Samstag, 8. Mai 2021
Betet! - Gedanken zum Sonntag Rogate
Letzte Woche wurde in Deutschland eine Kirchentür von der Polizei aufgebrochen. Wie ich finde: völlig zu Recht! Man traf sich zum Gottesdienst und sperrte das Ordnungsamt aus, um sich der Kontrolle zu entziehen. Leider gibt es unter gläubigen Christ*innen solche, die davon überzeugt sind, dass ihr Glaube sie vor einer Corona-Infektion schützt, wenn sie nur regelmäßig (mehrmals die Woche) als Gemeinde zusammenkommen und zusammen singen und beten, am besten Schulter an Schulter und ohne störenden Mundschutz. Und natürlich ohne Impfung. Glücklicherweise ist das nicht die Mehrheit.

Der Kommende Sonntag trägt den Namen Rogate, das heißt: Betet! Der Predigttext steht beim Propheten Daniel. Für die weniger Bibelfesten: Das Buch Daniel berichtet aus der Zeit des babylonischen Exils, d.h., die Bewohner*innen von Juda waren als Kriegsgefangene in das Gebiet zwischen Euphrat und Tigris verschleppt worden und konnten erst sechzig Jahre später in ihre zerstörte Heimat zurückkehren.
Gemäß der Auffassung der meisten Verfasser alttestamentarischer Schriften war das Volk Israel für seine zahlreichen Krisenzeiten weitestgehend selbst verantwortlich. Auf Fehlverhalten folgte Gottes Strafe.

Dieses Gottesbild von einem autoritären Herrscher, der bedingungslose Unterwerfung fordert, ist nicht mehr zeitgemäß und meines Erachtens auch wenig hilfreich.
Andererseits entsteht das meiste Elend, dem Menschen ausgesetzt sind, durch menschliches Fehlverhalten. Blöd ist nur, dass dabei meistens nicht die Verursacher bestraft werden. Das wird aber wohl auch zur Zeit des babylonischen Exils nicht anders gewesen sein.
Covid 19 ist keine Strafe Gottes, auch nicht der Klimawandel, die Finanzkrise oder Vulkanausbrüche. Aber von den Vulkanausbrüchen einmal abgesehen liegen die meisten Katastrophen in menschlicher Gier begründet.

Die Folgen lassen sich nicht wegbeten. Wir müssen etwas tun. Die Verantwortlichen mit Briefen, Demos, Petitionen und Wahlen unter Druck setzten. Unser eigenes Sozial- und Konsumverhalten auf den Prüfstand stellen und ggf. etwas ändern. Aber auch:
Innehalten.
Still werden.
Hingucken.
Hinhören.
Nachdenken.
Suchen.
Beten.

Das Gebet ist nicht das Mittel, etwas zu ändern, aber es kann helfen, stärker zu werden, besonnener und wirksamer.

Und hier der Predigttext für Sonntag, in der Übersetzung der Guten Nachricht:
Daniel 9,4-5 + 16-19
4 Vor ihm legte ich ein Bekenntnis unserer gemeinsamen Schuld ab und sagte: »Ach Herr, du großer und Ehrfurcht gebietender Gott! Du stehst in unerschütterlicher Treue zu deinem Bund und zu denen, die dich lieben und nach deinen Geboten leben. 5 Wir sind schuldig geworden, wir haben dir die Treue gebrochen, wir haben uns gegen dich aufgelehnt und deine Gebote und Weisungen nicht befolgt. 16 Immer von neuem hast du in der Vergangenheit deine Treue an uns erwiesen. Sei auch nun nicht länger zornig über deine Stadt Jerusalem und über den Zion, deinen heiligen Berg! Durch unsere Schuld und die Schuld unserer Vorfahren ist es so weit gekommen, dass alle Völker ringsum über deine Stadt Jerusalem und über dein Volk spotten. 17Darum, unser Gott, höre mein Gebet, höre mein demütiges Bitten! Blicke wieder freundlich auf dein verwüstetes Heiligtum, tu es um deiner eigenen Ehre willen! (Hes 36,20) 18Mein Gott, wende dich mir zu und höre mich! Sieh doch, wie elend wir dran sind und wie es um die Stadt steht, die dein Eigentum ist.[2] Wir wissen, dass wir es nicht verdient haben. Wir vertrauen nicht auf unsere Leistungen, sondern allein auf dein großes Erbarmen. 19 Höre mich, Herr! Vergib uns! Sieh unser Elend und greif ein! Lass uns nicht länger warten! Tu es um deiner Ehre willen; denn du hast doch deine Stadt und dein Volk zu deinem Eigentum erklärt!«

Mehr zu den weiteren Sonntagstexten im Kommentar.

