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Samstag, 6. April 2019
Pontius – eine literarische Phantasie zum Predigttext am 07.04.2019 – Johannes 18,28 – 19,5
c. fabry, 10:36h
Es war wieder einer dieser trügerisch frischen Morgen, von dem ich jetzt schon wusste, dass er in einen gnadenlos heißen Tag münden würde und ich vermisste die klare Luft meiner heimatlichen Berge. Zu Hause lag jetzt noch Schnee auf den Gipfeln und im Tal schlängelte sich der Fino durch die rund geschliffenen, großen hellen Kiesel, gesäumt vom üppigen Grün der vom Frühling frisch belaubten Bäume. Hier gab es nur Staub, Lärm und Gestank und gelegentlich ein verkrüppeltes Olivenbäumchen, ein paar Palmen, etwas hartes Gras, Dornengestrüpp, Wildkräuter. Was hatte ich mir nur eingebildet, als mich die Berufung zum Präfekten ereilte? Jetzt saß ich hier, bei diesen unkultivierten, religiösen Fanatikern und hatte nicht einmal fließendes Wasser im Haus. Die Bezahlung war mäßig, reichte nur für das Nötigste. Um mir etwas Luxus als Ausgleich für dieses Ungemach zu gönnen, musste ich tricksen und dafür war ich nicht durchtrieben genug. Eigentlich wollte ich einfach nur meine Ruhe, aber daraus wurde nichts, vor der Tür randalierten aufgebrachte Abgesandte des Sanhedrin und störten mein bescheidenes Frühstück.
Ich fragte meinen Diener was sie wollten, er konnte mir keine Auskunft geben und als ich ihn aufforderte, mir einen Sprecher vorzuführen, erklärte er: „Das habe ich schon versucht, erwührdiger Präfekt, aber sie weigern sich das Haus zu betreten, sie sagen, so kurz vor dem Pessach würden sie sich nicht verunreinigen wollen. Sie bitten Euch, zu Ihnen herauszukommen.“
„Was maßen diese räudigen Hunde sich an? Wer verunreinigt hier wen, wenn sie mit ihren dreckigen Sandalen und ungewaschenen Umhängen den Straßenstaub auf dem Fußboden und den Gestank in der Luft verbreiten? Aber mir soll es recht sein, dass sie draußen bleiben. Ich bringe das jetzt hinter mich und danach will ich nicht mehr gestört werden.“
Ich trat auf den Balkon und erblickte eine Gruppe bärtiger Heißsporne, die mir einen Gefangenen vorführten. Ich hatte ja nichts dagegen, wenn sie meinen Leuten die Arbeit abnahmen und Diebe, Mörder und sonstiges Gesindel von der Straße holten, aber dieser hier machte einen überaus friedlichen und wohlerzogenen Eindruck. Ein ziemlich dünnes Hemd mit dem Gesicht eines Frauenverstehers.
„Was soll das denn für ein Verbrecher sein?“, fragte ich sie sie amüssiert. „Was hat er angestellt, dass ihr ihn verhaftet habt?“
„Wenn er kein Verbrecher wäre, hätten wir ihn nicht zu dir gebracht.“, antwortete der Wortführer, ein Mann mit mehr Haaren im Gesicht als auf dem Kopf. „Er hat Gott gelästert, er hat vorgegeben, der von Gott gesandte Erlöser zu sein, der unser Volk befreien wird. Er behauptet, dass er Sünden vergeben kann und bezeichnet sich als Sohn Gottes. Darauf steht die Todesstrafe.“
Ich hatte es geahnt. Es ging um religiösen Fanatismus. Die hatten echt Nerven. Statt endlich mal ihr Land auf Vordermann zu bringen, effektiv Getreide anzubauen, Wasserleitungen zu legen, funktionierende Aborte anzulegen und so weiter, hielten sie sich mit kleinkarierten Nichtigkeiten auf. Kein Wunder, dass sie es aus eigener Kraft zu nichts brachten, sie brauchten einen starken Besatzer, wenn die nachfolgenden Generationen irgendwann auf einen grünen Zweig kommen wollten. Aber ich hatte keine Lust, mich vor ihren religiösen Karren spannen zu lassen. Er war kein Aufständischer, kein Zelot, nur ein harmloser Spinner und wenn sie unbedingt über ihn zu Gericht sitzen wollten, dann sollten sie das gefälligst selbst in die Hand nehmen, das war nicht meine Angelegenheit. Also erklärte ich:
„Ihr habt ihn gefangen, ermittelt, ein Urteil gefällt, dann vollstreckt es auch selber. Was habe ich damit zu schaffen? Gegen unsere Gesetze hat er nicht verstoßen.“
Doch die Bärtigen schüttelten mit dem Kopf. „Wir dürfen niemanden töten.“, erklärte der Bärbeißige. Ach ja, da zogen sie sich fein aus der Affäre, aber sie hatten natürlich Recht. Alle Staatsgewalt ging von Rom aus und das war auch gut so, sonst verliert man die Kontrolle über eine Provinz. Bei meinem Vorgänger wäre es auch beinahe aus dem Ruder gelaufen, bis er schließlich drei Hohepriester des jüdischen Tempels absetzte und den nun amtierenden Kaiphas berief. Wenn Kaiphas hinter dieser Maßnahme steckte, musste ich es wohl oder übel ernst nehmen, das wurde mir schmerzlich bewusst, obwohl ich sehr gern in Ruhe zu Ende gefrühstückt hätte. Aber ich musste etwas essen. Und weil der Gefangene ohnehin keine Ansprüche zu stellen hatte, Pessach hin oder her, befahl ich, ihn in die Präfektur zu führen, dann konnte ich während der Befragung weiter frühstücken.
