Samstag, 13. April 2024
Vater Abraham hat keine Söhne
Kennen Sie „A Handmaids Tale“ (Der Report der Magd) von Margaret Atwood? Dienerinnen empfangen und gebären Kinder von ihrem Herren und liegen dabei im Schoß der Herrin, damit es deren legitimes Kind ist, weil die Herrin nicht selbst gebären kann oder will. Eine ekelhafte Dystopie, die ihre Wurzeln vielleicht in der folgenden Geschichte hat:
https://www.bibleserver.com/LUT/1.Mose16%2C1-16
Schauen wir einmal hin: Sarai wird einfach nicht schwanger und in ihrer Verzweiflung wählt sie für ihren Mann eine Zweitfrau aus, die für sie beide ein Kind zur Welt bringen soll.
Vielleicht hat sie Angst wegen ihrer Kinderlosigkeit verstoßen zu werden oder sie erträgt es nicht, dass sie ihrem Mann seinen sehnlichsten Herzenswunsch nicht erfüllen kann oder sie fürchtet sich davor selbst ohne Nachkommen zu bleiben, denn das galt in der jüdischen Tradition als Verurteilung zum ewigen Tod.
Zweifelsohne nutzt sie ihre Machtposition aus, die Magd hat keine Wahl, muss sich den Anordnungen fügen, das wird umso deutlicher in dem Ausspruch Abrams: Sie ist deine Magd, du bist ihre Herrin, mach mit ihr was du willst. Wie ekelhaft.

Der Plan geht auf und die Dienerin wird schwanger. Doch nun geschieht etwas außerplanmäßiges: Die Schwangere wird sich ihrerseits ihrer Macht aufgrund der veränderten Umstände bewusst. Sie ist die Fruchtbare, die den Stammbaum Abrams errichtet, ihre Herrin wird zur Nebendarstellerin und sie kann es sich nicht verkneifen, ihren Triumph sichtbar auszukosten.

Aber hier ist der Konkurrenzkampf noch nicht zu Ende. Sarai zieht andere Saiten auf, noch ist sie hier die Herrin und sie verlangt von Abram, dass er ordnend eingreift. Der wiederum wünscht nicht mit solchen Frauenangelegenheiten behelligt zu werden und erlaubt seiner Gattin, mit der Sklavin zu verfahren wie es ihr gefällt. Sie beginnt, sie zu demütigen. Vermutlich hat sie ihr die unangenehmsten Arbeiten zugewiesen, sie beleidigt, verhöhnt und mit Strafe gedroht, wenn sie wieder frech wird.
Niemand hält so etwas lange aus, also ergreift Hagar die Flucht.

Doch an einem Brunnen in der Wüste spricht ein Engel zu der mehrfach gedemütigten, verheißt ihr einen Sohn, der es allen zeigen und sich von niemandem auf seinen Platz verweisen lassen wird. Ein Sohn mit zahlreichen Nachkommen, Ruhm und Ehre für die gedemütigte Hagar.
Aber der Engel übt auch Kritik: Sie hat die Eskalation provoziert. Sie wurde ausgenutzt, aber das gibt ihr nicht das Recht ebenfalls zu verletzen und zu demütigen. Sie soll zurückkehren, sich entschuldigen, sich unterordnen. Sie ist nicht beleidigt oder wütend, sie beschließt es so zu sehen, dass sie bei allen Erniedrigungen und Ausgrenzungen, die sie in ihrem Leben erfahren haben mag, von einem niemals übersehen wird: von dem Gott, zu dem auch Abram und Sarai beten.

Hagar kehrt zurück in der Gewissheit, dass ihre Stunde kommen wird. Ob wirklich jemand mit ihr ein Gespräch geführt hat, vielleicht, weil er sie allein und weinend an dem Brunnen angetroffen hat, oder ob sie sich das Ganze gründlich durch den Kopf gehen ließ und die Entscheidung traf, es noch einmal zu versuchen, ist dabei nicht so wichtig. Die Demütigungen und Konflikte haben sich später wiederholt und am Ende floh sie mit ihrem zwölfjährigen Sohn, um sich an einem anderen Ort mit ihm gemeinsam eine Existenz aufzubauen. Eine zweite Vertreibung aber auch eine Erfolgsgeschichte.

Was ich aus dieser Geschichte filtere, ist die ausgleichende Gerechtigkeit, die das Leben so oft bereit hält, ganz egal, welche Entscheidungen einzelne Menschen treffen, dass Geduld sich lohnt und dass es immer besser ist, Konflikte nicht zu provozieren und erst recht nicht, sie eskalieren zu lassen.
Aber auch, dass von Menschen erdachte Hierarchien dem Leben und dem Lauf der Welt egal sind. Sie bedeuten gar nichts. Es ist wichtig, in Übereinstimmung mit den eigenen Werten zu leben, das zu tun, was einem möglich ist und das möglichst gut. Alles andere findet sich.

Darüber hinaus sollte man weiterhin gegen Unrecht aufbegehren, sich gegen Unterdrückung wehren, für Schwache eintreten und Despoten vom Thron stoßen – vorausgesetzt, man ist dazu in der Lage und es handelt sich um den passenden Zeitpunkt.

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