Samstag, 8. Februar 2020
Presbyterwahlen – demnächst auch in Thüringen
Wer diese krude Überschrift verstehen will, muss sich wohl durch den ganzen Text wühlen und ja, es tut mir leid, aber gerade diesmal kann ich nicht kurz.
Es geht um eine biblische Geschichte, den sonntäglichen Predigttext für den 09.02.2020, Matthäus 20,1-16
https://www.bibleserver.com/LUT/Matth%C3%A4us20
Wer sich mit Luther schwertut, kann die folgende freie Nacherzählung lesen, wer die Geschichte kennt, kann beim nächsten Absatz weiterlesen.
Die Geschichte von den Arbeitern im Weinberg
Ein Großgrundbesitzer wollte seinen Weinberg abernten, darum ging er auf den Marktplatz, um Tagelöhner anzuheuern. Zehn Männer, dachte er, sollten reichen. Er bot ihnen einen Silbergroschen als Tageslohn. Sie schlugen ein; ein Silbergroschen war eine Menge Holz.
Gegen Mittag fiel ihm auf, dass sie bis zum Abend nicht fertig würden, das war ihm aber wichtig, weil ihn sein linkes Knie zwackte, und immer, wenn ihn sein linkes Knie zwackte, gab es am nächsten Tag Hagel, oft mit Hagelkörnern so groß wie Pflaumen. Da wäre der Rest der Lese verdorben und nicht nur die Petersilie verhagelt. Dann ging er wieder zum Markt und heuerte noch einmal zehn Arbeiter an.
Zum Nachmittagsimbiss waren sogar die Nachzügler schon gar von der Sonne, darum holte er noch einmal fünf Erntehelfer dazu. Und eine Stunde vor Sonnenuntergang war abzusehen, dass die Belegschaft nicht zu Ende kommen würde und er holte noch einmal zehn Arbeiter vom Markt.
Als die Sonne unterging, war die gesamt Lese sicher in Körben, das würde sehr viel einbringen und der Lohn für fünf-und-dreißig Männer war ein Fliegenschiss dagegen. Der Großgrundbesitzer wies seine Verwalter an, die Löhne auszuzahlen: zuerst an die, die zuletzt dazugekommen waren und zuletzt an die, die gleich morgens angefangen hatten.
Als die Stundenlöhner jeweils einen Silbergroschen bekamen, begannen die Mittagsstarter zu rechnen: „Also, ein Silbergroschen die Stunde, das wären dann ja … sieben Silbergroschen! Feine Sache!“ Sie rieben sich die Hände, doch als es an die Bezahlung ging, gab es auch für sie nur jeweils einen Silbergroschen. Ebenso erging es den Frühstartern. Nun ging das Gejaule los, was für eine himmelschreiende Ungerechtigkeit das sei, man habe sich hier zwölf Stunden den Buckel krumm geschuftet, dazu in der sengenden Sonne und jetzt erhalte man den gleichen Lohn wie die schäbigen Nichtsnutze.
Der Großgrundbesitzer besah sich den Tumult und kam dazu, um seinen Vertragspartnern Rede und Antwort zu stehen. Er sagte: „Ich verstehe die Aufregung nicht. Ich habe euch für einen Silbergroschen Tageslohn angeheuert. Das ist ein fairer Preis, fairer als fair. Den Silbergroschen habt ihr bekommen, ich habe meinen Teil des Vertrages ebenso eingehalten wie ihr. Was geht es euch an, wenn ich auch die gut bezahle, die weniger gearbeitet haben? Das ist doch meine Entscheidung. Mit meinem Geld kann ich machen was ich will. Zügelt euren Neid und eure Missgunst.“

Dieses Gleichnis hat Jesus erzählt, um deutlich zu machen, dass es in der Ewigkeit keine kleinkarierte Endabrechnung gibt, ob man sein ganzes Leben treu und fromm war oder vielleicht erst auf dem Sterbebett entschieden hat, dass man zu Gott gehören will. Mir fiel dann zu dieser Geschichte etwas ein, was auf den ersten Blick mit dieser Deutung nicht so viel zu tun hat.
In der Landeskirche, der ich angehöre, finden bald die Wahlen zum Presbyterium statt. Das Parlament oder besser das Kabinett der Gemeinde wird gewählt, mit allen Ministerien: Diakonie, Kindergarten, Jugendarbeit, Kirchenmusik, Finanzen, Gebäude…

Kirchengemeinde erscheint oft als „Gerontokratie“, überall leben Silberfüchse ihre Hobbys aus und die Jugendlichen müssen unters Dach oder in den Keller. In besonders kleinen Gemeindehäusern lagert die Jugend ihr Material in den Bück- und Streckzonen der Einbauschränke, während die Silberfüchse sich an den Komfortzonen schadlos halten.

