Sonntag, 3. Oktober 2021
Bettelbrief zum Erntefest
Gerade gestern habe ich wieder einen von diesen Bettelbriefen ungeöffnet im Altpapier entsorgt. Ich spende ja regelmäßig für Ärzte ohne Grenzen und die Afghanistan-Kinderhilfe und ich tue auch was in den Klingelbeutel, wenn ich im Gottesdienst bin, aber da gibt es ein riesiges Unternehmen in diakonischer Trägerschaft, über das es mehr schlechtes als gutes zu sagen gibt, und nur weil ich einmal auf Wunsch einer Verstorbenen etwas überwiesen habe, bekomme ich nun ständig diese Spendenaufforderungen. Von mir kriegen die nichts!

Der Predigttext für das diesjährige Erntedankfest erinnert mich an diese unangenehmen Schriftstücke.
https://www.bibleserver.com/LUT/2.Korinther9%2C6-15
Mit den Heiligen sind hier die Jünger oder Apostel gemeint, die die Tätigkeit Jesu nach seiner Himmelfahrt fortsetzten und die keine Zeit hatten, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, sodass sie auf Spenden angewiesen waren. Ich ekele mich vor diesem moralisierenden Unterton, denn in der Essenz sagt der Autor: "Spendet reichlich, damit ihr in den Himmel kommt.", das hat eine Menge Ähnlichkeit mit dem Ablasshandel, ich weiß schon, warum ich Paulus nicht ausstehen kann.

Nur beim aufmerksameren Lesen findet sich natürlich auch viel Kluges in diesem Text. Spenden soll man aus einem ehrlichen Bedürfnis heraus. Wenn man es eigentlich nicht will und nur unter Zwang handelt, ist es nicht viel wert. Vielleicht ist das, wenn es um Geld und Sachwerte geht, für die Beschenkten nicht so relevant, aber für die eigene Seele. Wenn es aber um Zeit und Aufmerksamkeit geht, wird es auch für die Empfangenden wichtig, dass das Geschenk nicht mit Widerwillen geopfert wird. So etwas spürt man und damit bekommt alles einen bitteren Beigeschmack bis zur Unverdaulichkeit.

Am meisten bewegt mich losgelöst vom Spendenaufruf des Paulus an die Gemeinde von Korinth der Satz in Vers 6: "Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen."
So banal das klingt im Hinblick auf Landwirtschaft, so wichtig finde ich es, sich diesen Satz in Übertragung auf andere Lebensbereiche bewusst zu machen. Ich habe oft das Gefühl, in einer Gesellschaft zu leben in der alle reichlich ernten wollen, aber keine Lust haben, zu säen. Alles haben, aber nichts dafür bezahlen. Viele Menschen als Freunde haben, aber keine Zeit auch nur einem von ihnen einmal länger zuzuhören. Der Staat soll für intakte Straßen, einen funktionierenden Öffentlichen Nahverkehr und ausreichend KiTa-Plätze sorgen, aber möglichst wenig Steuern eintreiben.
Ich möchte in wunderschöner Natur spazieren gehen oder Urlaub machen, werfe meinen Müll aber weg, wo er gerade anfällt.
Ich könnte jetzt immer so weitererzählen, Sie wissen was ich meine. Das allgemein verbreitete Anspruchdenken der auf Bequemlichkeit Eingerichteten. Generation Full Service. Nicht säen, aber reichlich ernten. In der Vergangenheit taten das nur Räuber, Piraten, Soldaten und Despoten. Heute wollen das alle. Aber das wird auf Dauer nicht funktionieren. Wenn ich es schön haben will, muss ich mich anstrengen. Und wenn ich Glück habe, wird mir vielleicht etwas geschenkt. Dann kann ich mich freuen und etwas davon weitergeben, Liebe säen und Liebe ernten.

Ob wir es wohl schaffen, irgendwann da hin zu kommen? Ich gebe die Hoffnung nicht auf.

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