Samstag, 1. August 2020
Krank? - Selbst Schuld!
Zwei Aspekte erscheinen mir an dem Predigttext (Johannes 9,1-7) für den achten Sonntag nach Trinitatis wichtig. Ich empfehle, den kurzen Text zu lesen:
https://www.bibleserver.com/NG%C3%9C/Johannes9
1.) Die Menschen glaubten zur Zeit Jesu, dass Krankheit eine Strafe des Himmels sei. Zu klären war nur, ob der Erkrankte selbst verantwortlich war für sein Unglück oder ob die Eltern es durch Fehlverhalten verursacht hatten.
Heute sind wir ja so aufgeklärt, dass wir wissen, dass die Ursachen für angeborene Behinderungen, Infektionskrankheiten, Krebs, Herz-Kreislaufprobleme und so weiter woanders liegen als in unmoralischem Verhalten. Wir suchen die Schuld nicht beim Erkrankten, sondern sorgen für ihn, verfügen über ein solidarisches Gesundheitssystem.
Ist das so?

Ist es nicht auch heute noch so, dass Erkrankten gern die Schuld für ihr Leiden zugeschoben wird? Hat zu viel geraucht, sich zu viel Stress gemacht, hätte mehr Sport treiben sollen, hat ja in seiner Jugend schwer gesoffen, frisst zu viel, weniger Fleisch und mehr Salat hätte das verhindert, hat bestimmt zu viele blutige Steaks gefressen, wer zwanzig Jahre die Pille nimmt, muss sich über Brustkrebs nicht wundern…
Gern werden auch die Eltern verantwortlich gemacht: die haben ja auch nie auf Zahnhygiene geachtet, der musste immer seinen Teller leer essen, haben auch zu wenig Sport gemacht, woher soll das Kind es dann lernen…

Warum tun wir das? Warum müssen wir bei Menschen, die schon genug an einer Krankheit leiden, noch einmal nachtreten?
Ich glaube dafür gibt es mehrere Gründe. Zum ersten muss jemand Schuld sein, damit wir nicht verantwortlich sind. Wenn es einen Schuldigen gibt, dann muss der dem Kranken helfen, wir müssen uns nicht kümmern. Mitleid und Fürsorge sind anstrengend. Wir wollen nicht wahllos jedem, der es gern hätte, unsere persönlichen Ressourcen zur Verfügung stellen.
Zum zweiten wollen wir uns selbst beruhigen. Ich brauche keine Angst vor einem Schlaganfall zu haben, wenn ich höre, dass jemand in meinem Alter das widerfahren ist: Ich rauche ja nicht, treibe Sport, vermeide übermäßigen Stress, ernähre mich gesund… mir kann das nicht passieren.
Zum dritten macht es uns wütend, wenn jemand unsere Zuwendung einfordert für etwas, das er hätte vermeiden können. Ich predige den Jugendlichen, mit denen ich arbeite, seit fast dreißig Jahren, dass sie sich nicht mit Junkfood vollstopfen sollen. Mittlerweile ist die erste Generation derer, die meine Warnungen grinsend in den Wind geschlagen haben, adipös und landet schon auch mal mit schweren Bauchoperationen im Krankenhaus. Dann denke ich: Ich habe es Euch gesagt, aber ihr wolltet ja nicht auf mich hören.
Wir sind also nicht so weit entfernt von dem Pöbel, dem Jesus den Kopf zurechtrücken musste, als sie fragten, wer denn Schuld sei am Leiden des Blindgeborenen.

Und Jesus macht klar: Niemand ist Schuld. Krankheit passiert einfach. In diesem Fall hat sie sogar einen Sinn. Jesus kann seine Fähigkeiten unter Beweis stellen, der Menschheit zeigen, dass Wunder geschehen können, dass es immer eine Hoffnung auf Heilung gibt.
Das entlastet die Kranken von der Verantwortung. Das könnten wir gut gebrauchen in einer Zeit, in der alles in Geldwert gemessen wird und ständig darüber diskutiert wird, wem die Krankenversicherungen die Leistung verweigern sollten, weil sie ja selbst Schuld sind an ihrem Elend.
Dabei wissen wir doch längst, das eine krankmachende Lebensweise oft schon selbst zu einem Krankheitsbild gehört. Bei Alkoholismus haben die meisten es verstanden. Aber auch bei Fehlernährung oder Bewegungsträgheit handelt es sich um eine Art Sucht oder eine Folge depressiver Zustände, aus denen es für die Betroffenen kein wirkliches Entkommen gibt.

2.) Die Heilung lässt sich nur so lange vollziehen, wie Jesus in der Welt ist. Die Zeit wird knapp, sein Ende ist da, das Licht geht aus und die Dunkelheit kehrt zurück.
Das ist eine Textstelle (Verse 4 und 5), die mich irritiert. Was hat es auf sich mit der Nacht, in der niemand mehr etwas tun kann? Ist es eine Mahnung, die guten und heilsamen Taten nicht auf die lange Bank zu schieben, sondern die Lebenszeit zu nutzen, bevor der Tod kommt und man in die Nacht stürzt, in der man nichts mehr tun kann?
Aber Jesus spricht davon, dass das Licht nur so lange da ist, wie ER in der Welt ist und danach kommt die Nacht. Ist seit 2000 Jahren Nacht? Kann seit Karfreitag 33 niemand mehr etwas tun? Aber die Evangelien erzählen doch alle, dass Jesus auferstanden ist und zwar nach vierzig Tagen in den Himmel gefahren ist, jedoch nach zehn weiteren Tagen seinen Geist gesandt hat. Seitdem ist er in der Welt, damit ist die Nacht für immer vorbei.
Johannes ist der Philosoph unter den Evangelisten und nicht immer einfach zu verstehen. Das macht meines Erachtens seinen besonderen Reiz aus.

