Samstag, 29. Oktober 2022
Alle steh'n drauf, aber keiner gibt's zu
Ein Predigttext aus dem Hohelied Salomos, Kapitel 8, Verse 6b-7. Kurz und kraftvoll. Poetisch und schön. Ich habe ihn mal genauer betrachtet. Satz für Satz.

Liebe ist stark wie der Tod.
Wie der Tod? Der dich überrollt? Etwas, wogegen du dich keinesfalls wehren kannst, das dich einfach über dich hereinbricht, dich wegreißt, aus dem Leben reißt, so kann dich die Liebe erwischen, über dich hereinbrechen, du kannst dich nicht dagegen wehren.

Unersättlich wie das Totenreich ist die Leidenschaft.
Seit hunderttausenden von Jahren gibt es Menschen auf der Erde. Und wenn wir bei diesem Bild bleiben, sind alle, die schon einmal da waren, letztendlich in dieses Totenreich eingezogen. Wie viele sind das eigentlich? Hat das mal jemand ausgerechnet? Und es werden immer mehr. Solange die Erde besteht und die Menschheit existiert, werden immer mehr von diesem unersättlichen Totenreich verschlungen.
Und genauso unersättlich ist das Gefühl, wenn man leidenschaftlich verliebt ist, wenn man nicht genug bekommt von dem Objekt seiner Begierde. Ich will dich ansehen, deine Stimme hören, will deinen Geruch einsaugen und genießen, den Geschmack deiner Lippen auf meiner Zunge spüren, ich will in deinen Augen versinken, ich will dich anfassen und von dir angefasst werden. Ich will dich festhalten und nicht mehr loslassen. Und wenn ich weiß, dass du gleich gehen musst, dann bin ich schon jetzt traurig, weil ich weiß, wie sich die Sehnsucht anfühlt, die Leere, wie ich darauf warte, bis du wieder da bist. Es reicht einfach nicht und es fühlt sich an, als wäre es nie genug, auch wenn uns die Erfahrung lehrt, dass es irgendwann so ist. Aber im Moment der Leidenschaft sind wir unersättlich.

Sie entflammt wie Feuerflammen.
Es gibt wachsende Liebe, die immer stärker wird, aber Leidenschaft ist etwas, das einen meistens aus heiterem Himmel erwischt. Jemand betritt einen Raum und man merkt plötzlich: da tut sich was. Da gibt es körperliche Reaktionen und so eine Aufregung, fast so ein spirituelles Gefühl, als wenn in dem Augenblick, wo mir diese Mensch begegnet, nicht nur dieser Mensch begegnet, sondern auch der Geist Gottes. Denn meistens ist es ja nicht der pure Sex, was uns zu anderen hinzieht. Es ist etwas Anderes, etwas, das man nicht beschreiben kann, für das man keine Worte hat, denn es handelt sich ja um Menschen, die man noch gar nicht kennt. Man sieht sie nur an und man spürt sofort: dieser Mensch passt zu mir, der zieht mich an, mit dem will ich zusammen sein, vielleicht sogar eins mit im werden und das ist dann wirklich wie ein Stichflamme. Vielleicht flackert sie erst einmal nur kurz auf und glimmt dann vor sich hin, weil sich gar keine Gelegenheit ergibt, dass sie sich entwickeln kann und irgendwann, bei einer anderen Gelegenheit kommt neue Nahrung und sie lodert plötzlich auf. Und es ist immer ein Auflodern es ist nie etwas, das langsam immer mehr wird. Es gibt immer bestimmt Augenblicke, in denen wir plötzlich spüren, dass da etwas ist: eine innere Flamme. Und die ist vielleicht auch vergleichbar mit der Flamme des des Glaubens, der einen genauso überrollen kann wie die Leidenschaft für einen Menschen.

Wie der Blitz schlägt sie ein.
Auch das gibt es, dass man fassungslos ist, als hätte man einen Schlag bekommen. Man kann gar nicht mehr sprechen. Kennen Sie das, wenn man so ein Vibrato in der Stimme hat und alle merken, wie aufgeregt man ist? Das Herz rast, manchmal brennt es auch irgendwo auf der Haut und die Hände sind feucht. Unfassbar. Man kann überhaupt nichts dagegen machen, man ist dem hilflos und machtlos ausgeliefert.

Kein Meer kann die Glut der Liebe löschen.
Das ist ein eigenartiges Bild. Warum soll man sie denn löschen? Aber das stimmt ja, es gibt Situationen, wo ich jemanden liebe, den ich aber nicht lieben darf, weil er vergeben ist, oder weil ich vergeben bin, weil die Verhältnisse das verbieten, wie auch immer. Aber wenn es einmal so ist, wenn es sich einmal so entwickelt hat, wenn der Blitz einmal eingeschlagen ist, wenn die Flamme einmal brennt, dann kann man noch so viel tun, um dagegen anzukämpfen, das geht einfach nicht weg. Es gibt das berühmte Bild von den voll im Saft stehenden Männern, die kalt Duschen, um ihre sexuelle Erregung in den Griff zu bekommen, aber alles was man tut, um das zu vernichten, was einem da gerade nicht in den Kram passt, das die Pläne durchkreuzt oder das Bild konterkariert, das man von sich selbst hat, hat keinen Sinn. Man ist dagegen machtlos. Nicht einmal ein Meer, eine gigantische Menge Wasser kann diese kleine Flamme löschen, die so hell und heiß brennt, dass sie einfach immer weiter glüht.

Keine Sturzflut reißt sie mit sich fort.
Nicht einmal in Verbindung mit Gewalt, nichts hilft. Auch andere Menschen können es einem nicht austreiben. Wenn man liebt, liebt man. Niemand kann das beeinflussen.

Da verkauft einer Hab und Gut, um die Liebe zu gewinnen und erntet dafür nichts als Spott.
Obwohl wir das alle kennen und wohl schon jeder von uns in diese Situation geraten kann und auch schon einmal erlebt hat und weiß wie sich das anfühlt, und sich eigentlich auch immer wieder heimlich danach sehnt, trotzdem ist es uns peinlich. In einem Augenblick, in dem die Liebe Macht über uns hat, tun wir die verrücktesten Dinge, einfach weil wir lieben, weil wir dem Menschen, den wir so verehren, das zeigen wollen oder weil wir uns für ihn einsetzen wollen, ihn retten, ihm Gutes tun und machen uns damit lächerlich.
Wir kommt es, dass Menschen Menschen verachten, dafür dass sie jemanden lieben? Was sind das für eigenartige Motive, sich unbedingt überlegen fühlen zu müssen? Ist es die Angst, selbst in diese Situation zu geraten? Aber warum ist das so eine Schmach? Natürlich ist es dann eine Schmach, wenn die Gefühle nicht erwidert werden. Aber selbst Menschen, die jemanden lieben, der sie auch liebt und die sich dann für ihn einsetzen, werden in der Regel nicht für voll genommen. Als wäre es eine Schwäche, zu lieben, obwohl es doch eigentlich eine Stärke ist, eine Macht. Aber es ist natürlich auch so, dass die Liebe den Blick verstellt, blind macht für die Wahrheit und einen zu einer leichten Beute, zu einem Opfer macht. Aber ist das der einzige Grund, warum man dafür so verachtet wird, weil man diese vermeintliche Schwäche zeigt, sich angreifbar macht? Was sind wir für eine Menschheit, die uns bespuckt, statt uns zu feiern, wenn wir lieben?

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