Ich sah ihn mir an, wie er da in seiner einfachen Tunika vor mir stand, mager und sehnig, aufrecht und klar, bescheiden aber würdevoll, ergeben, aber nicht unterwürfig. Versuchte so einer, sich zum Anführer zu machen? Würde von ihm ein Volksaufstand ausgehen? Ich fragte ihn ganz direkt:
„Bist du der König der Juden?“
Der magere junge Mann erwiderte gewitzt: „Wie kommst du auf so eine Frage? Ist das deine Befürchtung oder hat man an dich herangetragen, dass ich mich zum König habe ausrufen lassen?“
„Hör mal, junger Mann“, antwortete ich ihm und schob mir ein paar Weintrauben zwischen die Zähne. „Das alles hier ist eigentlich nicht meine Angelegenheit. Mich interessiert nur die politische und vor allem die militärische Stabilität in dieser Provinz. Dafür bin ich verantwortlich. Eure religiösen Kleinkriege interessieren mich nicht. Aber die Anführer deines Volkes haben dich mir ans Messer geliefert und jetzt muss ich überprüfen, ob für mich Handlungsbedarf besteht oder ob ich dich einfach frei lassen kann. Was hast du getan, dass sie dir vorwerfen, dass du dich selbst zu ihrem Anführer aufschwingst?“
„Ich bin kein militärischer Führer.“, antwortete er und ich begann, mich zu entspannen. Er fuhr fort: „Mein Reich ist kein Reich, wie man es in dieser Welt kennt. Mir geht es nicht um Ruhm, Ehre, Land, das ich besetzen könnte, Gold, das zu erbeuten wäre oder Menschen, denen ich vorschreiben kann, was sie tun und lassen sollen. Wenn es so wäre, dann würden meine Diener für mich kämpfen, dann stünde ich jetzt nicht hier. Aber mein Reich ist nicht von dieser Welt.“
Das klang tatsächlich nicht nach meiner Zuständigkeit, aber neugierig war ich trotzdem. War er einfach nur total irre oder hatte ich hier einen großartigen Philosophen in meiner Halle? Hier war es immer so entsetzlich langweilig, nur sabbernde Kulturbanausen, Bettler und dumme Fischer und selbst von unseren eigenen Leuten war nichts Interessantes zu erwarten, alles Soldaten, die sich nach getaner Arbeit nur für gutes Essen, starken Wein und willige Weiber interessierten. In der Villa meiner Eltern waren sogar die Diener gebildet und belesen und es war eine wahre Wonne gewesen, sich mit ihnen über die tiefschürfenden Fragen des Lebens auszutauschen. Hier stand ein Mann von ähnlichen Qualitäten und diese Unterhaltung erschien mir vielversprechend, also hakte ich nach: „Du sprichst von deinem Reich. Bist du am Ende doch ein König?“
Nun hätte ich ein bescheidenes Lächeln und großmütiges Abwinken erwartet, aber mitnichten, er sah mir stolz und offen ins Gesicht, als er antwortete: „Du sagst es. Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.“
Es lief mir ein kalter Schauer über den Rücken und das bei der mittlerweile deutlich aufkommenden Hitze. Was führte er im Schilde? Warf er mir etwas vor? Wollte er mich zur Strecke bringen? Aber es war ja der Hohe Rat, mit dem er aneinandergeraten war, er war kein Gegner Roms, er wurde von seinen eigenen Leuten als Bedrohung wahrgenommen und die wollten mich benutzen, ihn los zu werden, ohne sich selbst die Finger schmutzig zu machen, aber nein, nein, ihr schrägen Vögel, nicht mit dem Commander, das könnte euch so passen. Ich heuchelte Überlegenheit, auch wenn ich mich gerade ganz klein fühlte und fragte ihn herausfordernd: „Was ist Wahrheit?“
Der junge Mann antwortete nicht. Ging es ihm wie mir? Kannte er die Antwort auch nicht?