So ganz lebenspraktisch finde ich den Hinweis aber wichtig, dass Kranke unsere Hilfe brauchen, dass es nicht unsere Aufgabe ist, jemandem die Schuld zu geben und dass wir uns ranhalten müssen mit der Hilfe, statt sie auf die lange Bank zu schieben.

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Donnerstag, 30. Juli 2020
Die grausamen Gläubigen
Religionskritiker*innen weisen oft zu Recht darauf hin, dass im Namen welchen Gottes auch immer (Jahwe, Jesus, Allah...) unterdrückt, ausgebeutet, geplündert, gefoltert und gemordet wird. Dass Religion das Potential besitzt, das Abgründige im Menschen hervorzuholen. Religion als Ursache allen Übels.
Darauf kann man schon kommen, wenn man sich so umsieht.

Aber das glaube ich nicht.

Es haben ja auch schon viele Despoten den Sozialismus verraten. Oder die Demokratie. Nicht weil die Ideen falsch waren, sondern weil die falschen Leute mit den falschen Motiven diese Ideen missbraucht haben.
Ein tiefreligiöser Mensch, stellt sich in den Dienst seines Glaubens, seiner Gottheit, seiner Religion, er strebt danach, ein Werkzeug zu sein für etwas, das über seinen eigenen Bedürfnissen steht.
Ein religiöser Fanatiker ist kein religiöser Mensch. Er strebt nach Macht und sucht nach einem Gott, den er für seine Ziele instrumentalisieren kann. Gott auf seiner Seite wie ein wirksamer Zauberspruch oder eine Waffe mit hoher Reichweite und großer Durchschlagskraft. Er will Gott als Werkzeug, statt selbst eins zu sein. Er will sich bedienen, statt zu dienen. Er vergewaltigt seinen Gott.
Darum hätte ich gern ein elftes Gebot:

Ein Werkzeug sein sollst du. Kein Hammer, der Zerbrechliches zerschlägt. Keine Säge, die Stabiles zersägt. Ein Schraubendreher vielleicht, der verbindet, was zusammengehört, Gutes und Neues entstehen lässt, Probleme löst.
Dem Leben dienen sollst du und der Liebe. Auch dir selbst, sollst schon sorgen für dich, achtgeben auf dich, dich pflegen. Damit du weitermachen kannst, für das Gute, für das Leben, für die Liebe.

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Samstag, 25. Juli 2020
Sind wir hier im Kindergarten?
Zum Predigttext am 7. Sonntag nach Trinitatis: Hebräer 13,1-13

Liebevolles Miteinander, bedingungslose Gastfreundschaft, Empathie für Gefangene und Gefolterte, keine Fremdfickerei, Bescheidenheit statt Geldgier, Gottvertrauen, Orientierung an ehrenvollen Vorbildern, nicht auf esoterische Scharlatane hereinfallen, keine kleinkarierten Alltagsregeln wie komplizierte Speisegebote, Leidensbereitschaft für die Sache Jesu… hier genauer nachzulesen:
https://www.bibleserver.com/NG%C3%9C/Hebr%C3%A4er13%2C1-13

Diese letzten Ermahnungen des Verfassers des Briefes an die Hebräer sind hinlänglich bekannt, daran muss man nicht erinnert werden, man muss schon ein ziemlicher Honk sein, um nicht zu wissen, was gut und richtig ist und was ein christliches Verhalten ausmacht (das was der Autor da aufzählt, ist ja längst nicht alles , was dazu gehört).

Man schafft das nicht immer alles, aber was einem dabei am wenigsten weiterhilft, sind Ermahnungen. Da sieht man sich immer nur mit seinem eigenen Scheitern konfrontiert, fühlt sich schlecht und irgendwie so, als gäbe es Zweifel an der eigenen Existenzberechtigung.

Was mich als Christin wirklich weiterbringt, sind leuchtende Vorbilder. Menschen, die zeigen, dass das scheinbar Unmögliche möglich ist, aber nicht diese selbstgerechten, ewig schlecht gelaunten, die einem permanent das Gefühl geben, nichts wert zu sein, weil man nicht so toll, leistungsstark, selbstlos und hingebungsvoll ist wie sie: „Natürlich macht mir die Arbeit keinen Spaß, aber sie muss schließlich getan werden.“ ; die das Lächeln meiden wie der Teufel das Weihwasser.
Es sind diejenigen, die auch ihr eigenes Scheitern und ihre Grenzen zum Thema machen, die über sich selbst lachen können und einfach das Gute tun, so gut sie es können, von denen lerne ich und schaffe es hin und wieder über mich selbst hinauszuwachsen.

An allen anderen Tagen bin ich dann leider immer noch dasselbe kleine Arschloch ;-)
Amen

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