Freitag, 3. November 2023
Wir sind alle Menschen
Jeder war mal ein Kind, jeder muss sich seinen Platz erkämpfen und die meisten von uns gehören irgendwann zu den Alten. Doch meistens ist es so, dass Kinder unter der Bevormundung oder der Geringschätzung der Erwachsenen leiden, Erwachsene genervt sind von den Angewohnheiten ihrer Kinder und den unqualifizierten Einmischungen ihrer Eltern, die ihrerseits nicht einsehen, dass sie jetzt mal zum Arzt müssen, den Führerschein abgeben, ins betreute Wohnen umziehen müssen. Und alte Menschen erwarten oft in unzumutbarer Weise bedingungslose Rücksicht auf ihre Bedürfnisse, hassen Veränderungen und leiden unter dem Gefühl, nicht mehr mitzukommen, nicht mehr gebraucht zu werden, nicht mehr ernst genommen zu werden. Auf einmal können sich Menschen gar nicht mehr vorstellen, wie es bei ihnen war, vor 30 oder vor 60 Jahren. Dabei gehen wir alle diesen Weg – wenn wir nicht frühzeitig versterben.

Besteht der Fehler darin, dass wir nicht zur Kenntnis nehmen, dass jede Lebenszeit ihre Erfordernisse, Bedürfnisse, Möglichkeiten, eigene Wahrnehmung und zu bewältigende Aufgaben hat? Wir sind alle Menschen, aber wir können, brauchen, fühlen nicht alle dasselbe.

Der folgende Predigttext hat mich zuerst verwirrt, aber beim gedanklichen Sortieren ist mir etwas aufgefallen.

https://www.bibleserver.com/NG%C3%9C.HFA/1.Johannes2%2C12-14

Kinder können etwas mit dem Bild des Vaters anfangen. Tiefes Vertrauen, da ist einer, der es gut mit mir meint, auch wenn er manchmal schimpft. Jemand der auf meiner Seite steht, sogar dann, wenn ich es nicht verdient habe. Jemand, der notfalls die Kartoffeln für mich aus dem Feuer holt, so dass sich alles irgendwie findet, wenn vielleicht auch nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe.

Junge Erwachsene, die voll im Saft stehen, sind aktiv, kämpfen gegen die inneren Dämonen und das Üble in der Welt. Sie setzen fort, was die Generation vor ihnen auf den Weg gebracht hat oder stellen die Weichen neu - für die nächsten Generationen

Die ältere Generation mit erwachsenen oder heranwachsenden Kindern blickt auf ein erfahrungsreiches Leben zurück, auch in spiritueller Hinsicht, der Glaube ist gefestigt, nicht unerschütterlich, aber es gibt vielleicht ein paar gute, bewegende Erfahrungen, ein paar ausgeräumte Irrtümer, ein paar Einsichten, die sich fast wie Gewissheiten anfühlen.

In unterschiedlichen Lebensphasen gestaltet die Beziehung zu Gott sich auf die Weise, die dieser Spanne entspricht, ebenso wie das Verhalten, das sich daraus ergibt.

Wenn es dem Autor des 1. Johannesbriefes darum ging, frage ich mich warum? Weiter oben im Text beschreibt er, was einen Christen ausmacht. Sicher gab es schon damals diesbezüglich erbitterte Meinungsverschiedenheiten, insbesondere zwischen den Generationen. Das ist ja heute nicht anders.

Glauben und danach handeln wie es einem entspricht. Eigentlich ganz einfach. Und auch wieder nicht in dieser Ära der pluralistischen Gesellschaft. Aber auch schön, dass wir die Wahl haben. Das möchte ich nicht missen.

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Samstag, 28. Oktober 2023
Schade, dass es nicht mehr so einfach ist
Den Predigttext für den morgigen Sonntag kann man hier nachlesen:

https://www.bibleserver.com/LUT/1.Mose13%2C1-18

Der Streit um die vorhandenen Ressourcen ist so alt wie die Menschheit, ganz besonders der Streit um das Land, die Grundlage für wirtschaftliche Eigenständigkeit. Und in dieser Region geht es heute noch genau darum. Um einen Platz zum Leben.
Abram und Lot lösten das Problem schlau: Wir machen uns keinen Stress, schließlich ist genug für alle da. Statt uns gegenseitig die Ohren abzutreten, teilen wir uns auf. Zwei-Staaten-Lösung. Derjenige, der den Vorschlag machte, überließ dem Neffen sogar das bessere Land. Vielleicht wusste er, dass in den malerischsten Gegenden oft die unangenehmsten Leute wohnen.
Abram bekommt eine Zusage von seinem Schöpfer: Viele Nachkommen, viel gutes Land. Und heute? Jüdische, christliche und muslimische Menschen gehen auf Abram bzw. Abraham zurück – nicht nur in dem Land, das Abram zugesagt wurde. Nur leider hauen wir uns wieder gegenseitig die Köpfe ein.