Was ist denn Wahrheit??? Dass die Erde nass wird, wenn es regnet? Dass man nicht satt wird, wenn man nichts zu essen hat? Dass zwei und zwei vier ergibt?
Kann nicht für den einen wahr sein, was für den anderen falsch ist? Wer will entscheiden, welcher von beiden im Recht ist? Vielleicht sind sogar beide im Recht.
Oder ist es etwas tiefergehendes? Gibt es einen wahren Gott? Oder ist es nicht vielmehr so, dass die Menschen sich gerade da nach Gewissheit sehnen, wo es keine gibt? Gibt es einen großen Plan, ein Ziel oder am Ende einen Lohn? Ist da irgendwann Erlösung oder Verdammnis oder einfach nichts?
Schließlich trat ich wieder auf den Balkon, wo die geifernde Menge mich schon erwartete.
„Ich finde keine Schuld an ihm.“, erklärte ich. „Außerdem ist es Brauch, dass ihr vor dem Pessach einen Gefangenen bekommt, einen von euch, den ich begnadige. Was haltet ihr davon, wenn ich diesen jungen Mann, den König der Juden freigebe?“
Nun hatte ich sie provoziert und sie schrien wild durcheinander, bis sie schließlich „Barabas“ skandierten. „Lass Barabas frei.“
Ach Herrje, dieser Barabas war ein Zelot und ein Killer dazu, er hatte einen meiner Leute abgestochen. Den wollte ich nur ungern freigeben, aber mir wurde bewusst, dass die Meute nicht nachgeben würde und am Ende vielleicht die Präffektur stürmte, sie waren so außer sich, ich musste sie halbwegs zufriedenstellen, zumindest eine Weile hinhalten, bis sie sich beruhigt hatten. Also verkündete ich: „Wir werden uns euren Gefangenen gründlich vornehmen und wenn wir mit ihm fertig sind, wird er alles zugegeben haben, was er zuzugeben hat. Verlasst euch darauf.“
Ich übergab ihn den räudigsten Hunden unter meinen Soldaten, von denen ich wusste, dass sie mit Gefangenen nicht zimperlich umgingen. Wen sie gründlich eingeschüchtert hatten, der war am Ende unterwürfig wie ein Lamm und dann würde sich zeigen, ob hinter der sanften Fassade etwas zutage trat, was ein Todesurteil rechtfertigte.
Am Ende hatten die Jungs ganze Arbeit geleistet. Sie hatten ihn mit der Geißel ausgepeitscht, sein ganzer Körper war übersät mit blutigen Striemen und sie hatten ihm eine Krone aufgesetzt, die hatten sie aus Dornen geflochten und ihm tief in die Stirn gedrückt, so das ihm sein eigenes Blut ins Gesicht lief. Einen zerschlissenen Purpurmantel hatten sie ihm umgelegt und aus dem Fenster heraus konnte ich beobachten, wie sie ihr Späße mit ihm trieben, ihn abwechselnd als König der Juden verehrten und ihm wieder ins Gesicht schlugen und ihn auslachten.
Er selbst ertrug das alles mit stoischer Ruhe, so, als wüden ein paar Kinder auf seinem Schoß herumtoben, es war direkt unheimlich. Woher nur nahm er diese Kraft? Er wurde nicht wütend, er schrie und heulte nicht, kein Winseln, kein Jammern, keine Tränen, nur große, traurige Augen. Das war kein Aufständischer, nur ein Träumer.