Für Jugendliche ist es schwierig in der Gemeindearbeit Fuß zu fassen, denn obwohl die älteren Herrschaften immer betonen, wie wichtig ihnen der Nachwuchs ist, weil er ja die Zukunft abbildet, so möchten sie doch eigentlich in ihren gewohnten Kreisen und Abläufen nicht gestört werden. Die Silberfüchse haben sich eingerichtet. Sie haben sich etwas erarbeitet und wollen das genießen.

Wer sich eingesetzt hat und Dinge erreicht hat und das schon seit Jahren, der hat die älteren Rechte. Dafür möchte er dann gern Privilegien in Anspruch nehmen, denn Leistung muss sich lohnen.

Neuankömmlinge stören da, wo man sich eingerichtet hat. Da findet man schon mal, dass die sich ihren Platz erst verdienen müssen.

Das ist bei Jugendgruppen aber nicht anders. Wenn ein neuer Jahrgang ankommt, wird er von den alten Hasen auch kritisch beäugt. Und manchmal findet man es auch nicht richtig, dass Leute als Mitarbeiter begehrte Aufgaben übertragen bekommen, die viel weniger Erfahrung haben als die alten Hasen, die dann zugunsten der jüngeren Ehrenamtlichen verzichten sollen.

Das ist menschlich, Teil unseres instinktiven Verhaltens, dass wir unser Revier verteidigen, Eindringlinge fürchten, die uns von unserem Platz verdrängen könnten. Darum müssen wir täglich neu lernen:

Bei Jesus muss man sich seinen Platz nicht verdienen, man muss ihn nur ehrlich wollen. Natürlich muss man sich dann auch anstrengen und die Sache ernst nehmen. Aber wenn man dabei ist, ist man dabei, gehört man dazu, hat man eine Stimme, die genauso gehört und bedacht werden muss, wie die der grauen Eminenzen. Und da wir uns alle Jesus zum Vorbild nehmen sollen, müssen wir uns auch selbst hinterfragen, jedes Mal, wenn wir niemanden rein lassen wollen, weil wir uns gerade eingerichtet haben, weil es gerade so schön ist.

Im alten Israel gab es sie auch, diese altgedienten Silberfüchse, die Presbyter – äh – Pharisäer, die wussten wo es lang ging und den räudigen, jugendlichen Revoluzzern nicht das Olivenöl auf dem Fladenbrot gönnten. Die meinten, sie hätten einen besseren Platz im Himmel verdient, als die Wegelagerer, die sich mit einem letzten Röcheln zum Glauben bekannten.

Und wenn sich heute Leute in diesen Ältestenrat wählen lassen, dann gern auch, um sich ihre persönliche Komfortzone zu sichern. Darum ist es wichtig für alle, die am Gemeindeleben teilhaben wollen, sich zu informieren, wer sich aufstellen lässt und für was er/sie steht. Gegebenenfalls muss man selbst kandidieren.

Und wenn – nicht nur in Thüringen – ein leider wachsender Teil unserer Bevölkerung aus lauter Angst davor, gestört zu werden, wo man sich doch gerade so schön eingerichtet hat, die Partei mindestens eines Faschisten wählt, dann wünsche ich mir einen Jesus, der ihnen die Geschichte von den Arbeitern im Weinberg erzählt, damit sie kapieren, dass sie den Himmel nicht gepachtet haben, auch nicht den Himmel auf Erden, sondern dass alle einen Anspruch auf Glück haben und dass dazu gehört, wer ernsthaft dazu gehören will.

Amen

P.S.: Und wenn in Thüringen in diesem Jahr die Presbyterien gewählt werden, dann hoffentlich mit mehr Verstand als der Landtag.

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