona-Krise einen Lastenausgleich entsprechend dem gleichnamigen Modell der Nachkriegszeit auf den Weg bringen solle.
In den Lesenden-Kommentaren gab es engagierte Reaktionen und es wurde deutlich - sowohl im Artikel als auch in den Briefen - wenn so etwas von den Regierenden initiiert wird, besteht die Gefahr, dass am Ende das Geld innerhalb der vermögenden Kaste herumgeschoben wird und die wirklich Bedürftigen einmal wieder das Nachsehen haben.

"Einer trage des Anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen." - so steht es im Brief des Paulus an die Galater.

Das klingt so einfach: Ich trage deine Tasche, du trägst meine Tasche, wir teilen die Last.
In Wirklichkeit gilt es aber oft ein ziemlich dickes Brett zu bohren. Wer ist denn nicht belastet durch Arbeit, Familie, finanzielle Sorgen, gesundheitliche Probleme und alle möglichen Alltagsbaustellen rund um Wohnung (Garten) und vielleicht Fahrzeug?

Und plötzlich soll man außerdem noch zunehmend für die klappriger werdenden Eltern sorgen, der depressiven Freundin ein umfangreiches Gesprächsangebot machen, sich für Geflüchtete einsetzen, in der Klassenpflegschaft mitarbeiten, den mit dem Auto liegengebliebenen Freund abschleppen und dem mit den beiden linken Händen ein Loch in die Wand bohren. Der Tag hat nur 24 Stunden und viele müssen acht davon arbeiten, acht davon schlafen, etwa zwei davon essen und eine halbe auf Körperpflege anwenden. Bleiben noch 5 ½ Stunden für die täglichen Reproduktionsarbeiten (einkaufen, kochen, spülen, waschen, bügeln, putzen), die Betreuung der Kinder, die Zuwendung zum / zur Partner*in, die eigene Regeneration beim Sport, Lesen, Treffen mit Freund*innen, Fernsehen oder Hobbys und schließlich für die, die unsere Hilfe brauchen. Das geht also nur, indem wir etwas rauskegeln oder verknappen, das eigentlich notwendig wäre und dass wir straff organisieren. Puh. Und dann werden wir selbst bedürftig.

Aber ja: wer Lebenszeit und Kraft verschenkt, der wird auch deutlich besser unterstützt, wenn er/sie selbst mit seinen/ihren Kräften am Ende ist.

Und so ist es wohl auch mit dem Lastenausgleich in der Coronakrise. Warum gibt es immer noch kein offizielles Hilfskonto, auf das diejenigen, die etwas übrig haben, beliebige Beträge überweisen können? Viele wären durchaus bereit, etwas abzugeben. Dann müsste der Staatshaushalt nicht so stark belastet werden und die Hilfen könnten großzügiger und unbürokratischer an diejenigen gehen, deren wirtschaftliche Existenz bedroht ist.

Wenn die Politik noch lange zaudert, wird die Armut sich ausbreiten und die Abwärtsspirale wird nicht so bald aufzuhalten sein. Schade, dass Teilen ausgerechnet bei den Mächtigen noch immer als so absolut unsexy gilt, vor allem, wenn es sie selbst betrifft.

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Samstag, 19. Juni 2021
Vergebung tut gut
Ein Beinahe-Nesthäkchen (Nr. 11 von 12) wurde von seinen Brüdern an Sklavenhändler verkauft, weil er ihnen zu sehr auf den Sack ging. Er ging durch die Hölle, hatte danach aber sehr viel Glück und legte eine steile Karriere hin, die ihm ohne den harten Schicksalsschlag der Verschleppung nie vergönnt gewesen wäre.
Viele Jahre später hatte er die Gelegenheit zur Rache. Er war reich und mächtig, seine Brüder kamen als Bittsteller zu ihm, ohne ihn zu erkennen. Er rächte sich nicht. Er foppte sie nur ein bisschen. Schließlich half er ihnen auf die Beine und machte sie alle zu wohlhabenden Männern.
Doch die Brüder trauten dem Frieden nicht, konnten sich nicht vorstellen, dass jemand so etwas vergessen kann und vermuteten, er halte sich nur so lange zurück, wie der gemeinsame Vater noch am Leben ist.
Dann starb der Vater und hier folgt der Predigttext im 1. Buch Mose (Genesis) 50, 15-21:
https://www.bibleserver.com/HFA/1.Mose50%2C15-21

Wer nicht nachlesen möchte: Josef verzieh seinen Brüdern noch immer, mit der Begründung, sie hätten ihm zwar übel mitgespielt, aber Gott hätte das alles wieder gutgemacht und besser als zuvor, darum trage er ihnen nichts nach und werde sie und ihre Kinder weiter versorgen.

Eine großzügige Geste, aber er konnte es sich ja auch leisten. Was hätte er wohl getan, wenn er zwar die Möglichkeit zur Rache gehabt hätte, aber weiterhin unter großem Leidensdruck gestanden hätte? Gott macht nicht immer etwas Gutes aus dem Bösen, das Menschen anderen Menschen angetan haben.

Im Evangelium (Lk. 6, 36-42) gibt Jesus den Rat, großzügig und barmherzig mit anderen Menschen umzugehen, weil man dann genauso behandelt werden wird. Wer vergibt, der macht den ersten Schritt in eine friedvolle Zukunft. Und dann kommt das berühmte Gleichnis vom Splitter im Auge des Bruders und den Balken im eigenen. Jede*r von uns war schon einmal Opfer, aber auch schon einmal Täter*in.