Ich führte die geschundene Gestalt auf den Balkon, so wie ihn meine Jungs zurecht gemacht hatten, mit Purpurlumpen und Dornenkrone. Und ich sagte zu den blutgierigen Leuten: „Ich muss euch mitteilen, dass die Befragung ergebnislos war. Ich wüsste nicht, was dieser Mann sich zuschulden kommen lassen hat. Seht ihn Euch genau an.“
Ich führte ihn ganz nach vorn und präsentierte ihn der Menge. Worte waren hier nahezu überflüssig, der Anblick dieses geschundenen Geschöpfes sprach für sich und wer jetzt noch immer kein Mitleid und Erbarmen empfand, der hatte längst jedes liebevolle Gefühl in sich abgetötet. Sie waren doch so religiös, so sehr mit ihrem Gott verbunden, sie mussten ihren Irrtum doch erkennen. Und so stellte ich ihn vor die Menge und sagte nur noch diese vier Worte: „Seht welch ein Mensch!“
Ich fragte meinen Diener was sie wollten, er konnte mir keine Auskunft geben und als ich ihn aufforderte, mir einen Sprecher vorzuführen, erklärte er: „Das habe ich schon versucht, erwührdiger Präfekt, aber sie weigern sich das Haus zu betreten, sie sagen, so kurz vor dem Pessach würden sie sich nicht verunreinigen wollen. Sie bitten Euch, zu Ihnen herauszukommen.“
„Was maßen diese räudigen Hunde sich an? Wer verunreinigt hier wen, wenn sie mit ihren dreckigen Sandalen und ungewaschenen Umhängen den Straßenstaub auf dem Fußboden und den Gestank in der Luft verbreiten? Aber mir soll es recht sein, dass sie draußen bleiben. Ich bringe das jetzt hinter mich und danach will ich nicht mehr gestört werden.“
Ich trat auf den Balkon und erblickte eine Gruppe bärtiger Heißsporne, die mir einen Gefangenen vorführten. Ich hatte ja nichts dagegen, wenn sie meinen Leuten die Arbeit abnahmen und Diebe, Mörder und sonstiges Gesindel von der Straße holten, aber dieser hier machte einen überaus friedlichen und wohlerzogenen Eindruck. Ein ziemlich dünnes Hemd mit dem Gesicht eines Frauenverstehers.
„Was soll das denn für ein Verbrecher sein?“, fragte ich sie sie amüssiert. „Was hat er angestellt, dass ihr ihn verhaftet habt?“
„Wenn er kein Verbrecher wäre, hätten wir ihn nicht zu dir gebracht.“, antwortete der Wortführer, ein Mann mit mehr Haaren im Gesicht als auf dem Kopf. „Er hat Gott gelästert, er hat vorgegeben, der von Gott gesandte Erlöser zu sein, der unser Volk befreien wird. Er behauptet, dass er Sünden vergeben kann und bezeichnet sich als Sohn Gottes. Darauf steht die Todesstrafe.“
Ich hatte es geahnt. Es ging um religiösen Fanatismus. Die hatten echt Nerven. Statt endlich mal ihr Land auf Vordermann zu bringen, effektiv Getreide anzubauen, Wasserleitungen zu legen, funktionierende Aborte anzulegen und so weiter, hielten sie sich mit kleinkarierten Nichtigkeiten auf. Kein Wunder, dass sie es aus eigener Kraft zu nichts brachten, sie brauchten einen starken Besatzer, wenn die nachfolgenden Generationen irgendwann auf einen grünen Zweig kommen wollten. Aber ich hatte keine Lust, mich vor ihren religiösen Karren spannen zu lassen. Er war kein Aufständischer, kein Zelot, nur ein harmloser Spinner und wenn sie unbedingt über ihn zu Gericht sitzen wollten, dann sollten sie das gefälligst selbst in die Hand nehmen, das war nicht meine Angelegenheit. Also erklärte ich:
„Ihr habt ihn gefangen, ermittelt, ein Urteil gefällt, dann vollstreckt es auch selber. Was habe ich damit zu schaffen? Gegen unsere Gesetze hat er nicht verstoßen.“
Doch die Bärtigen schüttelten mit dem Kopf. „Wir dürfen niemanden töten.“, erklärte der Bärbeißige. Ach ja, da zogen sie sich fein aus der Affäre, aber sie hatten natürlich Recht. Alle Staatsgewalt ging von Rom aus und das war auch gut so, sonst verliert man die Kontrolle über eine Provinz. Bei meinem Vorgänger wäre es auch beinahe aus dem Ruder gelaufen, bis er schließlich drei Hohepriester des jüdischen Tempels absetzte und den nun amtierenden Kaiphas berief. Wenn Kaiphas hinter dieser Maßnahme steckte, musste ich es wohl oder übel ernst nehmen, das wurde mir schmerzlich bewusst, obwohl ich sehr gern in Ruhe zu Ende gefrühstückt hätte. Aber ich musste etwas essen. Und weil der Gefangene ohnehin keine Ansprüche zu stellen hatte, Pessach hin oder her, befahl ich, ihn in die Präfektur zu führen, dann konnte ich während der Befragung weiter frühstücken.
