Freitag, 8. September 2023
Auf der Suche - Uralte Andacht
Dies ist eine Andacht im wahrsten Sinne des Wortes. Alle Gedanken sind nur an- und nicht zu Ende gedacht und J.D. Salinger hat mich stilistisch maßgeblich beeinflusst.

Ich überlegte, warum ich hier saß, auf diesem Stuhl, ich wusste nicht warum. Normalerweise wäre mir das egal gewesen, aber ich hatte gerade eine schwere Enttäuschung erlebt, falls das jemanden interessiert. Jedenfalls erinnerte ich mich, dass ich mich Christin nannte. Ich dachte mir, zu irgendetwas muss die Religion doch gut sein; ich wollte etwas Meditatives, Erbauliches, etwas mystisch vielleicht, eine innere Reinigung, also ich wollte meinen Ärger verdrängen.

Ich schlug meine Bibel auf wie einen Medizinschrank. Römerbrief. Hatte ich noch nie gelesen. Ich wette, das wirft mich um, dachte ich. Also las ich:
Römer 10, 14 - 21
"Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben?
Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nicht gehört haben?
Wie sollen sie aber hören ohne Prediger?
Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden?
Wie denn geschrieben steht (Jesaja 52,7) 'Wie lieblich sind die Füße derer, die gute Botschaft verkündigen!'
Aber sie sind nicht alle der guten Botschaft gehorsam. Denn Jesaja spricht: 'Herr, wer glaubt unserem Predigen?'
So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi. Ich sage euch aber: Hat Israel nicht verstanden? Aufs erste spricht Mose (5. Mose 32,21): 'Ich will euch eifersüchtig machen auf ein Volk, das nicht ein Volk ist und über ein unverständiges Volk will ich euch zornig machen.'
Jesaja aber wagt es und sagt (Jesaja 65,1): 'Ich bin gefunden von denen, die mich nicht gesucht haben, und ich bin erschienen denen, die nicht nach mir gefragt haben.'
Zu Israel aber spricht er (Jesaja 65,2): 'Den ganzen Tag habe ich meine Hände ausgestreckt nach dem Volk, das sich nichts sagen lässt und widerspricht.'"

Ich hörte auf zu lesen. In meinem Kopf schoss alles kreuz und quer durcheinander. Dieser Text warf mich wirklich um. Ich wollte mich erstmal mit einem Whiskey stärken. Das hatte ich schon oft getan. Darum war auch keiner mehr da. Na gut, dachte ich. Vielleicht ist ein klarer Kopf auch nicht übel. Ich las von vorn und blieb bei diesen Sätzen hängen, in denen die Rede von dieser Kettenreaktion ist: Keine Berufung > kein Prediger > keine Informationen und keine Offenbarungen > kein Glaube > kein Gebet.
War das ein Plädoyer für mehr Verständnis für die Ungläubigen? Womöglich ein Aufruf DENEN was von Jesus zu erzählen, die nichts von ihm wissen?
Ich halte nicht besonders viel von diesen Umkehr-Predigern. Die haben immer sowas Fanatisches. Ich sehe dann immer die Filme aus dem Geschichtsunterricht vor mir: unattraktive Schreihälse, deren Reden ein einziger Amoklauf zu sein scheinen. Besonders schlimm ist das bei der Zeltmission. Zeltmissionsveranstaltungen verursachen mir Magenkrämpfe. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich dort irgendwer von der frohen Botschaft anstecken lässt. Missionsveranstaltungen sind da wie Rockkonzerte. Da gehen nur die Fans hin. Und laut ist es da auch immer.

Die Frage, die sich mir stellte: Wie machst du es besser? Ich meine wirklich besser, nicht stilistisch gut verpackt, ansprechendes Design, bedürfnisorientierte Ausrichtung in perfekter Marketing-Manier, kurz, Bauernfängerei nach dem Motto: Guck mal, wir sind doch gar nicht so fromm, wir können sogar Pogo tanzen und rülpsen. Und wenn wir dann das Vertrauen unserer Opfer gewonnen haben, sitzen sie in der Falle und wir können ihnen endlich das Evangelium um die Ohren hauen.

Die Frage ist ja auch: Was soll ich den Leuten eigentlich erzählen? Dieser Gedanke kam mir in den Sinn, als mein Kater Sphinx sich einfach auf die offene Bibel setzte, damit ich nicht länger von meiner Verpflichtung abgelenkt war, ihn zu streicheln. Während ich ihm den Nacken kraulte, fragte ich mich, was eigentlich meine Botschaft an die Leute sei.

Es existiert ein höheres Wesen. Wir sollten akzeptieren, dass eine übergeordnete Instanz alles regelt und nicht einfach tun und lassen, was wir wollen. Man sieht ja, wozu das geführt hat: Ozonloch, Atombombe, Waldsterben und so weiter.