Wenn wir uns auf unsere religiösen Wurzeln berufen, könnten wir uns doch auch eigentlich die Konfliktlösungskompetenz unserer Religionsstifter zum Vorbild nehmen.

Nur schade, dass es nicht mehr so einfach ist. Das Land wird knapper, die Menschen sind zahlreicher als damals.

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Samstag, 21. Oktober 2023
Auf den zweiten Blick
Auf den ersten Blick erzeugt der Predigttext für den morgigen Sonntag bei vielen Menschen unseres Kulturkreises viel Widerspruch, so auch bei mir.
https://www.bibleserver.com/LUT.NG%C3%9C/Markus10%2C2-16

Vers 6: "aber von Anfang der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau."

Wir wollen unseren Mitmenschen doch nicht mehr so ein ausschließlich binäres Geschlechterrollenmuster überstülpen. Wir wissen doch, dass sogar die Natur sich da nicht immer eindeutig verhält.

Vers 8:  "und die zwei werden ein Fleisch sein. So sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch.
Wo bleibt hier das Individuum? Haben wir doch gelernt, dass Beziehungen, in denen zwei Menschen dauerhaft miteinander verschmelzen in der Regel eine eher toxische Wirkung entfalten."

Verse 11 und 12: "Und er sprach zu ihnen: Wer sich scheidet von seiner Frau und heiratet eine andere, der bricht ihr gegenüber die Ehe;
12 und wenn die Frau sich scheidet von ihrem Mann und heiratet einen andern, bricht sie die Ehe."

Manche Ehen sind Irrtümer oder entwickeln sich in eine schädliche Richtung, die tun niemandem gut, die muss man beenden. Warum sollen Geschiedene den Rest ihres Lebens allein bleiben? Wegen einer jahrtausendealten Regel, die unter vollkommen anderen gesellschaftlichen Voraussetzungen entstand als denen, denen wir heute ausgesetzt sind?

Vers 15: "Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen."

Wir sollen also einfach alles glauben, naiv, widerspruchslos, zufrieden mit einfachen Erklärungen, nicht nachdenken. Das ist ein Spitzenansatz für Religionsdespoten, macht ihnen ihr schmutziges Geschäft um vieles einfacher.

Auf den zweiten Blick gibt es dann aber auch vieles, was zum ernsthaften Nachdenken anregt.
In Vers 5 antwortet Jesus nämlich: "Um eures Herzens Härte willen hat er euch dieses Gebot geschrieben."
Männer wurden ihrer Frauen überdrüssig und damit der Materialwechsel nicht ausuferte, gab es unter Mose klare Regelungen und Einschränkungen – immer noch zu Lasten der Frauen.
Das Eingehen einer Ehe war weniger eine romantische Verbindung aus Liebe Sympathie und sexueller Anziehung, als vielmehr ein Vertrag auf gegenseitige Unterstützung, ein Bündnis, auf das man sich lebenslang verlassen können musste. Vor allem für Frauen war das überlebenswichtig. Das erforderte großes Vertrauen und wer dieses Vertrauen enttäuschte, verletzte mehr als ein paar Gefühle.
Dass Menschen als Mann und Frau erschaffen wurden sollte die Pharisäer vielleicht daran erinnern, dass Frauen genauso Menschen sind wie Männer. Sehr viel deutlicher wird dies in der Erzählung dieser Begebenheit im Matthäusevangelium:
https://www.bibleserver.com/LUT.NG%C3%9C/Matth%C3%A4us19%2C1-12
hier ging Jesus auch darauf ein, dass es Menschen gibt, die lieber nicht heiraten, weil es viele Lebensarten schon damals gab, die die Menschen seiner Zeit weitaus mehr überforderten als uns heute.

Und die Sache mit den Kindern? Sind Kinder wirklich so naiv und manipulierbar? Vielleicht gilt das nur für diejenigen, die in einem besonders autoritären Umfeld aufwachsen. Denn eigentlich sind Kinder ja vor allem kritisch, neugierig, offen, aber auch vorsichtig, skeptisch und gleichzeitig unvoreingenommen. Kinder können staunen, sind begeisterungsfähig, aber sie stellen auch Fragen, vor allem die Frage "Warum".
Jüngere Kinder sind wenig empathisch, fordern drastische Strafen bei Regelverstößen, können nicht von sich absehen und Absicht und Versehen nicht unterscheiden.

Vielleicht gingen Jesus auch einfach nur die Fallen stellenden, hochgebildeten, privilegierten Besserwisser auf die Nerven, die die Schriften auswendig kannten, lange und ausgiebig theologisierten, aber den Bezug zum Kern der Sache verloren hatten. Bildung ist wertvoll. Nachdenken ist wichtig. Aber das innere Kind, das sich über Schönes freuen kann, das bedingungslos lieben kann, das begeistert empfangen kann und das nie aufhört, Fragen zu stellen, das sollten wir uns alle bewahren.

Einen schönen Sonntag Ihnen allen.

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