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Im Evangelium für diesen Sonntag (Lukas 11, 1-13) erklärt Jesus seinen Jüngern, dass sie beim Beten nicht so viel herumplappern sollen. Er lehrt sie das "Vaterunser". Ein klares Gebet mit der Bitte um Versorgung, Vergebung, Schutz und einem abschließenden Gotteslob. Kurz und auf den Punkt gebracht.
Danach folgt das Gleichnis vom bittenden Freund. Hier hat jemand ein echtes Anliegen und insistiert so lange, bis sein Wunsch erfüllt wird. Nun könnte man sich fragen, was ist das für ein Gott, bei dem man immer wieder betteln und insistieren muss, damit er sich irgendwann bequemt, einen zu erhören oder vielleicht auch nicht?
Wenn man aber das Gebet nicht als einen infantilen Akt des Erbettelns von Gefälligkeiten sieht, sondern vielmehr als eine kontemplative Übung, eine wiederholte Konzentration auf das, was wirklich wichtig ist, sodass man seine gesamte Energie auf die Dinge richtet, die Bedeutung haben, statt sich da zu verzetteln, wo Anstrengungen ins Leere laufen, wo kurzfristige Befriedigung nur Katerstimmung und einen schalen Nachgeschmack hinterlassen. Wir wollen immer so viel, obwohl wir das meiste davon gar nicht brauchen, stattdessen schadet es uns sogar. Es kann helfen, Gott als Person zu imaginieren und so mit ihm zu sprechen, wie mit einem Entscheider, dem man sein Anliegen vorträgt. Dabei wird mir zumindest manchmal klar, wie anmaßend manchen meiner Bitten sind, wie lächerlich viele meiner Luxusprobleme.
Viele meiner insistierenden Gebete für Menschen die mir nahestehen, wurden erhört. Kann natürlich auch Zufall gewesen sein und ein anderes Mal haben wir dann nicht so viel Glück. Ich weiß es nicht. Aber es hilft mir, meine Ohnmacht auszuhalten und mich zu sortieren.

In den Episteln (1. Timotheus 2,1-6a) geht es um das Gemeindegebet: Dank und Fürbitte für alle Menschen, für die Weisheit der Regierenden, weil auch Jesus sich für alle Menschen geopfert hat.

Besonders amüsant finde ich den Text des Alten Testamentes, 2.Mose 32, 7-14. Hier verhandelt Mose mit Gott, weil Gott ankündigt, das ganze Volk Israel vernichten zu wollen, weil es sich erneut von ihm abgekehrt hat und ein goldenes Kalb als Götzenbild anbetet. Gott will mit Mose ein neues, großes Volk gründen. Nun könnte Mose sich geschmeichelt fühlen, aber er bittet Gott um Gnade für sein Volk und erklärt ihm, dass er doch nun schon so viel Energie in die Rettung dieser Menschen invertiert habe und dass die Ägypter ihn auslachen würden, weil er das Volk, das er aus ihren Händen errettete, am Ende selbst vernichtet hätte. Er solle sich doch bitte an die Erzväter erinnern, denen er große Versprechen gemacht habe, die er auf diese Weise brechen würde. Da zeigt Gott Reue und lenkt ein. "Na gut, sie kriegen noch eine Chance."
Ein für das Altertum typisches Gottesbild: despotischer Tyrann, der nur schwer seine Impulse kontrollieren kann und seine Kräfte mit dem Gemüt eines Kindes verantwortungslos wüten lässt, wenn man ihn nicht besänftigt und zähmt.

Psalm 1 schließlich - der an diesem Sonntag dran ist - prophezeit dem Menschen, der sich Zeit nimmt für das Nachdenken darüber, was richtig und was falsch ist, also auch für das Gebet, dass ihm die Dinge gelingen, die er sich vornimmt, der "Gottlose" dagegen wird sich verlieren wie Spreu im Wind.

Also beten wir. Schaden wird es auf jeden Fall nicht.

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