Ich sah ihn mir an, wie er da in seiner einfachen Tunika vor mir stand, mager und sehnig, aufrecht und klar, bescheiden aber würdevoll, ergeben, aber nicht unterwürfig. Versuchte so einer, sich zum Anführer zu machen? Würde von ihm ein Volksaufstand ausgehen? Ich fragte ihn ganz direkt:
„Bist du der König der Juden?“
Der magere junge Mann erwiderte gewitzt: „Wie kommst du auf so eine Frage? Ist das deine Befürchtung oder hat man an dich herangetragen, dass ich mich zum König habe ausrufen lassen?“
„Hör mal, junger Mann“, antwortete ich ihm und schob mir ein paar Weintrauben zwischen die Zähne. „Das alles hier ist eigentlich nicht meine Angelegenheit. Mich interessiert nur die politische und vor allem die militärische Stabilität in dieser Provinz. Dafür bin ich verantwortlich. Eure religiösen Kleinkriege interessieren mich nicht. Aber die Anführer deines Volkes haben dich mir ans Messer geliefert und jetzt muss ich überprüfen, ob für mich Handlungsbedarf besteht oder ob ich dich einfach frei lassen kann. Was hast du getan, dass sie dir vorwerfen, dass du dich selbst zu ihrem Anführer aufschwingst?“
„Ich bin kein militärischer Führer.“, antwortete er und ich begann, mich zu entspannen. Er fuhr fort: „Mein Reich ist kein Reich, wie man es in dieser Welt kennt. Mir geht es nicht um Ruhm, Ehre, Land, das ich besetzen könnte, Gold, das zu erbeuten wäre oder Menschen, denen ich vorschreiben kann, was sie tun und lassen sollen. Wenn es so wäre, dann würden meine Diener für mich kämpfen, dann stünde ich jetzt nicht hier. Aber mein Reich ist nicht von dieser Welt.“
Das klang tatsächlich nicht nach meiner Zuständigkeit, aber neugierig war ich trotzdem. War er einfach nur total irre oder hatte ich hier einen großartigen Philosophen in meiner Halle? Hier war es immer so entsetzlich langweilig, nur sabbernde Kulturbanausen, Bettler und dumme Fischer und selbst von unseren eigenen Leuten war nichts Interessantes zu erwarten, alles Soldaten, die sich nach getaner Arbeit nur für gutes Essen, starken Wein und willige Weiber interessierten. In der Villa meiner Eltern waren sogar die Diener gebildet und belesen und es war eine wahre Wonne gewesen, sich mit ihnen über die tiefschürfenden Fragen des Lebens auszutauschen. Hier stand ein Mann von ähnlichen Qualitäten und diese Unterhaltung erschien mir vielversprechend, also hakte ich nach: „Du sprichst von deinem Reich. Bist du am Ende doch ein König?“
Nun hätte ich ein bescheidenes Lächeln und großmütiges Abwinken erwartet, aber mitnichten, er sah mir stolz und offen ins Gesicht, als er antwortete: „Du sagst es. Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.“
Es lief mir ein kalter Schauer über den Rücken und das bei der mittlerweile deutlich aufkommenden Hitze. Was führte er im Schilde? Warf er mir etwas vor? Wollte er mich zur Strecke bringen? Aber es war ja der Hohe Rat, mit dem er aneinandergeraten war, er war kein Gegner Roms, er wurde von seinen eigenen Leuten als Bedrohung wahrgenommen und die wollten mich benutzen, ihn los zu werden, ohne sich selbst die Finger schmutzig zu machen, aber nein, nein, ihr schrägen Vögel, nicht mit dem Commander, das könnte euch so passen. Ich heuchelte Überlegenheit, auch wenn ich mich gerade ganz klein fühlte und fragte ihn herausfordernd: „Was ist Wahrheit?“
Der junge Mann antwortete nicht. Ging es ihm wie mir? Kannte er die Antwort auch nicht?