Da hätten wir vielleicht einen allgemeinreligiösen Minimalkonsens. Aber warum Christ:in sein? Warum nicht Buddhist:in, Hindu, Moslem / Muslima, irgendeiner Naturreligion anhängen oder gar einen Privatkult betreiben? Ich war so verwirrt, dass ich mir fast das Gehirn verrenkte, im Ernst. Ich suchte nach Antworten im Text und pustete Sphinx ins Ohr, damit er den Blick freigab.
Ich las: "So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi."
Die Worte Jesu sollen die Leute also so tief beeindrucken, dass es sie umhaut. Das ist ein Ansatz. Ehrlich. Ich würde natürlich nie in der Straßenbahn sitzen und Jesus-Worte rezitieren. Ich finde solche Menschen deprimierend. Ich meine, wenn sie einfach nur dasitzen, farblos, mit glasigen Augen und vor sich hin nuscheln. Vor allem, wenn sie dabei Jesus-Worte rezitieren. Außerdem hängt ja schon jeden Monat ein neues Bibelwort in der Straßenbahn. Ich frage mich allerdings, ob es irgendwem nützt, wenn er oder sie zum Beispiel liest: "Gott der Herr ist ein ewiger Fels.", Die Bibel

Aber Jesus-Worte haben etwas für sich. Sie sind wie Naturgesetze, stehen aber über den Naturgesetzen. Zum Beispiel Nächstenliebe: eine einfache Sache, beste kollektive Überlebensstrategie und damit auch die beste Überlebensstrategie für den Einzelnen, ganz simpel, wie ein Naturgesetz. Doch der natürliche Instinkt befiehlt dem Individuum Selbsterhalt um jeden Preis. (Mal abgesehen von Lemmingen, Skorpionen und sonstigen zwanghaft veranlagten Kreaturen) Jesu Gesetz steht darüber. Rechte des Einzelnen, Rechte des Gegenüber, Rechte der Gruppe sind gleichwertig. Wenn ich noch länger darüber nachdenke, könnte ich glatt verrückt werden.
Das ging mir auch an jenem Tag so, also steckte ich die Nase lieber wieder ins Buch. Doch was ich da las, verwirrte mich nur noch mehr. Da wurde Mose zitiert, der sagte: "Ich will euch eifersüchtig machen auf ein Volk, das nicht ein Volk ist; und über ein unverständiges Volk will ich euch zornig machen."
Das erste glaubte ich noch zu verstehen: Das Volk Israel wird eifersüchtig auf das Christenvolk, bei dem die Zugehörigkeit nicht über die Geburt geregelt ist.
Der zweite Teil hakte etwas. Doch dann dachte ich mir: Na gut, die Christen wollen einfach nicht verstehen, dass noch auf den Messias gewartet wird und das kann das Volk Israel echt zur Weißglut bringen. Tja, das half mir wenig.
Doch dann kam ein schöner Satz vom guten, alten Jesaja: "Ich bin gefunden von denen, die mich nicht gesucht haben und bin erschienen denen, die nicht nach mir gefragt haben."
Das warf mich um. Ich meine, so ein Satz hat Größe. Der hat was von einem Jesus-Wort. Es wirkt und wirkt und wirkt und will gar nicht mehr aufhören zu wirken. Das stellt mal wieder alles auf den Kopf. Jesus rennt also hinter denen her, auf die ich mich doch eigentlich stürzen wollte: Die Spötter, das ganze Weihnachtschristengezuppe, die allzu Schlauen, die Dummköpfe, eben alle, die echt keine Lust haben, irgendwie mit Jesus oder gar Kirche in Verbindung gebracht zu werden. Ich atmete auf. Da konnte ich ja getrost einen Gleichgesinnten-Gesprächskreis suchen und mir das ganze Gesocks vom Hals halten. Jesus kriegt das schon hin. Ich würde für die armen Sünder beten, gelegentlich spenden, zu jedem nett sein, solange es geht.
Ich pfiff Sphinx zu. Er sollte sich ruhig auf die Bibel hocken, für mich war die Welt wieder in Ordnung. Aber der Kater kauerte zusammengerollt vor der Heizung und schmollte. Katzen können sehr nachtragend sein, das Ohrpusten war noch lange nicht verziehen.

Mehr zufällig las ich den Satz: "Den ganze Tag habe ich meine Hände ausgestreckt nach dem Volk, dass sich nichts sagen lässt und widerspricht."
Irgendwie war ich beschämt. Diese Leute, die sich nichts sagen lassen, diese Aufmucker, zu denen ich ja auch gehören wollte, diese Leute mit den unbequemen Fragen, nach denen streckt Gott sie Hände aus.
Mir fiel ein, dass es im Neuen Testament von Missionsaufrufen in jedweder Form nur so wimmelt. Es muss ja nicht immer eine Predigt sein, aber die Kritiker sind dazu da, dass man sich mit ihnen auseinandersetzt. Ich merkte plötzlich, wie träge ich geworden war. Ich kriegte schon lange nichts mehr auf die Kette und suchte den Grund dafür in traumatischen Kindheitserlebnissen, falls das jemanden interessiert. Ich entschloss mich, darüber nachzudenken, wie ich Jesus-Worte weitergeben kann an die, die sich nichts sagen lassen.

Sphinx richtete sich auf und schnurrte. Ich streckte meine Hand nach ihm aus, er streckte mir liebevoll die Nase entgegen und hackte mir plötzlich seine scharfen Krallen tief in die Hand. Katzen sind eben sehr nachtragend.

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