Vergebung ist gut, aber sie muss auch ehrlich gemeint sein. Wenn ich nicht vergeben, kann, weil ich immer noch viel zu sehr verletzt bin, sollte ich mir die Zeit gönnen, die ich brauche, um ehrlich verzeihen zu können. Wenn immer noch Dampf im Kessel ist, nützt es nichts, das Ventil zu verschließen, dann platzt am Ende der Kessel und die Folgen sind verheerender, als wenn der Unmut hätte entweichen können.,

Doch wenn die Folgen des Unrechts überstanden sind, wenn es mir gut geht, dann ist Vergebung nicht nur für den/die Täter*in eine Wohltat, sondern auch für mich selbst, wie die erste warme Sonne im Frühling, wie Regen auf ausgetrockneter Erde, wie eine brennende Kerze im dunklen Keller, wie frisches Brot, wenn man stundenlang hungrig herumgelaufen ist.

Vergebung tut gut.

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Samstag, 12. Juni 2021
Schwurbler
Was bedeutet dieser Satz?
"Beruht die Überschreitung einer Inzidenzstufe maßgeblich auf einem klar abgrenzbaren Infektionsgeschehen in einer Einrichtung oder einem Unternehmen und ist eine Ausbreitung nach Einschätzung der zuständigen Behörden aufgrund der wirksamen Kontaktnachverfolgung nicht zu erwarten, kann das Ministerium von der Ausweisung der höheren Inzidenzstufe absehen."
Nach dreimaligem Lesen würde ich das einer Vierjährigen so erklären: "Stell dir vor, in einer Firma kriegen ganz viele Leute Corona, aber nur da. Weil alle gut aufpassen, stecken die keinen an. Dann müssen nicht alle in der Stadt gleich wieder vorsichtiger sein, obwohl so viele Leute krank sind."
Kommunizieren, so dass es auch verstanden wird, ist gar nicht so leicht. Aus vielen Gründen. Selbst, wenn man sich Mühe gibt.

Leider gibt es aber auch jene, die Sprache dergestalt gezielt einsetzen, dass sie gerade nicht verstanden werden. Hier einige Beispiele:

In der Politik, werden komplizierte Sätze und mehrdeutige Begriffe eingesetzt, um Realitäten zu verschleiern, Unangenehmes so aussprechen zu können, dass es sich trotzdem gut anhört. Man will sich verkaufen und sich später nichts vorwerfen lassen. Wenn es keiner versteht, umso besser, Hauptsache es klingt optimistisch und kompetent.

Von Verwaltungen werden all jene, die den Juristenjargon nicht gewohnt sind, mit Formularen, Erklärungen, Anordnungen usw. nahezu in den Wahnsinn getrieben. Hier geht es natürlich um Rechtssicherheit, nur die meisten Menschen verstehen die Behördensprache nicht und es bedarf einer regelrechten Übersetzung. Dabei wird gern gönnerhaft, genervt von oben herab doziert, statt sich in Grund und Boden zu schämen, dass man nicht in der Lage ist, sich allgemeinverständlich auszudrücken, obwohl man doch aus öffentlichen Mitteln, also von der Gemeinschaft bezahlt wird.

In den meisten Berufen und Disziplinen der Wissenschaft pflegen die Insider eine Fachsprache. Die ergibt dann einen Sinn, wenn es darum geht, komplexe Zusammenhänge auf einen Begriff zu reduzieren, den alle Eingeweihten mit diesen Zusammenhängen verbinden - das ist effektiv. Es ist auch hilfreich, um sich international besser austauschen zu können.
Oft geht es aber gar nicht um Verständigung, sondern um Abgrenzung vom Pöbel der Uneingeweihten. Erbärmliche Wichtigtuer*innen, die permanent schwafeln von Fachlichkeit, Professionalität und Kompetenz, statt einfach ihren Job zu machen.

Leider gibt es dieses Phänomen auch in der Theologie. Gern bekommt man da ein "Ja, das ist zugegebenermaßen schwierig zu verstehen, dazu müsstest du wirklich vertraut sein mit der Materie, aber das erfordert eine intensive Auseinandersetzung, teilweise über Jahre."
Papperlapapp. So kompliziert sind die religiösen Botschaften meistens gar nicht. Und wenn doch, dann hat man sie selbst vielleicht noch nicht so richtig verstanden, sonst könnte man sie nämlich erklären. Obwohl ich selbst schon in die Falle getappt bin und es vermutlich wieder tun werde, dabei bin ich nicht einmal Theologin.

Im Predigttext
(1. Korinther 14, 1-12 https://www.bibleserver.com/LUT/1.Korinther14%2C1-12 )
geht es um ein ähnliches Verhalten. Das sogenannte "Zungenreden" oder "in Zungen Reden" bezeichnet ein Phänomen des Stammelns unverständlicher Laute in religiöser Ekstase. Wer so etwas konnte, fühlte sich als Teil einer religiösen Elite und wurde wohl auch als besonders begnadeter Prophet angesehen. Im Prinzip bezeichnet Paulus dieses Treiben als spirituelle Masturbation, nur dass es hier um nichts Sexuelles geht. Aber es hat auch nichts mit Beziehungen zu anderen Menschen, Gemeinschaft oder Vermittlung göttlicher Botschaften zu tun. Es ist nichts weiter als religiöser Hirnwichs, spirituelles Wellnessprogramm mit Selbstwirksamkeit. Kann man machen, sagt Paulus, muss man aber nicht. Besser das, was man selbst verstanden hat, anderen verständlich vermitteln. Guter Mann. Auch wenn ich ihn meistens nicht mag, aber diese Text gefällt mir sehr.

Das wünsche ich mir auch für unsere Kirche, aber auch für alle anderen Bereiche unseres Lebens. Dass wir uns Mühe geben, einander zu verstehen und einander verständlich zu machen, statt resigniert mit den Schultern zu zucken, weil der/die Adressat*in angeblich zu blöd ist.

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