Was ist denn Wahrheit??? Dass die Erde nass wird, wenn es regnet? Dass man nicht satt wird, wenn man nichts zu essen hat? Dass zwei und zwei vier ergibt?
Kann nicht für den einen wahr sein, was für den anderen falsch ist? Wer will entscheiden, welcher von beiden im Recht ist? Vielleicht sind sogar beide im Recht.
Oder ist es etwas tiefergehendes? Gibt es einen wahren Gott? Oder ist es nicht vielmehr so, dass die Menschen sich gerade da nach Gewissheit sehnen, wo es keine gibt? Gibt es einen großen Plan, ein Ziel oder am Ende einen Lohn? Ist da irgendwann Erlösung oder Verdammnis oder einfach nichts?
Schließlich trat ich wieder auf den Balkon, wo die geifernde Menge mich schon erwartete.
„Ich finde keine Schuld an ihm.“, erklärte ich. „Außerdem ist es Brauch, dass ihr vor dem Pessach einen Gefangenen bekommt, einen von euch, den ich begnadige. Was haltet ihr davon, wenn ich diesen jungen Mann, den König der Juden freigebe?“
Nun hatte ich sie provoziert und sie schrien wild durcheinander, bis sie schließlich „Barabas“ skandierten. „Lass Barabas frei.“
Ach Herrje, dieser Barabas war ein Zelot und ein Killer dazu, er hatte einen meiner Leute abgestochen. Den wollte ich nur ungern freigeben, aber mir wurde bewusst, dass die Meute nicht nachgeben würde und am Ende vielleicht die Präffektur stürmte, sie waren so außer sich, ich musste sie halbwegs zufriedenstellen, zumindest eine Weile hinhalten, bis sie sich beruhigt hatten. Also verkündete ich: „Wir werden uns euren Gefangenen gründlich vornehmen und wenn wir mit ihm fertig sind, wird er alles zugegeben haben, was er zuzugeben hat. Verlasst euch darauf.“
Ich übergab ihn den räudigsten Hunden unter meinen Soldaten, von denen ich wusste, dass sie mit Gefangenen nicht zimperlich umgingen. Wen sie gründlich eingeschüchtert hatten, der war am Ende unterwürfig wie ein Lamm und dann würde sich zeigen, ob hinter der sanften Fassade etwas zutage trat, was ein Todesurteil rechtfertigte.
Am Ende hatten die Jungs ganze Arbeit geleistet. Sie hatten ihn mit der Geißel ausgepeitscht, sein ganzer Körper war übersät mit blutigen Striemen und sie hatten ihm eine Krone aufgesetzt, die hatten sie aus Dornen geflochten und ihm tief in die Stirn gedrückt, so das ihm sein eigenes Blut ins Gesicht lief. Einen zerschlissenen Purpurmantel hatten sie ihm umgelegt und aus dem Fenster heraus konnte ich beobachten, wie sie ihr Späße mit ihm trieben, ihn abwechselnd als König der Juden verehrten und ihm wieder ins Gesicht schlugen und ihn auslachten.
Er selbst ertrug das alles mit stoischer Ruhe, so, als wüden ein paar Kinder auf seinem Schoß herumtoben, es war direkt unheimlich. Woher nur nahm er diese Kraft? Er wurde nicht wütend, er schrie und heulte nicht, kein Winseln, kein Jammern, keine Tränen, nur große, traurige Augen. Das war kein Aufständischer, nur ein Träumer.
Ich führte die geschundene Gestalt auf den Balkon, so wie ihn meine Jungs zurecht gemacht hatten, mit Purpurlumpen und Dornenkrone. Und ich sagte zu den blutgierigen Leuten: „Ich muss euch mitteilen, dass die Befragung ergebnislos war. Ich wüsste nicht, was dieser Mann sich zuschulden kommen lassen hat. Seht ihn Euch genau an.“
Ich führte ihn ganz nach vorn und präsentierte ihn der Menge. Worte waren hier nahezu überflüssig, der Anblick dieses geschundenen Geschöpfes sprach für sich und wer jetzt noch immer kein Mitleid und Erbarmen empfand, der hatte längst jedes liebevolle Gefühl in sich abgetötet. Sie waren doch so religiös, so sehr mit ihrem Gott verbunden, sie mussten ihren Irrtum doch erkennen. Und so stellte ich ihn vor die Menge und sagte nur noch diese vier Worte: „Seht welch ein Mensch!“
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